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Virologe Kekulé: "Ich frage mich, welcher Notfall hier vorliegt"


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Stiko empfiehlt Omikron-Impfstoffe
Virologe Kekulé: "Ich frage mich, welcher Notfall hier vorliegt"


Aktualisiert am 22.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ein älterer Mann wird gegen Corona geimpft (Symbolbild): Die Stiko spricht sich dafür aus, dass Über-60-Jährige die Omikron-Booster erhalten sollten. (Quelle: Helmut Fricke/dpa)
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Nach der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde empfiehlt die Stiko nun die Verwendung der Omikron-Impfstoffe. Welchen Nutzen haben sie?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat sich bei den Covid-19-Auffrischimpfungen für den bevorzugten Einsatz der neuen, an die Omikron-Variante angepassten Präparate ausgesprochen. Zur Viertimpfung wird aber nach wie vor nur bestimmten Gruppen wie Menschen ab 60 Jahren geraten, so eine Mitteilung zu einem Beschlussentwurf. Final ist diese Empfehlung noch nicht. Der Entwurf bezieht sich sowohl auf die BA.1-Impfstoffe als auch auf das spezielle BA.4/BA.5-Vakzin. Sind diese Impfstoffe tatsächlich besser? Und wer sollte welchen Impfstoff wählen? t-online fragte den Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

t-online: Herr Kekulé, die beiden neuen Impfstofftypen sorgen für etwas Verwirrung. Der eine (den Moderna und Biontech anbieten) ist auf die BA.1-Variante modifiziert, der andere (der nur von Biontech kommt) ist an den derzeit weltweit dominanten Subtyp BA.5 angepasst. Welcher ist denn besser?

Alexander Kekulé: Beide sind grundsätzlich sichere Impfstoffe, die als Booster, als die sie ja vorgesehen wird, gut wirken. Bei den BA.1-Studien hat man gesehen, dass sich die Zahl der neutralisierenden Antikörper etwa verzehnfacht. Allerdings streiten sich die Fachleute, ob die Modifikation auf die BA.1-Variante überhaupt nötig war. Denn man sieht beim BA.1- im Vergleich zum Wuhan-Impfstoff, mit dem ja bislang geboostert wurde, nur etwa 1,5-fach erhöhte Antikörper. Das dürfte für den Schutz vor schwerer Erkrankung keinen Unterschied machen.

Beide Impfstofftypen sind übrigens bivalente Vakzine. Das heißt, sie wirken auf die spezielle Omikron-Variante und parallel dazu auch gegen das Ursprungsvirus. Das ist ein Vorteil.

Bei dem BA.5-Vakzin gab es aber ein besonderes Zulassungsverfahren…

Ja, das ist richtig. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hatte diesen Impfstoff explizit eingefordert. Und im Gegenzug wurde angeboten, auf klinische Studien zunächst ganz zu verzichten. Deshalb gibt es zu diesem Impfstoff keine klinischen Zulassungsdaten, sondern man hat die Wirkung nur in Tierversuchen gezeigt.

Die europäische Arzneimittelbehörde Ema hat dieses Verfahren eigentlich abgelehnt und wollte den BA.5-Impfstoff ohne klinische Studien, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit am Menschen nachgewiesen wird, nicht zulassen. Nun hat sie es doch getan, was mir unverständlich ist.

Warum?

Sehen Sie, wir sprechen hier weiterhin von Notfallzulassungen und ich frage mich, welcher Notfall hier vorliegt. Den BA.5-Impfstoff hätte es angesichts des relativ guten BA.1-Impfstoffs eigentlich nicht unbedingt gebraucht. Und selbst bei dem ist ja nicht nachgewiesen, dass er besser vor schweren Verläufen schützt als die bisherigen Vakzine.

Alexander Kekulé
Alexander Kekulé (Quelle: IMAGO / Revierfoto)

Alexander Kekulé ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In der Corona-Pandemie machten ihn zahlreiche TV-Auftritte sowie sein MDR-Podcast "Kekulés Corona-Kompass" bekannt.

Man ging offenbar nach dem Motto vor: Wenn der eine wirkt, wird es der andere wohl auch …

Eine solche "Expertenschätzung" ist beim Fehlen belastbarer Daten nicht unüblich, aber die Frage ist, ob man bei diesen neuartigen mRNA-Impfstoffen so vorgehen sollte. Es ist weder klar, dass die BA.5-Vakzine besser schützen, noch kann man ausschließen, dass die bekannten Nebenwirkungen etwas häufiger auftreten. Für eine seriöse Nutzen-Risiko-Bewertung hätte ich mir eine bessere Datengrundlage gewünscht. Diese nochmals angepassten Impfstoffe zuzulassen, war auch eine politische Entscheidung.

Dennoch sind Sie dafür, den Impfstoff zu verwenden?

Ja, weil wir nicht wissen, welche neuen Varianten noch auf uns zukommen. Ich gehe davon aus, dass zunächst weitere Untervarianten von Omikron auftauchen werden, und da kann es von Vorteil sein, schon mal einen Omikron-Impfstoff erhalten zu haben.

Beide Impfstoff-Typen scheinen ein Dilemma nicht lösen zu können: Sie schützen langfristig kaum vor der Infektion …

Richtig, der Schutz vor Ansteckung dürfte bei unter zehn Prozent liegen. Sie sind aber relativ gut wirksam bei der Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe.

Die Stiko hat eine Empfehlung herausgebracht. Was raten Sie als Mediziner darüber hinaus?

Das werde ich häufig gefragt – und auch meine Antwort ist leider nicht mehr als eine "Expertenschätzung": Ab 60 Jahren sollte man sich nach sechs Monaten boostern, Menschen ab 80 oder mit anderen Risiken bereits nach vier Monaten. Es gilt der Abstand zur letzten Impfung oder durchgemachten Corona-Infektion.

Der amerikanische Präsident Joe Biden hat nun das Ende der Pandemie verkündet. Sehen Sie das auch so?

Ich hoffe das auch, diese Entwicklung hatte ich ja seit einem Jahr prognostiziert. Es könnte gut sein, dass die Pandemie als Notfall tatsächlich schon vorbei ist. Wirklich klar wird das aber erst nach diesem Winter sein. Wir werden noch einmal eine Herbstwelle bei der Inzidenz sehen. Wenn die schweren Erkrankungen und Todesfälle nicht stärker als bei einer Grippesaison zunehmen, ist nach meiner Definition die Pandemie vorbei.

Weil jedoch weder Joe Biden noch die Virologen eine Kristallkugel haben, würde ich in öffentlichen Verkehrsmitteln und engen Geschäften noch einmal zur Maskenpflicht raten. Alte und Menschen mit Grunderkrankungen sind hier auf unsere Solidarität angewiesen.

Herr Kekulé, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Kekulé
  • Nachrichtenagentur dpa
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