Kein Zahn ist überflüssig Wann Weisheitszähne raus müssen – und wann nicht
Weisheitszähne hat nicht jeder, aber wenn sie im Kiefer angelegt sind, können sie auch im hohen Alter noch durchbrechen. Waren Zahnärzte früher der Meinung, sie sollten besser entfernt werden, ist die Empfehlung heute eine andere. Nur wenn sie tatsächlich Ärger machen, müssen sie raus.
Im Alter von zwölf Jahren hat man normalerweise 28 Zähne: 14 oben, 14 unten, jeweils 7 auf jeder Seite. Damit ist das Gebiss eigentlich komplett. Doch bei vielen Menschen kommen im Erwachsenenalter in den hinteren Ecken des Kiefers noch die so genannten Weisheitszähne zum Vorschein.
Diese "Achter", wie sie im Fachjargon wegen ihrer Lage hinter dem jeweils siebten Zahn der Reihe heißen, bereiten häufig Probleme. Denn im Mund des modernen Menschen ist für sie oft zu wenig Platz. Sie sind ein Überbleibsel aus der Frühgeschichte der Menschheit.
Nicht jeder bekommt Weisheitszähne
Unsere Vorfahren aßen und kauten anders als wir das heute tun. Sie hatten einen größeren Kiefer, in den 32 Zähne problemlos hineinpassten. Im Laufe der Evolution wurde die untere Gesichtspartie des Menschen kleiner, die Anzahl der Zähne blieb aber lange Zeit gleich. Erst allmählich reagiert der menschliche Körper auf die veränderten Bedingungen. "Nicht jeder bekommt Weisheitszähne", erklärt Professor Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer.
Während bei einigen Menschen immer noch vier Zusatzzähne im Kiefer angelegt sind, sind es bei anderen nur drei, zwei, einer oder gar keiner. Wann man sie bekommt, ist individuell sehr unterschiedlich. "Selten kann das noch im hohen Alter passieren", erklärt der Zahnarzt. "Es gibt sogar Fälle von zahnlosen Senioren, bei denen plötzlich ein Weisheitszahn sichtbar wird."
Weisheitszahn-OP nicht immer notwendig
Früher galt bei Zahnärzten und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen die Regel: Wenn ein Weisheitszahn bis zum 25. Lebensjahr nicht durchgebrochen ist, sollte er vorbeugend entfernt werden. Begründet wurde dies damit, dass die meisten nicht durchgebrochenen Zähne früher oder später Probleme machen.
Heute wird diese Empfehlung nicht mehr so pauschal ausgesprochen. Denn ein Herausoperieren der Weisheitszähne birgt ebenfalls Risiken wie eine Wundinfektionen oder die Schädigung eines Nervs. "Eine prophylaktische Entfernung ist zwar kein Fehler, man ist aber heute viel vorsichtiger geworden", erklärt Professor Michael Ehrenfeld, Direktor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Klinikum der Universität München.
Röntgenbild zeigt Risiken
"Statistisch gesehen verursacht jeder fünfte bis sechste Weisheitszahn, der nicht durchbrechen kann, im Lauf des Lebens irgendwelche Komplikationen", sagt Ehrenfeld und ergänzt: "Diese können minimal bis schwerwiegend sein". Er empfiehlt, auf der Grundlage eines Röntgenbildes das individuelle Risiko abzuschätzen und den Patienten über mögliche Komplikationen eines operativen Eingriffs aufzuklären.
"Es gibt verschiedene Kriterien, ob man im Einzelfall einen Weisheitszahn entfernt oder im Kiefer belässt", sagt Zahnarzt Driss Wartini von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Etwa wenn genügend Platz vorhanden sei, solle man erst einmal abwarten. Zumal Weisheitszähne auch als Ersatz für verlorene und geschädigte Zähne herhalten können. In ihrer Form und Funktion entsprechen sie den großen Backenzähnen und sind daher nicht überflüssig.
Bei Kieferproblemen müssen Weisheitszähne raus
Anders sieht es aus, wenn die Zähne nicht genug Platz haben, um vollständig durchzubrechen. Dann kommt es häufig zu Infektionen, die sich ausbreiten und zu Abszessen führen können. Schwierigkeiten entstehen auch, wenn Weisheitszähne nicht nach oben sondern zur Seite wachsen oder wenn sie so eng am Nachbarzahn liegen, dass man beide betroffenen Zähne nicht richtig putzen kann. "Hier wie auch an Zähnen, die noch nicht ganz durchgebrochen sind, kann Karies entstehen", erklärt Oesterreich. Er empfiehlt, eine Zahnbürste mit möglichst kurzem Kopf zu verwenden. Bei elektrischen Zahnbürsten könnten Rundkopfbürsten Vorteile bieten, das sei aber nicht wissenschaftlich belegt. "Entscheidend ist, dass man hinkommt."
Wenn Weisheitszähne benachbarte Zähne schädigen, Beschwerden beim Kauen und Schlucken verursachen oder für häufige Infektionen verantwortlich sind, sollten sie entfernt werden. Die erste Adresse dafür ist der Zahnarzt. Kniffelige Fälle überweisen Zahnärzte auch an Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen.
Örtliche Betäubung bei OP meist ausreichend
Ein bereits durchgebrochener Zahn wird unter örtlicher Betäubung mit einer Zange und einem Hebel gezogen. Ein Zahn, der noch unter dem Zahnfleisch liegt, muss erst einmal freigelegt und dann aus dem Kieferknochen herausgelöst werden. Auch solche Eingriffe führen die Zahnärzte und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen normalerweise unter örtlicher Betäubung durch. Eine Vollnarkose empfehlen die Experten nur in Einzelfällen: zum Beispiel, wenn die Weisheitszähne sehr kompliziert liegen, in einer Sitzung gleichzeitig vier Zähne entfernt werden oder ein Patient große Angst hat, erklärt Michael Ehrenfeld.
Nach Weisheitszahnentfernungen kommt es häufiger zu leichteren Komplikationen wie zu einer verzögerten Wundheilung. Schwere Komplikationen wie ein Kieferbruch oder eine dauerhafte Nervenschädigung sind selten. Dennoch sollte man immer den möglichen Nutzen und das Risiko des Eingriffs individuell abwägen, erklärt Oesterreich. "Nicht jeder Weisheitszahn muss entfernt werden."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.