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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Studien zu toten Patienten "Viele Covid-Patienten haben einige Jahre Lebenszeit verloren"
Das Coronavirus breitet sich nicht nur in der Lunge, sondern im gesamten Körper aus. Das hat Prof. Tobias Huber bereits im Mai in einer Studie nachgewiesen. Im Interview erzählt er, welche weiteren Erkenntnisse es bei Autopsien verstorbener Corona-Patienten gab und was bei einer zweiten Welle besser laufen könnte.
Als die Forschung im Frühjahr 2020 die ersten verstorbenen Corona-Patienten obduzierte, war noch nicht klar, dass sich SARS-CoV-2 auch auf andere Organe als die Lunge ausbreiten kann. Das Coronavirus führt unter anderem auch zu Geruchs- und Geschmacksverlust.
Mittlerweile hat das Team um Prof. Tobias Huber am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zwei Autopsie-Studien verstorbener Corona-Patienten veröffentlicht. Welche weiteren Untersuchungen geplant sind und welche Schlüsse die Wissenschaftler aus den bisherigen Studienergebnissen ziehen, erklärt der Nierenspezialist im Interview mit t-online.de. Er geht auch darauf ein, welche Erkenntnisse sich im Zuge der Pandemie verändert haben und was bei einer zweien Infektionswelle besser laufen könnte als noch im Frühjahr.
t-online.de: Können Sie für unsere Leser kurz die Vorgehensweise und die Ergebnisse Ihrer Studien zusammenfassen?
Prof. Dr. med. Tobias Huber: Im Wesentlichen sind unsere Untersuchungen Autopsie-Studien. Das liegt daran, dass unsere Rechtsmediziner in Hamburg wahrscheinlich die weltweit meisten Autopsien an Covid-19-Patienten durchgeführt haben. Im Grunde wurde jeder Patient, der in Hamburg an Covid-19 – leider – verstorben ist, autopsiert, was wichtige Erkenntnisse im Kampf gegen Corona liefern konnte. In diesen verstorbenen Patienten haben wir die Möglichkeit, in die Organe hineinzuschauen und Organproben zu nehmen. Nur so ist es möglich zu sehen, welche Organe zum Beispiel vom Virus befallen sind. Das lässt sich bei noch lebenden Patienten nicht ermitteln. Was wir gefunden haben ist, dass bei etwa 60 Prozent der Verstorbenen das Virus in der Niere zu finden ist. Aber auch in anderen Organen wie Herz, Leber, Gehirn sowie auch im Blut – und natürlich immer in der Lunge.
Was war das Ziel Ihrer zweiten Studie?
In unserer zweiten Studie haben wir speziell geschaut, wie das Virus in der Niere mit möglichen Organfolgen korreliert. Dabei konnten wir sehen, dass die Patienten, bei denen SARS-CoV-2 in der Niere nachweisbar war, zu 70 Prozent ein akutes Nierenversagen erlitten haben. Zusammenfassend kann man sagen: Das Ergebnis der ersten Studie war, dass SARS-CoV-2 kein reines Lungenvirus ist, sondern ein Multiorganvirus, das viele Organe befällt. Die zweite Studie zeigt, welche Konsequenzen es hat, wenn die Niere befallen ist und dass sich das Virus aktiv im Gewebe vermehrt.
Wie Sie in Ihrer Studie untersucht haben, ist das Coronavirus kein reines Atemwegsvirus. In welchen Organen mussten Sie die schwersten Schäden feststellen?
Sicher nachgewiesen wissen wir zunächst, dass das zentrale Organ die Lunge ist. Das ist die Eintrittspforte – dort vermehrt sich das Virus, dort gibt es die schwersten Schäden, die auch maßgeblich sind für die Sterblichkeit. Darüber hinaus sehen wir, dass sich das Virus von der Lunge ausgehend auch in die anderen Organe verbreitet. Was das für die einzelnen Organe bedeutet – vor allem auch in der Langzeitfolge – untersuchen Studien, die im Moment noch laufen. Für die Niere können wir zumindest sagen, dass es einen Zusammenhang mit dem akuten Nierenversagen gibt. Beim Herzen können wir beispielsweise sehen, dass es gehäufte Herzmuskelentzündungen oder einen plötzlichen Herztod gibt. Zusätzlich gibt es viele neurologische Symptome wie Geschmacksstörungen, Riechstörungen, Müdigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten, die mit dem Virusnachweis im Gehirn im Zusammenhang stehen könnten. Aber auch hier werden noch weitere Studien folgen müssen.
Prof. Dr. med. Tobias B. Huber
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Prof. Tobias Huber ist Leiter des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und dort auch Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik – Nephrologie, Rheumatologie und Endokrinologie. Als international führender Nierenexperte hat er bereits zwei erfolgreiche Studien zu Autopsien verstorbener Covid-19-Patienten geleitet.
Gibt es auch andere Erkrankungen oder auch speziell Viren, die sich derart über den gesamten Körper ausbreiten?
Das ist wirklich eine gute Frage. Grundsätzlich ist der Tropismus – also die Affinität eines Virus für einen bestimmten Ort im Körper – für viele Viren bekannt. Zum Beispiel Polioviren, die Neurone oder Papillomaviren, die Haut und Schleimhäute befallen oder HIV, das die weißen Abwehrzellen befällt. Viele Viren haben eben privilegierte, besondere Aufenthaltsorte im Körper. Auch über die Grippe weiß man, dass die Viren überwiegend in den Atemwegen und in der Lunge sitzen.
Interessant ist auch noch, dass es ja vor dem neuen Coronavirus bereits SARS gab – das Virus hatte auch eine breite Verteilung im Körper. Wieso ist das so? Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie das Virus in die Organe und in die Zellen eintritt. In der Regel gibt es Rezeptoren, die das Virus in Zellen aufnehmen. Bei SARS-CoV-2 ist das das sogenannte ACE-2, ein spezielles Eiweißmolekül, das die Aufnahme in die Zellen vermittelt – und dieses Molekül ist sehr breit im Körper verteilt. Es findet sich im Herzen, in der Leber, in den Nieren und in vielen anderen Organen. Das bedingt die breite Verteilung. Und das ist übrigens nicht nur bei Menschen so, sondern über die Tierspezies hinweg. Und das ist bei anderen Viruserkrankungen häufig eben nicht der Fall.
Welchen Einfluss haben Ihrer Studie zufolge Vorerkrankungen auf den Verlauf von Covid-19?
Unsere erste Studie und viele andere Studien aus China, Europa oder den USA haben gezeigt: Vorerkrankungen haben einen ganz maßgeblichen Einfluss auf die Schwere des Verlaufs. Das sind die wesentlichen Weichensteller für den Verlauf. Die bei uns untersuchten Verstorbenen hatten im Schnitt 3,3 schwere Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht, Lungen- oder Nierenerkrankungen. Das heißt, Vorerkrankungen spielen eine entscheidende Rolle. Nicht dafür, ob man das Virus bekommt oder nicht – das Risiko ist wahrscheinlich für alle Menschen gleich. Aber dafür, welchen Einfluss das Virus im Körper nimmt. Deshalb haben die jungen, gesunden Menschen häufig kaum Symptome.
Es wurde viel darüber diskutiert, wie viel Lebenszeit Covid-19 den verstorbenen Patienten genommen hat – wie ist die aktuelle Einschätzung zu dieser Frage?
Am Anfang war es so: Es fiel auf, dass die meisten Patienten, die an Covid-19 verstorben waren, mitunter schwere Vorerkrankungen hatten. Das hat zunächst teilweise zu der Fehleinschätzung verleitet, dass diese Menschen bei kritischer Prognose sowieso rasch verstorben wären. Heute wissen wir dies – durch die Betrachtung großer Fallzahlen über Länder und Kontinente hinweg – besser und statistische Berechnungen zeigen jetzt, dass viele verstorbene Covid-19-Patienten einige Jahre Lebenszeit verloren haben. An einem Diabetes oder auch an Bluthochdruck oder Übergewicht stirbt man eben nicht unmittelbar.
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Eine Studie spricht zum Beispiel von durchschnittlich acht Jahren verlorener Lebenszeit. Tatsächlich muss man bei all diesen Studien aber hinsichtlich der genauen Zeitangabe einschränkend sagen, dass die Vergleichbarkeit der Lebenszeit von Konstellationen mit unterschiedlichen Vorerkrankungen mit und ohne Corona immer auch von einigen Schätzgrößen abhängt. Aber ja: Covid-19 hat leider eine nennenswerte Mortalität. Und ja: Bei vielen Patienten führt das Virus leider zu einer mitunter deutlichen Verkürzung der Lebenszeit.
Mit welchen Langzeitfolgen müssen Covid-19-Patienten rechnen?
Wir wissen, das Virus kann viele Organe befallen – wir wissen aber noch nicht, was das im Einzelnen bedeutet. Deshalb bauen wir Register und Datenbanken auf. Die tatsächlichen Folgeerscheinungen werden wir erst mit der Zeit herausfinden. Die Lunge ist am schwersten betroffen: Hier bleibt es unter anderem abzuwarten, in welchem Ausmaß bleibende Vernarbungen die spätere Funktionsfähigkeit und Anfälligkeit der Lunge beeinträchtigen. Für alle anderen Organe lassen sich noch keine seriösen Prognosen folgern, sofern keine Langzeitstudien vorliegen. Ich glaube aber, dass die Langzeitfolgen vor allem für schwere Verläufe zutreffen werden und nicht für leichte Verläufe.
Wie kann der Schädigung der Organe durch SARS-CoV-2 vorgebeugt werden?
Erstens sollten wir alle natürlich vermeiden, das Virus zu verbreiten und auch selbst an Covid-19 zu erkranken. Zweitens benötigen wir die schnelle Bereitstellung einer Impfung und damit die Herstellung einer Immunität. Und drittens gibt es keine effektiven organspezifischen Möglichkeiten, die Verbreitung des Virus im Körper einzudämmen. Es sind aber beispielsweise Therapien in der Entwicklung, die die Ausbreitung des Virus oder auch die Schwere der Immunantwort des Körpers auf das Virus eingrenzen sollen. Das sind Ansätze, die noch weiter erforscht werden. Aber im Kern sind Vermeidung der Virusausbreitung und der Aufbau von Immunität durch Impfung die besten Möglichkeiten.
Wie geht es mit Ihrer Forschung weiter – gibt es weitere Studien und welche weiteren Erkenntnisse erhoffen Sie sich?
Ja, es gibt zahlreiche weitere Studien. Eines, was uns jetzt in Hinblick auf die Niere interessiert ist, dass es häufig auch Urinveränderungen gibt. Deshalb untersuchen wir gezielt, ob frühe Urinveränderungen bei Covid-19-Patienten möglicherweise ein guter Indikator für die Schwere des späteren Verlaufs und für die Wahrscheinlichkeit einer Intensivpflichtigkeit sind. Dies ist eine Studie, die momentan läuft und bei der wir sehr neugierig auf die Ergebnisse sind. Die weiteren Studien, die wir machen, untersuchen noch genauer die direkten Organschädigungen durch Covid-19.
Abseits Ihrer Studien: Wie gut ist das UKE auf eine erneute Infektionswelle vorbereitet?
Sehr gut. Zum einen haben wir bereits bei der ersten Welle im Austausch mit nationalen und weltweiten Expertennetzwerken sehr gute Strukturen aufbauen können und haben alle in dieser Pandemie sehr viel gelernt. Die Teams sind geschult worden, Prozesse sind optimiert worden – auch die Interaktion zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten und allen anderen Einrichtungen, welche Kranke und Pflegebedürftige betreuen, sind weiterentwickelt worden. Des weiteren haben wir Register aufgebaut, es sind neue Kommunikationswege geschaffen worden, wir haben eine bereichsübergreifende Task Force gegründet.
Es gibt ausreichend Kapazitäten für Intensivpatienten, für Dialyse, für Quarantänen und für normalstationäre Patienten. Mit all dem fühlen wir uns wirklich sehr gut gewappnet, aber bei solchen Krisen kommt es auch immer wieder zu Überraschungen. Entscheidend dabei ist dann, dass man im Team immer wieder auch neue Lösungen schafft und die Herausforderungen durch eine aufmerksame Beobachtung antizipiert. Noch besser ist aber natürlich die Prävention, wir wollen dazu beitragen, dass sich das Virus nicht nochmals so rasch verbreitet, dass effektive Impfungen gefunden werden und dass die Auswirkungen des Virus auf den Körper abgemildert werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Huber.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.