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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DRK-Arzt gibt Rat "An erster Stelle steht immer die eigene Sicherheit"
Der Unfall auf der Landstraße oder ein Herzinfarkt im Supermarkt: Plötzlich muss Erste Hilfe geleistet werden. Doch mit dem Coronavirus kommen neue Ängste hinzu. Der DRK-Bundesarzt Prof. Peter Sefrin gibt Tipps.
Für viele ist Helfen im Notfall eine Herausforderung. Gerade die Corona-Pandemie verunsichert die meisten Menschen. Auch jetzt gilt: Jede und jeder kann und muss im Maße der Zumutbarkeit und ohne erhebliche eigene Gefahr Hilfe leisten. "Die gesetzliche Pflicht zur Ersten Hilfe besteht auch trotz des Risikos einer Ansteckung, jedoch gibt es in der aktuellen Situation einige Besonderheiten", sagt der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Prof. Dr. med. Peter Sefrin.
Der Anästhesist ist seit 2009 Bundesarzt beim DRK. Seit 1961 engagiert er sich ehrenamtlich, bevorzugt im Bereich des Rettungsdienstes, und ist als aktiver Notarzt tätig. Im wissenschaftlichen Bereich war er unter anderem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin und langjährig Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Notärzte. Bis zu seiner Emeritierung leitete er die Sektion für präklinische Notfallmedizin der Universität Würzburg. Im Gespräch mit t-online.de geht er auf die Schwierigkeiten für den Rettungsdienst in der Corona-Krise ein und erklärt, wie Ersthelfer sich selbst und die Patienten schützen können.
t-online.de: Was raten Sie generell, wenn jemand jetzt in der Corona-Krise in die Situation kommt, Erste Hilfe leisten zu müssen?
Prof. Dr. med. Peter Sefrin: Das kommt ganz darauf an, in welcher Situation er eine solche Erste Hilfe leisten sollte: Ist es draußen auf der Straße bei einem Verkehrsunfall oder ist es wie die häufigsten Erste-Hilfe-Maßnahmen in der Familie? 60 Prozent der Erste-Hilfe-Maßnahmen finden in der Familie statt. Das ist dann natürlich etwas ganz anderes: Da kennt man sich und in der Corona-Krise ist ja bekannt, in welchen Situationen die Gefahr einer Ansteckung besteht.
Woran erkenne ich, ob Hilfe gerade wichtiger ist als das Risiko einer Infektion?
Werden Sie auf der Straße, beispielsweise bei einem Unfall mit der Notwendigkeit einer Ersten Hilfe konfrontiert, ist natürlich wie auch schon bisher ohne Corona die Verpflichtung diese durchzuführen: An erster Stelle steht immer die eigene Sicherheit. Deshalb bleibt es die erste wichtige Aufgabe, die Unfallstelle abzusichern. Danach wenden Sie sich dem Patienten zu, wobei Sie nicht wissen können, ob er infektiös ist. Deshalb ist das Neue: Sie versuchen, Abstand zu halten. Sie können versuchen das Bewusstsein durch Ansprechen zu prüfen. Ist der Patient bewusstlos, bedarf es natürlich einer sofortigen Hilfe. Und dann ist das Problem: Entscheiden Sie sich für diese Hilfeleistung oder dagegen? Und diese Entscheidung kann Ihnen niemand abnehmen.
Wie kann ich vermeiden, mich trotz Hilfe anzustecken?
Dazu wird empfohlen, für Mund und Nase eine wie auch immer geartete Abdeckung zu finden. Natürlich hat niemand für diesen Fall einen Mundschutz dabei, aber man kann beispielsweise ein Tuch, einen Schal oder ähnliches vor Mund und Nase legen. Natürlich auch Handschuhe aus dem Verbandkasten anziehen. Wenn der Betreffende ansprechbar ist, dann können Sie ihn auch bitten, den Ersthelfer durch einen Atemschutz zu schützen. Dazu müssen Sie ihn gezielt auffordern, denn derjenige denkt in diesem Moment sicher nicht daran.
Wie kann ich den Verletzten schützen?
Zunächst gilt hier genau das Gleiche wie sonst auch: Erst einmal Abstand halten. Wenn Sie aber erkennen, dass derjenige so schwer verletzt ist, dass er stirbt, wenn Sie nicht helfen, sollten Sie versuchen, neben sich selbst auch den Verletzten durch einen Mund-Nasen-Schutz Ihrerseits zu schützen.
Wie sollten sich Risikopatienten verhalten?
Wer Angst vor Ansteckung hat, weil er zur Hochrisikogruppe gehört und deshalb nicht hilft, braucht keine Angst vor juristischen Konsequenzen haben. Wenn man unbedingt helfen müsste, dann sollten Sie auch als zur Hochrisikogruppe gehörend auf eine Abdeckung von Mund und Nase achten.
Die sechs wichtigsten Tipps zur Ersten Hilfe:
1. An erster Stelle steht immer die eigene Sicherheit: Halten Sie, wenn möglich, einen Mindestabstand von 1,50 Meter. Ist näherer Kontakt notwendig, bedecken Sie Mund und Nase des Patienten und auch Ihr eigenes Gesicht.
2. Unabhängig von der Distanz ist es schon eine wesentliche Erste Hilfe, wenn immer möglich, den Notruf 112 anzurufen und den Betroffenen zu beruhigen und darüber informieren, dass Hilfe unterwegs ist. Bleiben Sie so lange beim Patienten, bis der Rettungsdienst vor Ort ist.
3. Bei einem Herz-Kreislaufstillstand sollte in der aktuellen Situation auf die Mund-zu-Mund-Beatmung verzichtet und nur die Herzdruckmassage durchgeführt werden (100 bis 120 Mal pro Minute) – und zwar solange, bis der Rettungsdienst übernimmt.
4. Die Helferin oder der Helfer sollte den Einsatzkräften für den Fall einer möglicherweise nachträglich festgestellten Infektion bei dem Patienten die eigenen Kontaktdaten geben.
5. Menschen, die zu einer Risikogruppe zählen, sollten grundsätzlich zu Hause bleiben. Werden Sie dennoch draußen Zeuge eines Notfalls, müssen Sie abwägen, ob Sie Hilfeleistungen an Fremden unter Rücksichtnahme auf die eigene Sicherheit durchführen wollen.
6. Ein Risikopatient mit Symptomen sollte sich auf die Organisation der Hilfe beschränken: Eventuell andere auffordern zu helfen und den Notruf 112 wählen.
Wie sehr hat sich Ihre Arbeitslast in der Notrettung geändert in der Corona-Epidemie?
Das ist ungefähr gleich geblieben, aber das ist regional verschieden. Das heißt, in einigen Bereichen ist sogar ein gewisser Rückgang zu erkennen. In jedem Falle gibt es nicht mehr so viele Krankentransporte. Der Rettungsdienst selbst hat also keinen Einbruch erlebt, aber in einigen Bereichen ist es etwas weniger als sonst.
Bekommen Sie gerade genug Unterstützung von Seiten der Politik?
Natürlich braucht man mehr Schutz. Das heißt Mund-Nasen-Masken und Schutzkittel sind nicht in dem Maße vorhanden, wie sie benötigt werden. Jeder, den Sie heute fragen, sei es im Krankenhaus, in der Pflege oder im Rettungsdienst, sagt immer das Gleiche: Wir haben nicht genug. Und wenn dann in den Medien berichtet wird, dass es eine Lieferung von Schutzmaterial gab, dann ist das zwar momentan gut. Aber wir müssen natürlich auf längere Sicht planen. Es ist ja nicht so, dass wir sagen, übermorgen ist das Ganze vorbei und ich würde auch sagen, es ist nicht nach Ostern vorbei. Das heißt, wir brauchen kontinuierlich Schutzmaterialien und das muss von der Politik gewährleistet sein.
Was sagen Sie zum Applaus der Menschen auf den Balkonen für die "Helden der Arbeit"? Ist die Anerkennung hilfreich oder eher überflüssig?
Das bedeutet eine gewisse Motivation, aber das hilft nicht über die bestehenden Mängel hinweg. Das ist natürlich eine Form der Anerkennung der Bevölkerung, was ja sonst nicht üblich ist. Im normalen Rettungsdienst bekommen wir eine derartige Anerkennung nicht. Deswegen befürworte ich das schon, aber sehe darin natürlich keine Lösung unserer Probleme.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.