Dauerbeatmete Kinder "Bärenstark" und "Kinderinsel" - ein Zuhause für beatmete Kinder
20 bis 30 Mal atmen Kinder normalerweise pro Minute ein und aus. Für manche ist Luft holen jedoch nicht selbstverständlich: Einige Kinder brauchen dabei Unterstützung oder sind komplett auf Maschinen angewiesen. Für ihre Eltern stellt das eine besondere Herausforderung dar. Spezielle Einrichtungen, wie zum Beispiel "Bärenstark" in Darmstadt oder die "Kinderinsel" in Siegen, haben sich auf dauerbeatmete Kinder eingestellt und können helfen. Einige Kinder lernen sogar wieder, selbst zu atmen - mit Hilfe eines speziellen Schrittmachers.
Darum müssen Kinder beatmet werden
Rund 400 Kinder, die dauerhaft beatmet werden müssen, leben in Deutschland. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. So können angeborene Störungen, Muskel- oder Stoffwechselkrankheiten eine Beatmung notwendig machen, aber auch Unfälle, die beispielsweise zu einer hohen Querschnittslähmung geführt haben. Kinder, die am sogenannten Undine-Syndrom leiden, atmen tagsüber selbst, brauchen in der Nacht aber eine maschinelle Unterstützung.
Hinzu kommen extrem frühgeborene Babys, deren Zahl in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Bei ihnen ist häufig die Lunge noch nicht ausgereift, und Ärzte und Eltern müssen in den ersten Lebenstagen weitreichende Entscheidungen treffen: Sollen die Kinder beatmet werden, kann das unter Umständen die Lunge noch stärker schädigen. Beatmet man dagegen nicht, droht den Kindern ein Sauerstoffmangel. Andererseits gibt es auch immer wieder Frühchen, bei denen auch nach einer anfangs vollständigen Beatmung die Lunge nachgereift ist und die dann selbstständig atmen können.
Beatmete Kinder "lebten" früher im Krankenhaus
Noch vor 20 Jahren hatten die meisten der dauerbeatmeten Kinder keine langfristigen Überlebenschancen. Sie fristeten ihr Dasein auf Intensivstationen in Krankenhäusern, weit abgeschnitten von Familie, Freunden und dem Leben "draußen", immer in Abhängigkeit vom Beatmungsgerät. Um solche Kinder medizinisch gut zu versorgen, ihnen aber auch gleichzeitig ein würdevolles Zuhause zu schaffen, wurde auf dem Gelände der Kinderklinik in Siegen vor rund zehn Jahren die "Kinderinsel" gegründet. Das ist eine medizinisch-pflegerische Einrichtung, die sich auf die Belange von Kindern, die dauerhaft beatmet werden müssen, eingestellt hat.
Am normalen Leben teilnehmen
Heute ist aus der "Kinderinsel" eine "Intensivstation mit Wohncharakter" geworden, wie Ärzte und Pflegekräfte ihre Einrichtung liebevoll nennen. Die Abhängigkeit der Kinder vom Beatmungsgerät ist geblieben, aber sonst hat sich für sie die Welt buchstäblich geöffnet. Weil die Beatmungsgeräte mittlerweile mobil und handlich geworden sind, können die Kinder das Haus verlassen, Kindergarten und Schule besuchen. Die Betreuer versuchen, den Kindern all das zu bieten, was ihnen früher verwehrt war: möglichst viel Teilhabe am "normalen" Leben.
Die meisten beatmeten Kinder leben heute zu Hause
Der Fortschritt der medizinischen Geräte brachte noch eine weitere Veränderung mit sich: "Vor 1990 gab es praktisch keine beatmeten Kinder, die zu Hause lebten", erklärt Dr. Rainer Blickheuser, Leiter der Abteilung Anästhesie und Langzeitbeatmung der DRK-Kinderklinik in Siegen. "Heute werden etwa zwei Drittel der Kinder zu Hause von den Eltern versorgt."
Die Pflege ist aufwendig
Für die Eltern von dauerbeatmeten Kindern ist das keine leichte Situation. Die Pflege ist aufwendig und muss rund um die Uhr erfolgen, dazu kommt der Umgang mit dem Beatmungsgerät. Die Kinder atmen nicht durch Mund und Nase, sondern werden durch eine Kanüle in der Luftröhre, dem sogenannten Tracheostoma, mit Sauerstoff versorgt. Die Kanüle benötigt eine regelmäßige Reinigung, außerdem müssen nach Bedarf Sekrete aus dem Rachen abgesaugt werden, sonst drohen die Kinder zu ersticken. Kleinere Krankheiten oder Infekte, wie sie für Kinder typisch sind, können schnell lebensbedrohlich werden. Zwar werden die Eltern durch professionelle Pflegekräfte unterstützt, den Umgang mit dem theoretisch ständig drohenden Erstickungstod müssen viele jedoch erst erlernen. Dennoch konnten in Siegen schon rund 50 Kinder in die ambulante Betreuung entlassen werden.
Manche Kinder sind aber so krank, dass eine Versorgung zu Hause nicht möglich ist. Die "Kinderinsel" wird dann auf Dauer ihr Zuhause.
So viel Normalität wie möglich
Kommen neue Bewohner, die zum Teil erst wenige Wochen alt sind, in die "Kinderinsel", ist es zunächst wichtig, ihre Beatmungssituation zu stabilisieren. Danach wird jedes Kind individuell gefördert, um so viel Selbstständigkeit und Normalität wie möglich zu erreichen. Dafür steht ein Team aus Ärzten, Therapeuten, Pädagogen und Pflegern zur Verfügung. Durch die Lage auf dem Krankenhausgelände ist gleichzeitig die medizinische Versorgung gesichert. Die zum Teil schwerstkranken Kinder müssen für Folgeeingriffe nicht verlegt werden und können nebenan in der Klinik behandelt werden. Diese Rundumversorgung ist deutschlandweit einmalig.
Atmen ohne Maschine: der Zwerchfellschrittmacher
In Siegen gibt es für dauerbeatmete Kinder noch eine ganz besondere Option: den Zwerchfellschrittmacher. Dieser wird, ähnlich wie ein Herzschrittmacher, in den Körper eingepflanzt und imitiert die natürliche Atmung: Durch elektrische Stimulation zieht sich das Zwerchfell zusammen, ein Unterdruck entsteht und Luft strömt in die Lunge. Die Kinder atmen also ohne Maschine, können meist wieder riechen und schmecken, weil die Luft jetzt auch durch Mund und Nase, und nicht nur durch das Tracheostoma strömt. Der Gewinn an Lebensqualität ist enorm. Allerdings kommt der Eingriff nicht für alle Kinder in Frage. "Das Zwerchfell und der Nerv, der es versorgt, müssen intakt sein", erklärt Dr. Blickheuser. Rund zwei Mal jährlich wird in Siegen ein Zwerchfellschrittmacher bei Kindern implantiert.
"Bärenstark" in Darmstadt
Einrichtungen, in denen dauerbeatmete Kinder leben und betreut werden, gibt es inzwischen auch in anderen Städten. So wurde beispielsweise in Darmstadt 2012 die Pflegeeinrichtung "Bärenstark" eröffnet. Der Neubau mitten in der Stadt bietet 15 Kindern ein Zuhause, für manche auf Zeit, für einige dauerhaft. Initiator der Einrichtung war ein Vater, der ebenfalls ein schwerkrankes Kind hatte. Die Betreiber haben sich viel Mühe gegeben, keine Krankenhausatmosphäre aufkommen zu lassen: Die Wände sind hellgrün gestrichen, luftige Vorhänge schirmen die Fenster ab und die Kinder liegen nicht in Krankenhaus-, sondern in richtigen Kinderbetten.
Situation kann jederzeit lebensbedrohlich werden
"Unser Ziel ist es, die Kinder hier so lange zu versorgen, bis sie nach Hause in eine ambulante Betreuung entlassen werden können", sagt die Geschäftsführerin von "Bärenstark", Daniela Jentsch. Dann sind bis zu sechs Pflegekräfte pro Kind nötig, um eine 24-Stunden-Betreuung sicherzustellen - und diese ist nötig, denn theoretisch kann jederzeit eine lebensbedrohliche Situation eintreten. Die Kinder werden immer durch eine examinierte Pflegekraft begleitet, egal ob sie in der Schule, im Kindergarten oder bei Ausflügen unterwegs sind.
Eine Entlassung nach Hause klappt jedoch nicht in allen Fällen. Manche Eltern fühlen sich mit einem beatmeten Kind überfordert und kommen lieber nur "zu Besuch", einige brechen den Kontakt sogar ganz ab. In diesen Fällen übernimmt das Jugendamt die Vormundschaft über die Kinder. Um das zu verhindern, gibt es im "Bärenstark" ein spezielles Konzept zur Elternbindung. Die Eltern können zum Beispiel jederzeit in der Einrichtung übernachten, um ihrem Kind nah zu sein. Außerdem ist es möglich, Kinder, die normalerweise zu Hause leben, auch einmal für kürzere Zeit in der Einrichtung betreuen zu lassen, um den pflegenden Eltern eine Auszeit zu verschaffen.
Ab 18 droht der Umzug ins Altenheim
Der jüngste Bewohner des "Bärenstark" ist gerade mal drei Monate alt, der älteste 15 Jahre. Durch die gute therapeutische, pflegerische, pädagogische und ärztliche Begleitung, insbesondere durch die bestehende Kooperation mit der Prinzessin Margarete Kinderklinik, sind die kleinen Bewohner optimal versorgt. Problematisch wird es, wenn die Kinder volljährig werden, denn dann droht im schlimmsten Fall der Umzug ins Alten- oder Pflegeheim. Dort werden die Patienten medizinisch zwar gut versorgt, aber nicht mit speziellen Therapien gefördert. "Es gibt gute Einrichtungen für junge Erwachsene, aber nicht genug", so Jentsch, denn die Lebenserwartung von dauerhaft Beatmeten sei gestiegen.
"Dass unsere Patienten 30 Jahre alt werden, ist durchaus nicht ungewöhnlich", sagt auch Dr. Blickheuser und fasst zusammen: "Man kann gut mit Langzeitbeatmung leben."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.