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Zwangsstörungen bei Kindern: So können Eltern helfen


Ordnen, zählen, wiederholen
Gegen Zwänge sind Kinder hilflos

t-online, Simone Blaß

Aktualisiert am 22.04.2015Lesedauer: 5 Min.
Schätzungen zufolge ist jedes 50. Kind von einer Zwangsstörung betroffen.Vergrößern des Bildes
Schätzungen zufolge ist jedes 50. Kind von einer Zwangsstörung betroffen. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Wenn ein Kind einen extremen Ordnungsfimmel hat, immer wieder die Hände waschen will oder Panik bekommt, wenn es die Handlung nicht ausführen darf, leidet es womöglich unter einer Zwangsstörung. Eine Krankheit, die sich in verschiedenen Facetten zeigt. Experten schätzen, dass jedes 50. Kind betroffen sein könnte.

Eins muss man vorausschicken: 90 Prozent der Bevölkerung, das haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, haben gelegentlich unsinnige Gedanken, die denen von Zwangspatienten gleichen. Doch diese reagieren ganz anders darauf, der "Lautstärkeregler" in ihrem Gehirn ist sozusagen zu stark aufgedreht. Wie viele Menschen genau an einer Zwangserkrankung leiden, kann man nicht sagen, da die Dunkelziffer extrem hoch ist. Man geht aber davon aus, dass allein in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen betroffen sind. Die Krankheit beginnt oft im jungen Erwachsenenalter. Viele aber leiden bereits seit der Kindheit darunter.

Ständiges Händewaschen oder Duschen

Zwangsgestörte Kinder können nicht aufhören, Dinge zu ordnen, zu wiederholen oder zu zählen. Sie stellen sich dauernd vor, dass zum Beispiel dem jüngeren Geschwister etwas zustößt oder fürchten beziehungsweise ekeln sich extrem vor Schmutz und versuchen diesen durch ständiges Händewaschen oder stundenlanges Duschen zu beseitigen, zu neutralisieren. Ein Teufelskreis, der dazu dienen soll, schreckliche Ereignisse und Gefahren zu vermeiden.

Wann wird aus dem Ritual ein Zwang?

Jedes Kind hat seine eigenen Rituale. Ganz typische Beispiele sind hierfür das Spiel mit Gehsteigplatten, die man nicht berühren darf oder das alltägliche exakte Aufreihen von Kuscheltieren. Das ist genauso normal und notwendig wie das immer gleiche Ritual vor dem Schlafengehen. "Solche Phänomene sind meist vorübergehend und behindern das Kind und den Jugendlichen im Alltag kaum, helfen oft sogar, Neues zu lernen, sicher zu sein und sich damit in neuen Lebensphasen rasch und besser zurechtzufinden", heißt es hierzu in einer Broschüre für besorgte Eltern.

Die Frage ist aber, wann wird aus dem Ritual ein Zwang? Antonia Peters von der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ) kennt die Antwort: "Es handelt sich um einen Zwang, wenn die Handlung die Kinder in ihrem Leben beeinträchtigt, ihr Wesen verändert und wenn sie nicht mehr frei spielen können, sich zurückziehen. Dem Kind ist klar, dass seine Handlung unsinnig ist, es kann sie aber trotzdem nicht lassen. Letztendlich werden diese Kinder von ihren Zwängen so eingeengt, dass sie gar nicht mehr sie selbst sein können." Ein solcher Zwang beherrscht und tyrannisiert über kurz oder lang die ganze Familie.

Eine Verhaltenstherapie kann helfen

Vor rund 15 Jahren war die Zwangsstörung kaum bekannt und sie galt als so gut wie unheilbar. Heute kann man, vor allem durch die Fortschritte auf dem Gebiet der kognitiven Verhaltenstherapie, den meisten Patienten helfen. "Wobei es da auch aufs Alter ankommt", so Peters. "Mit sechs oder sieben Jahren ist es durchaus schon möglich, eine Verhaltenstherapie zu machen. Vorher werden die Eltern stärker mit einbezogen und ermuntert, das Kind, in dem, was es neu lernt, zu unterstützen."

Wichtig ist dabei, dass die Eltern die Zwangsstörung nicht auf sich beziehen. Denn das Kind macht das nicht, um sie zu ärgern. "Es geht auch nicht darum, nach einem Schuldigen zu suchen. Es geht vielmehr darum: Was kann ich für mein Kind tun, damit sich die Situation ändert, damit es stärker wird als der Zwang."

Je schneller das Kind in Behandlung kommt, desto besser

Peters berät bei der DGZ auch Eltern, deren Kinder an der Trichotillomanie - dem Zwang, sich die Haare auszureißen - leiden. Genau wie sie selbst seit über 40 Jahren. Sie rät diesen Eltern in erster Linie feste Rituale einzuführen und einzuhalten, mit Ablenkung und viel, viel Körperkontakt zu arbeiten. Und sie ist sich sicher: "Je eher sich die Eltern an Fachleute wenden, desto besser ist es. Auch, weil andere Ursachen für das Verhalten so ausgeschlossen werden können." Je kürzer ein Kind an einer Zwangsstörung leidet, desto eher hat es die Chance, sie wieder loszuwerden.

Mit der Angst konfrontieren

In der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie in Münster arbeitet man, wie an vielen anderen Kliniken auch, mit der sogenannten Reizkonfrontation. Man kann sie in Gedanken ausführen, aber auch in der Realität. Letztendlich geht es darum, den Patienten mit seinen Ängsten zu konfrontieren bis es zur Gewöhnung kommt und der Betroffene merkt, dass seine Zwangshandlung nicht notwendig ist, um die Situation zu überstehen.

Die Zwangs-Krake hält das Kind umschlungen

In der Praxis sieht das so aus, dass man versucht, der Zwangsstörung ein Bild zu geben, indem sie zum Beispiel als Zwangskrake ihre Tentakeln um die einzelnen Lebensbereiche des Kindes schlingt und somit dessen Lebensqualität massiv einschränkt. "Ein besonderer Stellenwert kommt in der Arbeit mit Kindern aber auch der Auseinandersetzung mit ihrem Lebensumfeld, also der Schule, der Familie, etc. zu", sagt der Leitende Psychologe Professor Dr. Philipp Hammelstein und betont, dass regelmäßige Gesprächstermine mit den Eltern der Kinder unerlässlich sind.

"Schließlich sind die Eltern massiv mit in die Zwangsstörung eingebunden." Sie werden zunächst informiert über das Erkrankungsbild und man bespricht gemeinsam günstige elterliche Verhaltensweisen. Manchmal wird auch zur Familientherapie geraten.

Wenn die Seele überläuft

Wie eine Zwangshandlung genau entsteht, das weiß man bis heute nicht. Es wird vermutet, dass es sich um verschiedene Faktoren handelt, die hier zusammenspielen: Veranlagung, Stoffwechselstörungen im Gehirn, aber eben auch seelische Ursachen.

"Viele der betroffenen Kinder sind sehr sensibel, wollen allen alles recht machen und immer die perfekte Leistung bringen. Das kann aus ihnen selbst herauskommen, kann aber auch ein Stück weit Erziehung sein", meint Peters. Wobei man festgestellt hat, dass unter den Patienten besonders viele Menschen sind, die in ihrer Kindheit ganz strengen und starren Regeln unterworfen waren. "Viele berichten auch, dass es eine Situation in der Kindheit gab, mit der sie nicht fertig wurden. Diese Kinder nutzen den Zwang als seelisches Ventil, um mit dem Problem klarzukommen."

Manchmal ist es wichtig, sich durchzusetzen

Man vermutet, dass bei Menschen mit Zwangsstörung die gesunde Entwicklung des Selbstbewusstseins vor allem im Alter zwischen zwei und vier Jahren gestört worden sein könnte. Dass die Kinder also die Zeit, in der man seinen eigenen Willen entwickelt, nicht entsprechend ausleben durften und darin nicht positiv bestärkt wurden, wie es in der Fachsprache der Therapeuten heißt.

Das bedeutet aber nicht, dass man Kleinkindern von nun an grundsätzlich nachzugeben braucht, damit sie ihren Willen ausleben können. Aber: Kinder brauchen Rituale wie das Vorlesen des immer gleichen Buches. Wenn sie es einfordern, dann sollte man ihnen den Wunsch erfüllen, auch wenn noch so viele andere schöne Bücher im Regal stehen. Eine Wiederholung wie diese gibt Kindern nämlich Sicherheit und vermittelt Geborgenheit. Eine wichtige Grundlage für seelische Gesundheit.

Die ganze Familie leidet darunter

Die Ressourcen einer Familie werden durch eine Zwangsstörung teilweise so in Anspruch genommen, dass kaum noch Freiraum für angenehme gemeinsame Beschäftigungen bleibt. Das heißt, das betroffene Kind erhält Aufmerksamkeit und eine Form von Zuwendung durch die Störung. Ein Teufelskreis für alle, der nur schwer unterbrochen werden kann. Fachleute raten dazu, bewusst Zeit einzuführen für gemeinsame Beschäftigung. Und diese sofort abzubrechen, sobald Zwangssymptome auftreten.

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Hierbei ist es ganz besonders wichtig, dass die Verminderung der Zuwendung so schnell wie möglich ausgeglichen wird, und das Kind durch Lob und Anerkennung gestärkt wird. Aber auch durch Verständnis und Unterstützung bei Rückfällen.

Zwänge treten häufig nur im häuslichen Umfeld auf, im bekannten und geschützten Raum. In der Öffentlichkeit, also auch in der Schule, versuchen die Betroffenen den Zwang so weit es geht zu verheimlichen. Genau wie Erwachsene auch schämen sie sich für die Symptome ihrer Krankheit. Merken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, können das aber nicht einordnen. Sie wissen selbst, dass ihr Verhalten übertrieben oder unvernünftig ist. Dieses Wissen allerdings hilft ihnen ohne professionelle Hilfe nicht weiter. Der Zwang ist nämlich stärker.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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