Vorsorge in der Pubertät Sind die J-Untersuchungen überflüssig?
Die Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U11 enden mit dem elften Lebensjahr eines Kindes. Damit Störungen in der Entwicklung auch bei Teenagern rechtzeitig erkannt werden können, wurden zusätzlich die freiwilligen Jugenduntersuchungen J1 und J2 eingeführt. Sind diese Checkups sinnvoll oder nur "voll peinlich"?
Mit den Untersuchungen U1 bis J2 soll der komplette Zeitraum zwischen dem ersten Lebenstag und dem Erwachsenwerden abgedeckt werden. Die J1 wendet sich an 12- bis 14-Jährige, die J2 an 16- bis 17-Jährige.
Im Fokus stehen stets Faktoren, die für die Kindesentwicklung in der jeweiligen Lebensphase wichtig sind. Bei Teenagern gehören dazu auch Mobbing, Sexualität, Drogen, Freundeskreis und Berufswahl. Doch wollen Jugendliche darüber wirklich mit dem Kinderarzt reden?
Es gibt keine Pflicht zur J-Untersuchung
Alle Krankenkassen bezahlen die U1 bis U9 sowie die J1. In einigen Bundesländern wird zentral erfasst, ob Eltern die Termine wahrgenommen haben. Gesetzlich verpflichtend sind sie allerdings nicht. Die Eltern erhalten lediglich Erinnerungsschreiben von der Krankenkasse. Manche Kinderarztpraxen bieten ein Recall-System an und erinnern ihre Patienten rechtzeitig an die anstehenden Untersuchungen..
Spätestens bei der Schuleingangsuntersuchung werden ausgelassene U-Untersuchungen bemerkt. "Rechtliche Konsequenzen gibt es zwar keine, aber bei der Diskussion um eine mögliche Kindeswohlgefährdung werden versäumte Untersuchungen von den Jugendämtern kritisch gesehen", sagt der Erlanger Kinder- und Jugendarzt Karl-Heinz Leppik im Gespräch mit t-online.de.
"Es gibt keine Abmahnung, wenn man ein Kind nicht zur J1 bringt. Einige Kassen informieren ihre Versicherten, aber es ist ein freiwilliges Angebot", bestätigt auch Claudia Widmaier vom GKV-Spitzenverband.
Weitere Untersuchungen, die der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte für sinnvoll erachtet, werden nicht von allen Kassen bezahlt. Zum Beispiel die U10, die U11 und die J2. "Aber viele Kassen bieten ihren Versicherten die J2 als freiwillige Leistung an", sagt Widmaier.
Der Kinderarzt als Vertrauensperson?
Vor allem die J1 wird von den Kinder- und Jugendärzten als wichtig eingeschätzt. Sie ist zwischen zwölf und vierzehn Jahren vorgesehen. Der Blickpunkt liegt nicht nur auf den üblichen Parametern wie Größe, Gewicht, Impfstatus, Blut- und Urinwerten, sondern auch auf der Pubertät mit typischen Schwierigkeiten wie Hautproblemen und Essstörungen.
Man geht davon aus, dass der Kinder- und Jugendarzt seine Patienten von klein auf kennt und damit eine Vertrauensperson ist, mit der der Teenager auch bereit ist, über Sexualität und Verhütung, Drogenmissbrauch, Rauchen und allgemeine Probleme mit der Familie, im Freundeskreis oder in der Schule zu sprechen.
"Das ist alles voll peinlich"
Die 15-jährige Lea hält von J-Untersuchungen gar nichts: "Unser Kinderarzt ist wirklich nett, ich mag ihn, aber ich erzähle ja nicht mal meiner Mutter alles. Da schütt‘ ich ihm ganz sicher nicht mein Herz aus."
"Ich finde das albern", sagt Lea weiter. "Ich kenne nur zwei Mädchen, die da überhaupt hingegangen sind. Die wurden von ihren Müttern mehr oder weniger gezwungen. Freiwillig hätten die das nie gemacht. Gesagt haben sie ganz sicher auch nichts. Man geht doch nicht da hin und erzählt, dass man ab und zu heimlich Alkohol trinkt oder nicht weiß, wie es ist, einen Jungen zu küssen. Das ist alles voll peinlich."
Die J1 kann auch der Hausarzt machen
Valeria ist eines der Mädchen, die die J1 genutzt haben. "Stimmt schon, meine Mutter wollte das. Aber als ich gesagt habe, dass ich nicht mehr zum Kinderarzt will, hat sie einen Termin bei unserer Hausärztin ausgemacht. Die hat mich ohne allzu viele peinliche Fragen durchgecheckt. Das fand ich ganz gut."
Auch von Kassenseite steht dem nichts entgegen. Alle U-Untersuchungen und die J1 können genauso von Hausärzten durchgeführt werden. Bei der J2 ist das nicht immer so. Die Verträge der gesetzlichen Krankenkassen sind hier unterschiedlich. Teilweise sind hier nur Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin erlaubt, teilweise dürfen auch Hausärzte untersuchen.
Nein sagen erlaubt
Valerias Mutter war ebenfalls beruhigt: "Mir ging es um die körperlichen Aspekte. Eine Bekannte hatte mir erzählt, dass bei ihrer Tochter bei der Jugenduntersuchung ein Schilddrüsenproblem frühzeitig erkannt wurde. Bei den anderen Punkten, die normalerweise bei den J-Untersuchungen abgefragt werden, bin ich mir sicher, dass Valeria eher zu mir käme als darüber mit einem Arzt zu sprechen."
Aber genau hier sieht sie ganz allgemein das Problem der J-Untersuchungen: "Auf der einen Seite ist es natürlich gut, wenn es das Angebot gibt, auch außerhalb des Elternhauses – in einem geschützten Rahmen – über manche Themen wie Sexualität zu sprechen. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass Jugendliche von allein zu seiner solchen Untersuchung gehen."
Jonathan schüttelt sich bei der Erinnerung an seine J2: "Ich bin da eigentlich freiwillig hingegangen, aber als die Ärztin mein Ding untersucht hat, habe ich gedacht, ich muss im Boden versinken. Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich da nicht hin." Dass er die Möglichkeit gehabt hätte, die Untersuchung abzulehnen, weil sie ihm zu intim ist, hat er erst im Nachhinein erfahren.
Probleme entdecken und früh genug gegenwirken
Die körperlichen Untersuchungen sind wichtig, aber das Hauptaugenmerk liegt auf der psychosozialen Situation. "Die Pubertät ist häufig durch Identitätskrisen der Jugendlichen gekennzeichnet, hieraus können Probleme mit Eltern, Schule und Peergroup entstehen. Auch Störungen der sexuellen Identifikation können auftreten", sagt Kinderarzt Leppik.
In seiner Praxis, die er gemeinsam mit Kollegen führt, werden verhältnismäßig viele J-Untersuchungen durchgeführt. "Die Besprechung psychosozialer Themen hängt stark von der Beziehung des Jugendlichen zum Arzt ab. Ob wir immer ehrliche Antworten bekommen, können wir nicht sicher beantworten. Im Rahmen der Vorsorge konnten wir jedoch bei einigen Jugendlichen Probleme aufdecken und notwendige Therapien in die Wege leiten."
Eltern müssen draußen bleiben
Abgesehen von den Teenagern, die ihre Eltern lieber dabei haben, gilt die Regel: Die Eltern bleiben bei den J-Untersuchungen außen vor. Sie werden aber mit ins Boot geholt, wenn sich Probleme abzeichnen. "Bei Anzeichen für Alkohol- oder Drogenkonsum oder anderem Suchtverhalten versuchen wir in einem Gespräch dem Jugendlichen zu vermitteln, dass er sich damit stark gefährdet und wir die Eltern informieren müssen. Natürlich bieten wir dem Jugendlichen und den Eltern zusätzlich Unterstützung an, und wir sind mit anderen Hilfseinrichtungen gut vernetzt."
Auch Leppik weiß, dass ein Großteil der Jugendlichen, die zu ihm und seinen Kollegen zur J1 oder J2 in die Praxen kommen, eher der Kategorie "wohlbehütet" zuzuordnen sind. "Aber unser Ziel ist es, die J1 im Bewusstsein so zu etablieren, dass mehr Jugendliche auch aus Risikogruppen kommen."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.