Todesfahrt von Münster Wie steht es um Hilfe für schwer psychisch kranke Menschen?
Nach der Todesfahrt von Münster werden immer mehr Details zum Täter bekannt. Der Vater des 48-Jährigen nimmt an, dass ein psychisches Leiden seinen Sohn zu der Amokfahrt trieb. Diese Krankheit habe ihn in zwei Welten leben lassen, sagt er. Sein Sohn habe an "Verfolgungswahn" gelitten. Die Staatsanwaltschaft geht bei der Tat bisher von Suizidabsicht aus. Wie steht es um Hilfe für schwer psychisch kranke Menschen? Wir geben Antworten auf wichtige Fragen.
Sind Menschen mit großen psychischen Problemen per se gefährlich?
Nein, auf keinen Fall. Ein Beispiel ist paranoide Schizophrenie, bei der Menschen einen Wahn in einer Psychose ausbilden und wie in einer Parallelwelt leben. Sie werden nicht automatisch gewalttätig. Die Zahl der Betroffenen, die sich nicht behandeln lassen möchten, aber gefährlich sind, liege nur im Promillebereich, sagt Andreas Bechdolf, Psychiater am Berliner Vivantes-Klinikum Am Urban.
Dennoch gibt es auch bei diesem Krankheitsbild in Ausnahmefällen sehr aggressive Gewalttaten. Oft sind Betroffene dann über einen längeren Zeitraum nicht oder auch noch nie behandelt worden. In der Regel sind psychische Erkrankungen heute aber therapierbar – je früher sie erkannt und behandelt werden, desto besser.
Was passiert bei einer schweren psychischen Krise, die andere Menschen bemerken?
Beim Verdacht auf eine psychische Krise kann die Polizei Menschen direkt in eine psychiatrische Klinik bringen. Dort muss innerhalb von 24 Stunden entschieden werden, was weiter geschieht. Die Psychisch-Kranken-Gesetze der Bundesländer ermöglichen es, Menschen unter bestimmten Bedingungen auch gegen ihren Willen in eine Klinik einzuweisen.
Dazu zählen in der Regel Suizidgefahr, ein Selbsttötungsversuch und die begründete Annahme, dass ein Mensch eine Gefahr für andere ist. Die Entscheidung über eine Zwangseinweisung muss immer ein Richter treffen. Das gilt auch für Zwangsbehandlungen in einer Klinik. Im ambulanten Bereich gibt es keinen Zwang und keine Kontrollen, ob psychisch kranke Menschen sich an verordnete Therapien halten.
Reichen solche Gesetze aus?
Viele Juristen sehen bei psychischen Krankheiten heute weniger einen Mangel an Gesetzen, dafür aber bei ihrer Anwendung. Das gilt zum Beispiel für Zwangseinweisungen in Kliniken und Zwangsbehandlungen. Die Richter seien zu vorsichtig, argumentiert zum Beispiel der Lübecker Strafverteidiger Olaf Reinecke. Meist müsse erst etwas Schlimmes passieren, damit die Behörden handelten.
Welche Hilfen bietet das Gesundheitssystem?
Die Behandlung einer psychischen Erkrankung zählt zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Zum öffentlichen Gesundheitsdienst, der Sache der Bundesländer ist, gehören ferner die sozialpsychiatrischen Dienste. Die Spanne der Angebote dort reicht oft von Hilfe bei Depressionen, Psychosen, Ängsten und Zwangserkrankungen bis hin zu Suchtproblemen und Demenz. Die Dienste vermitteln Betroffene in das ambulante oder stationäre System.
Eine Krux: Die Wartezeit für einen Termin bei einem niedergelassenen Facharzt kann für Kassenpatienten mehr als zwei Monate dauern. Und es mangelt nach Ansicht von Kritikern an passenden Angeboten für Jugendliche und junge Erwachsene mit psychischen Problemen. In diesem Alter prägen sich aber viele Leiden aus.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- dpa