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Psychische Erkrankung: Wie sich eine Erkrankung auswirkt


Psychisch kranke Eltern
"Mein Mann ist wie eine tickende Zeitbombe"

Von t-online
Aktualisiert am 25.01.2013Lesedauer: 5 Min.
Psychische Erkrankung: Johannes zieht sich oft zurück und rastet aus heiterem Himmel aus.Vergrößern des Bildes
Johannes zieht sich oft zurück und rastet aus heiterem Himmel aus. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Dass Johannes nicht das ist, was man allgemein als "normal" bezeichnet, das war Evelyn* schon lange klar. Doch sie redete sich ein, dass ihr Mann nun einmal nicht dem Durchschnitt entspreche. Wenn er sich seltsam verhielt, dann deckte sie sein Verhalten. Stellte sich schützend vor ihn, log für ihn. Nur, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, dass das Problem, das sie hatten, viel größer war und immer mehr auch ihre Kinder betraf. Denn Johannes ist psychisch krank.

Ein Mann mit zwei Gesichtern

"Der hat sie doch nicht mehr alle!" Diesen Satz hörte Evelyn oft, wenn sie jemandem mal ihr Herz ausschüttete. Was selten genug vorkam. Wenn sie erzählte, wie sich Johannes ihr gegenüber manchmal verhielt, dass er zwei Gesichter hat und ihm die Erinnerung an Gesagtes und Getanes oft völlig verloren ging. "Eigentlich ist mein Mann eine Seele von Mensch. Und ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann. In seinen guten Momenten war das auch immer zu spüren. Er hatte keine einfache Kindheit und er sehnt sich nach dem Halt durch Frau und Kinder."

Doch Kleinigkeiten, einzelne Worte oder Blicke - nur für ihn nachvollziehbar - konnten in dem 35-Jährigen einen Schalter umlegen. "Wenn er sich zum Beispiel eine Situation ausgemalt hat und sie ist nicht genau so eingetroffen, dann wurde aus Johannes von einem Moment auf den anderen der personifizierte Hass. Das Problem war, dass er nicht kommunizierte, was in seinem Kopf vorging, sondern von mir erwartete, dass ich das wüsste. Er machte mir oft Angst, war völlig unberechenbar."

Freunde in der Not kommen Tausend auf ein Lot

"Sollte ich je die Treppe herunterstürzen und das nicht überleben, dann bin ich ziemlich sicher nicht gestolpert!" Diesen Satz aus Evelyns Mund wird ihre beste Freundin nie vergessen. Sie war immer einer der wenigen Menschen, die Evelyn glaubten und ihre Erzählungen nicht für maßlose Übertreibung hielten. "Das Problem ist, du spürst tief im Inneren, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Und du hast das Bedürfnis, dir mal alles von der Seele zu reden. Aber du fürchtest dich auch vor der Reaktion der anderen. Eigentlich hast du irgendwann Angst vor allem."

Johannes und Evelyn wohnen mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in einer Neubausiedlung. Hier kennt man sich, hier spielen die Kinder miteinander, hier hat man ein bestimmtes Bild zu erfüllen. Wem sie vertrauen kann und wem nicht, das lernte Evelyn schmerzhaft und schnell.

Krankes Verhalten macht auch das Umfeld krank

Im Laufe der Jahre entwickelte sie sich nicht nur zu einer Meisterin des Versteckens, sondern auch des Verdrängens. Jahrelang hat sie die Situation ertragen, sich in guten Zeiten immer wieder alles schön geredet und sich auch unglaubwürdig gemacht bei ihren Freunden, die ihr regelmäßig zur Trennung rieten. Doch da waren auf der einen Seite die Gefühle für diesen Mann, gepaart mit Selbstzweifeln, ob sie nicht wirklich völlig übertreibe, und auf der anderen Seite die Kinder, die regelrecht abhängig zu sein scheinen von der Liebe ihres Vaters.

Wenn er bereit war, ihnen diese Liebe zu geben, dann saugten sie sie förmlich auf. "Als würden sie wie die kleine Bilderbuchmaus Frederick die schönen Momente sammeln für die kalten Zeiten." Als Evelyn das sagt, kämpft sie mit den Tränen. Die Sozialpädagogin plagt sich mit Selbstvorwürfen: "Ich hätte viel früher erkennen müssen, was hier läuft. Aber wer will sich schon eingestehen, dass das Verhalten des Partners krank ist und auch den Rest der Familie krank macht?"

Das Verhalten des Vaters wird immer extremer

Anfangs gelang es Johannes, sich vor den Kindern zu verstellen beziehungsweise sich einfach stundenlang komplett zurückzuziehen, wenn er für sich mit etwas nicht mehr klarkam. Doch mit den Jahren funktionierten diese Schutzmechanismen immer weniger. Auch Evelyn fiel es immer schwerer, das Verhalten ihres Mannes auszugleichen. Die extremen Stimmschwankungen ließen sich nicht mehr verbergen. Die verbalen und emotionalen Ausrutscher wurden nicht nur seiner Frau, sondern inzwischen auch seinen Kindern gegenüber immer heftiger, seine Entschuldigungen immer theatralischer und tränenreicher - eine seelische Belastung auch für die Kinder.

Chaos in der Kinderseele

Lena hatte Schwierigkeiten, sich in der Schule zu konzentrieren, konnte abends nicht zur Ruhe kommen und kapselte sich immer mehr ab. Ihre Freundinnen wollten sie nicht mehr besuchen. Sie hatten zu oft bei Übernachtungsbesuchen oder ähnlichem die seltsam wechselhaften Stimmungen des Vaters zu spüren bekommen. Als Lena in die Pubertät kam, war es für die heute Vierzehnjährige besonders schlimm. In einem Alter, in dem man die väterliche Bestätigung dringend braucht, bekam sie von ihrem Vater ein Bild von sich gespiegelt, das seiner jeweiligen psychischen Lage entsprach. Essstörungen waren die Folge.

Auch ihr kleiner Bruder Jan begann zu leiden. Der Fünfjährige band sich sehr eng an den Vater, machte alles, um es diesem Recht zu machen und litt offensichtlich, wenn sein Papa fort musste. Seine Verlustängste steigerten sich sichtbar von Tag zu Tag. Im Kindergarten versuchte er oft mit Fäusten für Gerechtigkeit zu sorgen und sein Ruf schwankte zwischen Raufbold und Heulsuse. Denn jede kleinste Form von Zurückweisung, ein lapidar dahingesagtes "du darfst nicht mitspielen", sorgte jedes Mal für emotionales Chaos in der kleinen Kinderseele.

Trennung scheint der letzte Ausweg zu sein

Zwischen Johannes und Evelyn kam es immer öfter zum Streit. "Ich konnte nicht mehr mit ansehen, was Johannes Verhalten bei uns allen auslöste. Ich fühlte mich hilflos, entwickelte psychosomatische Beschwerden, rannte von einem Therapeuten zum nächsten, von der Erziehungsberatung zum Kinderpsychologen - doch sie alle sagten mir das Gleiche: mein Mann ist das Problem. Solange sich hier nichts ändert, wird sich auch an der Situation nichts ändern. Also setzte ich ihm das Messer auf die Brust, drohte mit Scheidung."

Zunächst nahm Johannes seine Frau nicht ernst. Doch als diese immer vehementer auf Trennung bestand, ihn angriff und zu einer Reaktion herausforderte, reagierte er. Der Informatiker flippte komplett aus, zertrümmerte die Wohnungseinrichtung und kündigte seiner Frau und den völlig verängstigten Kindern an, sich umzubringen. Daraufhin verschwand er für Stunden und kam erst wieder, als er sich zu einem Entschluss durchgerungen hatte: Er will sich Hilfe holen.

Eine Gefahr für sich und andere

Der Gang zum Arzt, das Sich-Öffnen und Zugeben von massiven Schwierigkeiten fiel Johannes nicht leicht - sah er sich selbst doch immer als jemand, der alles im Griff hat, seinen Mann steht. Aber er hatte erkannt, dass er jetzt handeln muss, wenn er nicht verlieren will. "So wie es am Schluss war, war Johannes eine Gefahr für sich und für uns. Eine unberechenbare Größe, wie eine Bombe, die man zuhause herumliegen hat." Jetzt hat ihm ein Psychiater Medikamente verschrieben und er hat eine Therapie begonnen. "Natürlich hoffe ich, dass ich dadurch meinen Mann wieder bekomme, aber es ist auch viel kaputt gegangen in den letzten Jahren."

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Der häusliche Frieden ist nur mit Vorsicht zu genießen

Es fällt Evelyn leichter, mit der Situation umzugehen, seit sie weiß, dass ihr Mann krank ist. Dass er unter einer Persönlichkeitsstörung leidet. Und seit sie einen Namen für das hat, was ihre Familie so lange quälte. Das Paar, das seit mehr als zwanzig Jahren zusammen ist, hat sich zusätzlich in eine Paartherapie begeben. Es ist einzige Raum, in dem sich Johannes und Evelyn erlauben, über sich, ihre Gefühle und ihre Beziehung zu sprechen. "Zu Hause trauen wir uns das nicht. Da schleichen wir eher umeinander herum. Wir brauchen jemanden, der moderiert. Der uns hilft, das wirklich zu verstehen, was der andere sagt." Daheim richten sie ihren Fokus darauf, Ordnung ins Familiensystem zu bekommen. Denn auch Jan und Lena müssen das Erlebte erst einmal verarbeiten. "Es ist wichtig, dass die Kinder wieder ein Gefühl des Haltes bekommen, der Sicherheit und der Normalität." Ein Wert, der bei der Familie lange nicht mehr gewohnt hat.

* Namen von der Redaktion geändert

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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