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Gehörlosigkeit: Hören mit CI-System


Cochlea-Implantat
Ein Wunder der Technik: Wie taube Kinder das Hören lernen

t-online, Anja Speitel

28.11.2012Lesedauer: 8 Min.
Die gehörlos geborenen Geschwister Leopold und Katharina können sich dank CI-Technik normal miteinander unterhalten.Vergrößern des Bildes
Die gehörlos geborenen Geschwister Leopold und Katharina können sich dank CI-Technik normal miteinander unterhalten. (Quelle: Anja Speitel)

Es ist ein Wunder der Technik: Dank Cochlea-Implantat-Systemen (CI) können Taube hören lernen! Katharina (11) und Leopold (9) wurden gehörlos geboren und im Kleinkindalter mit CIs versorgt. Heute sprechen die Geschwister trotz ihrer Behinderung ganz normal und besuchen Regelschulen. Eine faszinierende Entwicklung, die vor 20 Jahren noch unmöglich gewesen wäre.

Katharina sitzt strahlend vor mir und plappert munter drauf los: "Das einzige, was mich an meinem CI stört, ist, dass ich es beim Schwimmen nicht tragen kann. Dann höre ich nichts", sagt Katharina. "Deshalb stelle ich mich beim Schulschwimmen immer ziemlich weit nach hinten. So sehe ich an den anderen, was wir machen sollen und kann es ihnen nachmachen." Das süße Mädchen hat ganz dicke Haare - und so sieht man nicht, dass an beiden Seiten ihres Kopfes eine Art runder Magnet klebt, der sich Kontaktspule nennt. Nichts deutet darauf hin, dass Katharina eigentlich taub ist. Nur wenn sie die Haare zum Pferdeschwanz bindet, kommen Sprachprozessoren zum Vorschein, die hinter ihren Ohrmuscheln sitzen und aussehen wie Hörgeräte. "Ich trag mein CI immer, auch beim Schlafen. Denn morgens beim Aufwachen will ich gleich etwas hören", sagt Katharina, die seit September ein Gymnasium in der Nähe von München besucht. "Da bin ich in einer Bläserklasse, weil ich Querflöte spiele", berichtet sie stolz.

Hören trotz Taubheit

Katharina kann Musik genießen, dem vertrauten Klang von Mamis Stimme bei der Gute-Nacht-Geschichte lauschen, beim Aufwachen die Vögel zwitschern hören, mit ihren Freundinnen sprechen und ein Gymnasium besuchen - obwohl sie taub geboren wurde! Noch vor 20 Jahren hätte sie eine Gehörlosenschule besucht und Gebärden gelernt, um mit anderen kommunizieren zu können. Die wunderbare Welt des Hörens wäre ihr verschlossen geblieben.

Schwerhörigkeit stellt mit zwei bis drei von 1000 Neugeborenen die häufigste angeborene Sinnesbehinderung dar. "Ohne ausreichendes Hörvermögen sind eine natürliche Sprachentwicklung und damit eine normale Kommunikationsfähigkeit nicht möglich", gibt Andreas Nickisch, 
Leiter der Abteilung Hören-Sprache-Cochleaimplantate am CI-Zentrum für Kinder des kbo-Kinderzentrums in München zu bedenken. Insgesamt rund 330 CI-Kinder bis 18 Jahre werden dort momentan betreut. Jährlich kommen circa 40 kleine CI-Patienten neu dazu. "Wenn eine Schwerhörigkeit oder eine Taubheit diagnostiziert wird, versucht man immer zunächst eine Hörgeräteversorgung. Erreicht man durch Hörgeräte nicht, dass der gesamte sprachrelevante Frequenzbereich hinreichend wahrgenommen wird, ist die Versorgung mit CIs seit rund 15-20 Jahren die Regel", erklärt Nickisch. "Denn für eine gute Sprachentwicklung ist es erforderlich, auch Leises hören zu können, um zum Beispiel Wortendungen und unbetonte Silben zu erkennen." Darüber hinaus wird auch die geistige, soziale und emotionale Entwicklung des Menschen durch die Hörfähigkeit entscheidend geprägt.

Cochlea-Implantat - eine der bedeutendsten medizinischen Erfindungen unserer Zeit

Die mit Flüssigkeit gefüllte Hörschnecke - medizinisch als Cochlea bezeichnet - liegt im Innenohr und ist der Sitz des eigentlichen Hörorgans. Cochlea-Implantate sind Hörprothesen, die die ausgefallene Funktion der Hörschnecke in hohem Maße ersetzen können. "In der Regel dauert die Operation, bei der eine Elektrode in die Hörschnecke und das Implantat unter die Haut hinter der Ohrmuschel gesetzt wird, zwei bis drei Stunden.

Die Cochlea-Implantat-Operation gilt als ein risikoarmer Eingriff", weiß Nickisch. Das Implantat hat im Inneren einen Magneten, der später die ebenfalls magnetische Kontaktspule außen auf der Kopfhaut in Position hält. Das, was hinter Katharinas Ohr aussieht wie ein Hörgerät, ist der Sprachprozessor (CI-AudioProcessor) mit einem Mikrofon. Es fängt Geräusche auf und gibt sie an den Prozessor weiter, der die Schallsignale in elektrische Pulsmuster umwandelt und zur Spule weiterleitet. Von dort werden sie durch

die Haut zum Implantat gesendet. Dieses entschlüsselt das Pulsmuster und leitet es an die in der Cochlea sitzende Elektrode weiter. So wird der Hörnerv stimuliert, der die Signale an das Hörzentrum im Gehirn übermittelt. Das Gehirn interpretiert diese Signale als akustische Ereignisse.

Katharina zeigte als Baby Auffälligkeiten

"Ich wusste ja gar nicht, dass es solch eine Technik gibt", erinnert sich Katharinas und Leopolds Mutter Johanna. Als sie im Dezember 2001 mit 38 Jahren ihr Töchterchen bekam, hatte sich der Traum einer Familie endlich für sie und ihren Mann Werner erfüllt. "Ich war zum ersten Mal Mutter geworden. Also wusste ich nicht so genau, wie sich Babys verhalten. Doch mein Bauch sagte mir, dass etwas nicht stimmt."

Diese Befürchtung nährten Auffälligkeiten: "Gab ich Katharina morgens bei uns im Bett das Fläschchen und der Wecker meines Mannes klingelte, reagierte sie darauf gar nicht. Sie hat auch nie geweint, wenn ihre Spieluhr ausging", erzählt Johanna. "Ich hab erst gedacht: Katharina hat halt ein ruhiges Gemüt, die ist einfach sehr zufrieden. Doch dann waren wir in einer Woche gleich zweimal bei Freunden eingeladen: Erst sprang ein kleiner Hund laut bellend um ihre Tragetasche rum und ein paar Tage später fiel der Tochter meiner Freunde hinter Katharina ein dickes Spaghettiglas auf den Steinboden. Beide Male zeigte Katharina überhaupt keine Reaktion darauf." Da war Katharina etwa vier Monate alt und Johanna ging mit ihr zum Kinderarzt. Der konnte aber nichts feststellen und überwies sie ins Krankenhaus.

Mit Aktivität auf die Schock-Diagnose reagiert

Katharina war schon sieben Monate alt, als die Familie dann Klarheit bekam: "Ihre Tochter ist schwerst schwerhörig oder taub, sagte die Ärztin. Ich erinnere mich daran, als sei es gestern gewesen. Ich war so geschockt, dass ich zu einer Freundin fuhr und sie erstmal um einen Cognac bat", sagt Johanna. "Beim zweiten Termin im Krankenhaus erfuhr ich dann, dass es zwei Möglichkeiten für Katharina gibt: Gebärden lernen oder ein CI setzen." Da wich die Schockstarre der Aktivität: "Ich habe es einfach angepackt, bin sogar zum CI-Hersteller MED-EL gefahren und hab mich dort direkt informiert. Im Krankenhaus und später im kbo-Kinderzentrum konnte ich Katharinas Behinderung auch mit Psychologen aufarbeiten. Ich habe aber nie gefragt, 'warum wir?', 'war ich zu alt?' oder ähnliches, sondern habe immer nach vorne geschaut. Ich hatte auch keine Angst, wieder ein gehörloses Kind zu bekommen, als ich erneut schwanger wurde - denn jetzt wusste ich ja, was wir dann machen können. Das es so gut wird, wie es jetzt ist, hätte ich damals aber nie geglaubt."

Ein weiteres Kind mit derselben Behinderung

Leopold und Magdalena kamen im Oktober 2003 zur Welt. Da gab es immer noch kein Neugeborenen-Hörscreening, das seit 2009 bundesweit in den Geburtskliniken durchgeführt wird. "Aber bei den Zwillingen war ich natürlich viel sensibler und habe noch in der Geburtsklinik darauf bestanden, den Hörtest zu machen. Das Ergebnis: Leopold wurde mit derselben Einschränkung wie seine ältere Schwester Katharina geboren. Ein Gendefekt führte bei beiden dazu, dass sie taub auf die Welt kamen. Leopolds zweieiige Zwillingsschwester Magdalena aber hörte ganz normal. "Das dachte ich mir schon", erzählt Johanna. "Denn als ich Magdalena mal in der Geburtsklinik gewickelt hatte, war einer anderen Mutter etwas runtergefallen. Da hat Magdalena sich total erschrocken und losgeweint. Es war witzig, denn der Mutter hat das natürlich wahnsinnig leid getan. Als sie sich entschuldigte, sagte ich nur: Macht überhaupt nichts! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dass Magdalena jetzt weint."

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Katharina und Leopold für heutige Verhältnisse erst spät mit CIs versorgt

Kurz vor seinem ersten Geburtstag wurde Leopold mit dem ersten CI versorgt. "Es war damals noch so üblich, mit circa einem Jahr zu operieren. Im September 2004 hat er also rechts sein CI bekommen. In diesem Jahr hatten wir gleich zwei OPs, weil Katharina im April 2004 mit zweieinhalb Jahren ihr zweites CI bekam." Das erste wurde dem Mädchen im Januar 2002 mit über einem Jahr gesetzt.

Das ist für heutige Verhältnisse relativ spät: "Die Zielsetzung heute ist, eine Hörstörung bis zum dritten Lebensmonat zu entdecken. Bringen Hörgeräte keinen für die Sprachentwicklung hinreichenden Hörgewinn, wird das Kind mit etwa sechs bis neun Monaten mit einem CI versorgt. Denn im ersten Lebensjahr lernt ein hörendes Kind Geräuschen eine Bedeutung zuzuordnen und Reaktionen auf eigene stimmliche Äußerungen zu erfahren", erklärt Dr. Nickisch. "Je später die Hörhilfe das Kind unterstützt, desto mehr verzögern sich die Hörentwicklung, das Sprachverständnis und das Sprachvermögen bei tauben Kindern." Haben Kinder allerdings eine mittelgradige Hörschädigung und diese verschlechtert sich beispielsweise, erfolgt auch im späteren Kindes- oder Jugendlichenalter oder im Erwachsenenalter eine Cochlea-Implantation. "Immer, wenn Hörgeräte bei hochgradig schwerhörigen oder tauben Säuglingen und Kleinkindern keine für die Sprachentwicklung hinreichenden Hörgewinne liefern, sind CIs angesagt - das gilt prinzipiell auch für Patienten bis ins hohe Erwachsenenalter, wenn sie als Erwachsene ertauben", so Nickisch.

Hörscreening liefert nur Momentaufnahme

Durch das Neugeborenen-Hörscreening, das heute jedes Kind noch in der Geburtsklinik durchläuft, fallen viele Kinder mit Hörstörungen sehr früh auf. "Doch es gibt einige Kinder, die zum Zeitpunkt der Geburt zwar normal hören, doch im Laufe der ersten Wochen und Monate dann Innenohr-Hörverluste erfahren", warnt Dr. Nickisch. "Dies kommt bei bestimmten genetischen Störungen vor - und die Gene spielen fürs Hören eine große Rolle. Es gibt über 40 unterschiedliche Gendefekte, die zu Hörstörungen führen." Aufs Neugeborenen-Hörscreening allein sollten sich Eltern deshalb nicht verlassen, wenn ihnen etwas an ihrem Kind auffällt. "Das Baby sollte innerhalb der ersten drei Monate deutliche Hörreaktionen zeigen - nicht nur auf laute Geräusche, sondern auch auf leise. Falls Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind irgendwie schlecht hört, sollten Sie unbedingt zur Nachuntersuchung des Hörvermögens gehen", appelliert . Nickisch. "Selbst bei einem unauffälligen Hörscreening. Denn das ist nur eine Momentaufnahme. Die Beobachtung von auffälligen Hörreaktionen durch die Eltern ist sehr, sehr entscheidend und oft viel wichtiger als der Hörtest in der Geburtsklinik." Der Weg für einen weiteren Hörtest sollte jedoch nicht zu einem normalen HNO-Arzt führen, sondern zum Facharzt für kindliche Hörstörungen (Phoniatrie-Pädaudiologie).

Frühförderung ist das A und O für eine gute Entwicklung

Ist die Operation überstanden, ist es damit noch lange nicht vorbei. Die Anpassungsvorgänge des CI-Systems (CI-Rehabilitation) erstrecken sich über zwei Monate. Das ganzheitliche Konzept des kbo-Kinderzentrums enthält zudem eine entwicklungspsychologische Betreuung sowie Fördermaßnahmen von Logopädie über Sprachheilpädagogik bis Musiktherapie bis Psychologie.

"Mit einem CI ist das ja nicht so wie mit einer Brille", gibt Johanna zu bedenken. "Die setze ich auf und sehe klar. Meine Kinder mussten das Hören erst lernen. Sie mussten jedes einzelne Geräusch wahrnehmen und einordnen lernen. Deshalb sagt man, zum Beispiel wenn’s geklingelt hat: Die Türglocke hat geläutet. Und bei Anrufen: Das ist das klingelnde Telefon." Die pädagogisch-audiologische Frühförderung ist deshalb das A und O für eine gute Entwicklung von CI-Kindern. "Das sollte man unbedingt ernst nehmen", weiß Johanna. "Katharina und Leopold hatten neben den Nachbehandlungs-Aufenthalten im Kinderzentrum auch jede Woche einen Nachmittag lang Therapie. Wir haben das konsequent durchgezogen, bis sie in die Schule kamen. Und ich war immer dabei, damit ich wusste, wie ich sie täglich fördern kann."

Nur so können gehörlose Kinder in der Entwicklung gut aufholen. "Eine frühe CI-Implantation in Kombination mit intensiver früher Förderung eröffnet die Möglichkeit und schafft die Voraussetzung, dass das Kind später die Chance hat, eine Regelschule zu besuchen", sagt Nickisch. "Da Hören eben auch eine entscheidende Rolle für die geistige, soziale und emotionale Entwicklung des Kindes spielt, gelten gehörlose Kinder in ihrer Entwicklung im Vergleich zu hörenden Gleichaltrigen als gefährdet. Eventuelle Entwicklungsrückstände lassen sich oft aufholen, wenn man früh implantiert. Deshalb ist es wichtig, die Cochlea-Implantation möglichst früh innerhalb der besonders sensiblen Phase der Hör- und Sprachentwicklung, die zwischen dem sechsten und dem 18. Lebensmonat liegt, vorzunehmen, gibt der Experte zu Bedenken.

Katharina und Leopold stehen alle Chancen offen

Katharina und Leopold haben es geschafft. Durch das große Engagement ihrer Eltern zeigen beide keinerlei Entwicklungsauffälligkeiten, haben viele Freunde und besuchen heute die Regelschule. "Leopold hat sogar die erste Klasse übersprungen", berichtet Johanna stolz. Jetzt in der vierten Klasse hat er immer noch überall stabile Zweier und wird voraussichtlich nächstes Jahr seiner Schwester Katharina aufs Gymnasium folgen. Was er später werden will, weiß Leopold auch schon: "Ich werde Forscher. Und dann entwickele ich ein CI, mit dem man schwimmen und tauchen kann."

Weitere Informationen:

  • CI-Zentrum im kbo-Kinderzentrum München, Heiglhofstr. 63, 81377 München (www.kinderzentrum-muenchen.de); Telefonische Anmeldung im Sekretariat (Doris Liebl): Tel. 089/71009-394; E-Mail: ci-audio-logo@kinderzentrum-muenchen.de
  • Informationen rund um CI-Systeme gibt es auch auf der Herstellerseite www.medel.com
  • Konkrete Tipps, wie Eltern die Hör- und Sprachentwicklung hörgeschädigter Kinder unterstützen können, bietet der Ratgeber "Hörgeschädigte Kinder spielerisch fördern" von Gisela Batliner. Reinhardt Verlag, € 19,90. ISBN 978-3-497-01667-9.
Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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