Ein rätselhafter Patient Kurzschluss im Körper
Mit starken Bauchschmerzen kommt ein 40-Jähriger ins Krankenhaus. Im Ultraschall entdecken die Ärzte die Ursache in der Leber und geben ihm Antibiotika. Aber dann spuckt der Mann plötzlich Galle. Was ist passiert?
Als der Mann sich endlich ins Jipmer-Krankenhaus im indischen Puducherry schleppt, ist er schon zwei Wochen lang krank. Der 40-Jährige hat starke Schmerzen im Oberbauch und hohes Fieber. Bei der Untersuchung fällt den Ärzten auf, wie gespannt und fest sein Bauch ist. Sie tasten, dass die Leber stark vergrößert ist und in den linken Oberbauch ragt.
Weil Alkohol eine solche Lebervergrößerung verursachen kann, fragen die Chirurgen ihren Patienten nach seinen Trinkgewohnheiten. Der Mann sagt daraufhin von sich selbst, er sei alkoholabhängig. Die im Blut gemessenen Leberwerte sind allerdings unauffällig, keiner der Werte fällt aus dem Rahmen. Die Zahl der weißen Blutkörperchen aber, die bei einer Entzündung vermehrt gebildet werden, ist deutlich erhöht.
Die Ärzte untersuchen den Bauch des Patienten als nächstes per Ultraschall. Darin fallen ihnen mehrere mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume auf, die dort nicht hingehören. Zusammen mit dem Fieber, den Schmerzen, der Lebervergrößerung und der erhöhten Zahl der weißen Blutkörperchen deuten die Bilder darauf hin, dass sich Abszesse in der Leber gebildet haben. Diese Abkapselungen sind gefährlich, weil sich in ihnen Bakterien und Eiter sammeln.
Geschwür im Magen und ein See aus Gallenflüssigkeit
Um die Entzündung zu beherrschen, geben die Ärzte dem Mann Antibiotika mit einem breiten Wirkungsspektrum. Das Fieber bleibt trotzdem hoch, wie sie in "BMJ Case Reports" berichten. Fünf Tage später geht es dem Patienten plötzlich schlechter. Ihm wird übel, und er muss mehrmals massenhaft Gallenflüssigkeit erbrechen. Doch woran liegt das? Wie kommt die Gallensäure in den Magen des Patienten, der normal gegessen hat? Gallenflüssigkeit wird in der Leber produziert und gelangt normalerweise über die Gallengänge in den Zwölffingerdarm, der sich an den Magen anschließt. Ist sie von dort aus zurückgeflossen?
Die Mediziner schieben ein Endoskop - einen Schlauch, an dessen Ende sich eine Optik befindet - über den Mund in den Magen des Mannes. Dort sehen sie nicht nur einen See aus Gallenflüssigkeit, sondern auch ein großes Geschwür am oberen Magenrand. Sie entnehmen ein Stück vom Gewebe und lassen es vom Pathologen untersuchen. Es handelt sich um eine ausgeprägte Entzündung, Anzeichen für Tumorwachstum gibt es aber nicht.
Um den Weg des Mageninhalts verfolgen zu können, geben die Ärzte ihrem Patienten Kontrastmittel, das er schlucken muss. Dann machen sie Computertomografie-Aufnahmen von seinem Bauch und entdecken, dass sich das Kontrastmittel nicht nur in Magen und Darm ausbreitet, sondern auch in der Leber. Der Grund: Vermutlich aufgrund der andauernden Entzündung ist eine kleine Verbindung zwischen Leber und Magen entstanden, eine sogenannte Fistel. Einer der Leberabszesse ist geplatzt und entleert seinen Inhalt über diesen Kurzschluss in den Magen.
Muskelschnitt und Kunststoffröhrchen sollen helfen
Umgekehrt gelangen auch Luft und Kontrastmittel in die Leber, wie die Bilder zeigen. Die Ärzte versuchen erneut, ihren Patienten konservativ zu behandeln. Er darf oral keine Nahrung mehr zu sich nehmen und bekommt Säureblocker für den Magen und Antibiotika. Doch die Therapie schlägt nicht an. Immer wieder wird der Patient überwältigt von starkem Erbrechen mit viel Gallenflüssigkeit.
Jetzt gibt es unterschiedliche Therapieoptionen: In einer Bauch-OP könnten die Chirurgen die Abszesse, die Fistel zwischen Leber und Magen und einen Teil des Magens entfernen. Empfohlen wird dieses Vorgehen vor allem dann, wenn ein Tumor für eine Fistel verantwortlich ist. Die Mediziner um Venkata Srinivas Gandham entscheiden sich gegen den großen Eingriff und für eine endoskopische Therapie, die sogenannte ERCP. Dabei schieben sie ein Endoskop über den Mund durch den Magen bis zu der Stelle am Zwölffingerdarm, an der der gemeinsame Gang von Gallen- und Bauchspeicheldrüsensekret mündet. Hier befindet sich ein kleiner Schließmuskel, den die Chirurgen über den Arbeitskanal am Endoskop durchtrennen. Das soll den Abfluss der Sekrete verbessern.
Außerdem legen sie ein kleines Kunststoffröhrchen, einen sogenannten Stent, in den Gallengang, um diesen offen zu halten. Die Ärzte hoffen, dass die Gallenflüssigkeit bei verringertem Widerstand nun wieder ihren normalen Weg nimmt und dass sich die Fistel zum Magen von selbst verschließt.
Nach dem Eingriff bekommt der Mann fünf weitere Tage Antibiotika. Fieber und Erbrechen klingen ab. Zwei Wochen später zeigt ein Kontroll-CT, dass die Abszesse in der Leber deutlich kleiner geworden sind. Auch das Geschwür im Magen hat abgenommen. Auf den vom Patienten selbst angegebenen Alkoholismus gehen die Autoren nicht weiter ein. Der Patient kann acht Wochen nach der ERCP das Krankenhaus verlassen, es geht ihm wieder gut.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.