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Corona-Langzeitfolgen – Betroffene äußern sich: Genesen, aber nicht gesund


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Langzeiterkrankt nach Corona
"Wir gelten als Covid-19-genesen und sind nicht gesund"


Aktualisiert am 16.07.2020Lesedauer: 7 Min.
Corona-Patienten (Symbolbild): Einige klagen noch Wochen nach einer Infektion mit dem Coronavirus über gesundheitliche Beschwerden.Vergrößern des Bildes
Corona-Patienten (Symbolbild): Einige klagen noch Wochen nach einer Infektion mit dem Coronavirus über gesundheitliche Beschwerden. (Quelle: Phynart Studio/getty-images-bilder)
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Beim Coronavirus ist oft die Rede von der möglichen zweiten Welle. Manche Patienten erleben aber schon ihre persönliche zweite, dritte und vierte Welle, weil Covid-19 bei ihnen zur Langzeiterkrankung wird.

Sie würde gern einfach mal wieder bummeln gehen: Als bei Ute N. (voller Name der Redaktion bekannt) im März 2020 das Fieber und das Kribbeln in der Lunge kamen, hätte sie nicht gedacht, dass im Juli gemütliches Shoppen ein Wunschtraum sein könnte. Es strengt sie zu sehr an. Die 56-Jährige ging dreimal in der Woche joggen, bis das Coronavirus sie erwischte.

In der Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) fällt Ute N. unter diejenigen Personen in Deutschland, die bereits von einer Covid-19-Erkrankung genesen sind. Aktuell sind das rund 185.000 Menschen. "Ich und andere werden zum Teil seit fast vier Monaten als genesen geführt, aber wir sind nicht gesund", sagt Ute N. Die Bankkauffrau gehört zu denen, die noch unter Langzeitbeschwerden leiden. Covid-19 und kein Ende für zuvor gesunde Menschen?

"Unsere Hausärzte nehmen uns ernst oder nicht, wir sind angewiesen auf Kliniken, die kaum Corona-Erfahrung haben, und wir warten Wochen oder Monate auf Termine", sagt Ute N.

Genesen, aber noch nicht gesund

t-online.de und das ARD-Politikmagazin "Kontraste" haben mit Kranken gesprochen – und mit Ärzten, die erläutern, warum noch so wenig erklärbar ist und was womöglich noch Jahre später auf Covid-19-Fälle zukommen könnte. Noch ist die Studienlage dünn und die Pandemie schlicht noch zu jung, um typische Langzeitfolgen zu überblicken. Erste Untersuchungen sowie Berichte von ehemals an Covid-19 Erkrankten wie Ute N. zeigen aber, dass manche der offiziell als genesen geltenden Patienten auch noch Wochen oder Monate später mit Beschwerden zu kämpfen haben.

"Manche sagen, wir stehen erst in den ersten Kilometern des Marathonlaufes", sagt Professor Winfried J. Randerath, Ärztlicher Direktor der Klinik für Pneumologie und Allergologie am Krankenhaus Bethanien in Solingen. "Es ist noch nicht abschließend ersichtlich, welche Schädigung von Lunge und anderen Organen die Erkrankten noch nach Jahren aufweisen, ob sie dauerhaft in ihrer Lebensqualität und vielleicht auch Lebenserwartung einschränkt sein werden."

(Quelle: Mike Auerbach)


Professor Winfried J. Randerath ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Pneumologie und Allergologie am Krankenhaus Bethanien in Solingen und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).

Die Aussagen von Ute N. und der ebenfalls an Covid-19 erkrankten Jana E. aus Hamburg sehen Sie oben im Video – oder hier.

Langzeitfolgen nahezu unerforscht

Im April starteten in Deutschland die ersten Anstrengungen, mögliche Langzeitfolgen von Covid-19 zu erforschen. Aus dem Uniklinikum Schleswig-Holstein kam die Ankündigung: Um Folgebeschwerden auf die Spur zu kommen, werden in einer "Biobank" Erkenntnisse über Covid-19-Infizierte gesammelt. "Wir vermuten, dass Covid-19 zu Folgeerkrankungen führt", sagte Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät. "Es mehren sich Berichte beispielsweise zu neurologischen Störungen und Schädigungen des Herzens. Über die Ursachen und die Bekämpfung dieser Folgeschäden wissen wir praktisch noch nichts."

Die Bandbreite der möglichen Folgesymptome ist inzwischen unter anderem dokumentiert durch eine millionenfach heruntergeladene App des britischen King’s College London. Zwischen fünf und zehn Prozent der Nutzer berichteten auch mehr als einen Monat nach der eigentlichen Genesung noch von gesundheitlichen Auswirkungen, erklärt der Epidemiologe Professor Tim Spector, der die App bereits im März vorgelegt hat.

Im englischsprachigen Raum gibt es Seiten wie "COVID-19 Recovery Awareness" und "Long Covid SOS", die die weltweite Berichterstattung zusammentragen und ein breites Bewusstsein schaffen wollen. Im bisher vergleichsweise milde davongekommenen Deutschland finden Menschen im Netz vor allem in Facebook-Gruppen Anlaufstationen.

Austausch findet in sozialen Medien statt

In einer solchen Gruppe ist auch Ute N. "Ich habe Informationen gesucht, und es gab sehr wenig." In der Gruppe "COVID-19 Langzeitbeschwerden" sind Menschen, "die die gleichen Symptome und die gleichen Fragen haben und alle miteinander nach Hilfe suchen, die zum Teil auch schon drei, vier Monate krank und noch nicht durch sind mit den Diagnosen". Dort unterhalte man sich über die Symptome, die dann kurze Zeit später durch Studien durch die Presse gingen. Gegründet hat die Gruppe am 18. Mai Thorsten K. aus Berlin. Zwei Monate später bittet der 30-Jährige um Verständnis, dass er aktuell nicht in der Lage sei für ein Interview vor der Kamera oder für ein längeres Gespräch.

K. berichtet, er sei in den vergangenen Wochen drei Mal in die Notaufnahme eingeliefert worden. Er hatte sich einen Monat nach der Corona-Diagnose vom 24. März fit genug gefühlt, sich aufs Fahrrad zu setzen. "Einen Tag später aber kamen die Symptome zurück – und blieben." Er zählt auf: Halsschmerzen, verstopfte Nase, Herzrasen in Ruhesituationen, Schlafstörungen, Atemnot, Brustschmerzen, Schweißausbrüche, extreme Müdigkeit und Kraftlosigkeit, Konzentrationsschwäche und depressive Verstimmung.

Es sind Symptome, die auch im Twitter-Account @Tupfentier zusammengetragen werden. Hinter dem Account steckt eine 34-jährige* Mathematikerin, die selbst nicht positiv auf das Coronavirus oder Antikörper gegen Corona getestet wurde, deren Hausarzt aber aufgrund ihrer Symptome eine Covid-19-Erkrankung bei ihr vermutet. Sie nutzt zurzeit Apps zum Gedächtnistraining, um wieder in den Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zu kommen. In ihrem Profil angeheftet ist eine Botschaft "an die, die nach uns kommen". Es ist eine Einladung, von den Erfahrungen zu profitieren.

Als sie im März am Anfang der Krise krank wurde, war sie eine derer, die trotz deutlicher Symptome und Erkrankter im Umfeld nicht getestet wurden. Einen Nachweis, dass ihre Probleme auf das neue Virus zurückzuführen sind, hat sie also nicht. Als sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weil sie nicht mehr lesen und alltägliche Dinge nicht erledigen konnte und von Atemaussetzern berichtete, wurden bei einem Test keine Antikörper gefunden. Die wurden allerdings auch bei einer Studie in Lübeck drei Wochen nach der Infektion nur bei 70 Prozent der tatsächlich Erkrankten nachgewiesen.

Die junge Frau suchte über die sozialen Medien Menschen, die ähnliche Beschwerden wie sie hatten. Zwischenzeitlich sei sie sogar einmal falsch in eine Einbahnstraße eingebogen und habe sich über die anderen gewundert. "Erst später ist mir aufgegangen, dass ich falsch war. Ich möchte nicht wissen, welche Ausfälle es da noch gibt und was da passieren kann." Vieles, was ihr oder ihr bekannten Nutzern mit ähnlichen Symptomen Angst gemacht habe, sei inzwischen verschwunden oder abgeklungen.

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Viele Fragen bleiben weiterhin offen

Wegen derartiger Probleme werden auch in Deutschland in neurologischen Rehabilitationskliniken bereits Patienten behandelt, sagt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Er berichtet von Hirnschädigungen durch Sauerstoffmangel bei intensivpflichtigen Covid-19-Patienten, aber auch durch eine Überreaktion des Immunsystems.

"Und wir können natürlich jetzt im Moment noch nicht abschätzen, wie viele davon vollständig rehabilitiert werden können und welche tatsächlich dauerhaft Probleme zurückbehalten. Gerade bei jüngeren Menschen beeinflusst das natürlich auch die Berufstätigkeit durchaus." Es könne aber auch sein, dass sich die Probleme vollständig zurückbilden. "Die Beobachtungszeit, die wir bislang bei Covid-19 haben, ist einfach noch zu kurz, um das beantworten zu können", so Berlit.

(Quelle: Alfried Krupp Krankenhaus)


Prof. Dr. Peter Berlit ist Neurologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Hinweise auf Corona-Langzeitsymptome finden sie und andere in der Facebook-Gruppe: "Ich sehe, wie schwer es zunächst Leidensgenossen haben, wie sie sich allein gelassen fühlen mit ihren Beschwerden, die ja noch relativ unbekannt sind, und wie sie oft auf Ärzte treffen, die mit Covid-19 noch keine Erfahrung haben." Die Probleme würden dann von Ärzten teilweise zunächst auf psychosomatische Erklärungen geschoben. "Da fühlt man sich dann wirklich nicht ernst genommen."

Bei unklaren Symptomen an den Arzt wenden

Das könnte ein Thema sein für Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der Bundesregierung. Doch nach Handlungsbedarf gefragt, antwortet sie sehr allgemein. "Die grundsätzliche Problematik eventueller Folgeerkrankungen und Spätkomplikationen nach einer Covid-19-Erkrankung beobachte ich genau", erklärt die Ärztin und CDU-Politikerin t-online.de. Es gelte aber zunächst, die Ergebnisse der Studien abzuwarten. Unsicherheit der Patienten und Sorge vor Spätfolgen seien verständlich. "Ich rate Betroffenen, sich im Verdachtsfall bei unklaren Symptomen an ihren Arzt zu wenden, um eine mögliche Folgeerkrankung zügig abklären und gegebenenfalls behandeln zu lassen", sagt Schmidtke.

Für Ute N. klingt das wie Hohn: "Nötig wären mehr Diagnosezentren etwa an Unikliniken, damit man deutschlandweit kompetente Ansprechpartner findet." In Norddeutschland sei das schon verbreiteter als in Süddeutschland, sie selbst habe Kliniken angeschrieben.

Hinter Thorsten K., dem Gründer der Facebook-Gruppe, liegen etliche Untersuchungen, unter anderem zwei Computertomografien der Lunge und ein Langzeit-EKG, jeweils ohne besonderen Befund. Seit Anfang Juli habe er nach seinen Worten den Nachweis, dass das Virus sein zentrales Nervensystem angegriffen habe, berichtet er t-online.de.

Langzeitbeschwerden nach Infektionskrankheiten nicht unüblich

Wenn Covid-19-Erkrankte nach dem Verschwinden des Erregers noch Erschöpfung spüren, muss sie das aber nicht sofort in Alarmzustand versetzen. Das verdeutlicht Lungenfacharzt PD Dr. Jan Heyckendorf, stellvertretender Ärztlicher Leiter der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel. "Aktuell kann man in einigen Fällen nicht sicher unterscheiden, welche Schäden durch den Erreger selbst entstehen. Eine gewisse Erschöpfung gehört auch nach anderen durchgemachten Infektionen oft zum Genesungsprozess", sagt er.

(Quelle: Pukall / Forschungszentrum Borstel)


PD Dr. Jan Heyckendorf ist stellvertretender Ärztlicher Leiter der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel.

Und Langzeitschäden sind durchaus auch von anderen Viruserkrankungen bekannt. Der Solinger Experte Professor Randerath berichtet von längerfristigen Erfahrungen bei SARS nach der Ausbreitung Anfang der 2000er-Jahre sowie nach MERS: "Diese Erkrankungen, die durch ähnliche Viren verursacht wurden, haben auch zu Dauereinschränkungen geführt, und dies nicht nur bei Patienten mit zunächst schweren Erkrankungen."

Und dann könnte es Patienten geben, die gar nicht gemerkt haben, was das Virus angerichtet hat: Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Mediziner, verweist auf die Nieren, die auch bei einem Teil der Covid-19-Erkrankten befallen waren. "Symptomatisch wird der Patient erst bei wirklich sehr stark eingeschränkter Nierenfunktion." Nieren arbeiten auch erheblich geschädigt weiter, ohne dass der Patient etwas bemerkt. Das Risiko steige dann aber deutlich, im Laufe des weiteren Lebens Dialyse-Patient zu werden.

*In einer früheren Version hatten wir geschrieben, @tupfentier sei 31.

Langzeitfolgen für Covid-19-Fälle sind auch Thema bei "Kontraste" an diesem Donnerstag. Die Sendung im Ersten beginnt um 21.45 Uhr.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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