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Apotheker kritisiert: "Gesundheitspolitik wird von Lobbyisten gesteuert"


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Apotheker kritisiert
"Gesundheitspolitik wird inzwischen von Lobbyisten gesteuert"

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 25.08.2020Lesedauer: 4 Min.
Arzneimittelforschung: Ein Apotheker kritisiert die wirtschaftlichen Interessen, die häufig eine Rolle spielen.Vergrößern des Bildes
Arzneimittelforschung: Ein Apotheker kritisiert die wirtschaftlichen Interessen, die häufig eine Rolle spielen. (Quelle: Eugeneonline/getty-images-bilder)

Impfstoffentwicklung und Medikamentenforschung: Im Zuge der Corona-Krise rückt die Pharmaindustrie in den Fokus. Der Pharmazeut Franz Stadler warnt allerdings, Profit gehe mittlerweile vor Gesundheit.

Seit Monaten forschen Wissenschaftler an einem Impfstoff gegen das Coronavirus, zusätzlich sollen immer neue Medikamente gegen Covid-19 wirksam sein. Gibt es einen Impfstoff, könnte ein Ende der Corona-Pandemie näher rücken.

Doch die Pharmaindustrie ist längst nicht mehr nur von gesundheitlichen, sondern vielmehr von wirtschaftlichen Interessen getrieben, sagt der Apotheker und promovierte Pharmazeut Franz Stadler im Interview mit t-online.de. Er kritisiert, dass die zu schnelle Impfstoffentwicklung und -zulassung zu Fehlern im Verfahren und Risiken für die Patienten führen könnte. Er hofft aber auch, dass sich der Umgang mit Arzneimitteln durch die Pandemie verändert.

t-online.de: Alle sprechen über den Corona-Impfstoff. Jedes Land will das erste sein. Welche wirtschaftlichen Interessen stehen dahinter, zum Beispiel bei Russlands erstem Impfstoff "Sputnik V"?

Dr. Franz Stadler: Im Fall des russischen Impfstoffes dürfte es wohl mehr ums Prestige als um wirtschaftliche Interessen gehen. Schon der Name "Sputnik V" verweist schließlich auf den andauernden Wettstreit der beiden Supermächte. Insgesamt geht es aber um sehr viel Geld, weltweit um einen enormen Umsatz und Gewinnaussichten, wie sie selbst in der Pharmabranche nur sehr selten vorkommen. Schließlich müssten eigentlich alle Menschen geimpft werden, der Markt ist also größtmöglich. Nicht umsonst sind alle großen Pharmafirmen direkt oder in Kooperationen an der Impfstoffentwicklung beteiligt. Sehr wahrscheinlich wird auch eine Impfung nicht ausreichen, da Covid-19 offensichtlich mutiert und Varianten ausbildet. Es könnte also beispielsweise auf eine jährliche Impfung wie bei der Grippe hinauslaufen.

Die Impfstoffentwicklung wird im Zuge der Corona-Pandemie deutlich schneller vorangetrieben, als es normalerweise der Fall ist. Welche Risiken birgt das?

Wenn alle Zulassungsverfahren verkürzt und beschleunigt werden, steigt natürlich das Risiko, einen oder mehrere Fehler im Verfahren zu machen. Durch die hohe Erwartungshaltung in der Bevölkerung, aber auch durch die enormen Umsätze, die durch Vorabbestellungen diverser Länder bereits getätigt wurden, steigt zusätzlich der Druck auf die Zulassungsbehörden. Die Arzneimittelsicherheit, in diesem Fall der Schutz von Patienten vor nicht ausreichend getesteten Impfstoffen, sollte aber immer Priorität haben – auch und gerade, weil wir uns alle schnell einen sicheren Impfstoff wünschen.

(Quelle: Franz Stadler/Privat)

Franz Stadler



Franz Stadler ist Apotheker, promovierter Pharmazeut und betreibt ein Zytostatikalabor in der Nähe von München. Sein Buch "Medikamenten-Monopoly. Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte" ist gerade im Murmann Verlag erschienen.

Wie kann ein Zeitplan für die Impfung aller Menschen aussehen – mit welchen Personengruppen sollte begonnen werden?

Eine schwierige Frage. Die Beantwortung dürfte von der Pandemie-Lage zum Zeitpunkt der Impfstoffzulassung und der verfügbaren Menge an Impfstoff abhängen. Risikogruppen sollten zuerst geimpft werden. Deren Definition dürfte aber schwierig werden und sollte nach meiner Meinung nicht von der Staatsangehörigkeit oder der Finanzkraft der einzelnen Menschen abhängen.

Momentan wird diskutiert, dass Apotheker auch impfen sollen. Was halten Sie davon?

Nicht viel. Aus meiner Sicht ist Impfen Ärztesache. Nur eine spezielle Notsituation, wie die Notwendigkeit einer schnellen Durchimpfung großer Bevölkerungsteile, die die Kapazitäten der Ärzteschaft überfordern könnte, würde unsere Mithilfe ausnahmsweise rechtfertigen. Ansonsten ist die Trennung Arzt und Apotheker sinnvoll und hat sich bereits über viele Jahrhunderte bewährt.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch "Medikamenten-Monopoly", die Gesundheitspolitik werde nicht mehr im Interesse der Patienten betrieben und warnen, Profit gehe vor Gesundheit: Wie begründen Sie diese Aussagen?

Gesundheitspolitik wird inzwischen wie unsere Wirtschaftspolitik durch Lobbyisten gesteuert. Es geht um Umsätze, um Gewinn, um Arbeitsplätze, um neue Geschäftsfelder und Marktanteile. Nie geht es aber um das Funktionieren unseres Solidarsystems oder um die einfache Tatsache, dass Arzneimittel ein besonderes Gut sind. Würden wir beispielsweise unsere Arzneimittelversorgung aus dem Blickwinkel der Arzneimittelsicherheit betrachten, müsste grenzüberschreitender Arzneimittelversand verboten werden, weil er schlicht nicht kontrolliert werden kann. Mein Buch enthält viele weitere Beispiele, die die Grundthese belegen.

Welche Auswirkungen könnte die Corona-Pandemie auf die Arzneimittelforschung und -industrie haben?

Vermutlich eher wenige. Wünschenswert wäre, dass das Medikamenten-Monopoly, also der sorglose, fast spielerische und hauptsächlich von Geldgier getriebene Umgang mit unseren Arzneimitteln abgeschafft oder zumindest eingeschränkt würde. Dazu müssten aber Rahmenbedingungen geändert werden. Beispielsweise dürfte der Patentschutz nicht nur einseitig zum Vorteil der Pharmaindustrie ausgestaltet sein und Arzneimittelforschung und -entwicklung für "unwirtschaftliche" Krankheiten müsste auch staatlicherseits betrieben werden.

Warum ist Brasilien so ein riesiges Testlabor in der Corona-Pandemie?

Brasilien ist bevölkerungsreich, hat in der Spitze gut ausgebildete Leute, exzellente Forschungseinrichtungen, die über Erfahrung im Umgang mit Impfstoffen verfügen, kaum Umweltauflagen und ein schier unerschöpfliches Reservoir an armen Menschen, die noch dazu häufig an Corona erkrankt sind. Es gibt dort viele Freiwillige für die Tests.

Wieso wird die Arzneimittelproduktion, die fast vollständig nach China verlagert wurde, nicht zurück nach Deutschland geholt?

Das ist nicht so einfach. Unser jetziger Zustand ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen unkontrollierten Prozesses. Zudem werden Wirkstoffe nicht in einem Schritt, sondern häufig in vielen weltweit verteilten Syntheseschritten hergestellt. Wir müssten also eine eigene, umfangreiche chemisch-pharmazeutische Industrie aufbauen. Ein Vorhaben, das Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – dauert und nicht unumstritten sein dürfte. Zur Verringerung unserer Abhängigkeiten und der Lieferengpässe wäre ein nationales Arzneimitteldepot, vergleichbar unserer nationalen Erdölreserve, schneller und leichter zu realisieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Stadler.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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