Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Selbstversuch in der Kryosauna Hitzewelle? Bei -150 Grad Celsius geht’s eigentlich
Draußen: Mehr als 30 Grad Hitze. Drinnen: angenehme -150 Grad. Unsere Autorin hat sich während einer Hitzewelle einen Besuch in der Kältesauna gegönnt. Ein Erfahrungsbericht bei extremen Temperaturen.
Hinweis: Dieser Text wurde während der Hitzewelle im August 2018 erstellt.
Extreme Kälte ist der neue – Achtung, Wortspiel – heiße Scheiß bei den Schönen und Reichen in Hollywood. Ein paar Minuten in der Kältekammer sollen die Leistungsfähigkeit steigern, nebenbei Fettgewebe vernichten und Alterungsprozesse ausbremsen können. Kälte- oder Kryotherapie: So heißt die Anti-Aging-Fitness-Wunderwaffe der Schönheitsindustrie, die ich heute ausprobieren will, um der sommerlichen Gluthitze zu entkommen.
Extremer geht es kaum: Bei der Kryotherapie wird der Körper Temperaturen von unter -150 Grad Celsius – in Worten: minus hundertfünfzig Grad Celsius – ausgesetzt. Die Frostbeule in mir schüttelt ungläubig den Kopf. Wie kann das ein Mensch nur aushalten – und nicht nur aushalten, sondern sogar genießen und zum Wellness-Trend erklären?
Mehr als drei Minuten halten nur die Profis aus
Den Termin bei einem Kryotherapie-Anbieter in Berlin kriege ich gleich für den nächsten Tag. Eine Behandlung kostet 49 Euro und ist schnell vorbei. In der Kryosauna steht man nämlich nur für zweieinhalb bis drei Minuten. Länger halten es nur die Extremsportler und geübten Kryosauna-Gänger aus, sagt die Mitarbeiterin, Yvonne Woelke. Bevor ich in die Kapsel steige, rät sie mir noch, während der Behandlung die Hände in Kopfhöhe zu halten. Wenig später werde ich begreifen, warum.
In Deutschland hört man vor allem kurz vor der Oscarverleihung von dem Frosttrend aus den USA: Hollywoodschönheiten lassen ihren Körper bis zu zweimal am Tag schockfrosten, um schnell noch ein paar Pfunde zu verlieren. Aber auch Sport-Ikonen wie Cristiano Ronaldo schwören auf die Kältetherapie. Der Fußballstar soll sogar seine eigene Kryosauna zu Hause haben. So ein Heimgerät kostet zwischen 30.000 und 50.000 Euro, verrät mir Woelke. Mit Sonderwünschen wie Licht- und Musikanlagen lässt sich der Preis aber noch nach oben treiben.
Kälte als Schmerztherapie
Kryotherapie ist zweifellos kein billiges Vergnügen. Doch ist es den Preis wert? Dass Kälte eine belebende Wirkung hat, den Stoffwechsel und Kreislauf anregt und Abwehrkräfte stärkt, leuchtet ein. Das Eisbad hat nicht umsonst eine lange Tradition. Doch die vielen anderen Heils- und Beauty-Versprechen rund um Kryotherapie machen mich skeptisch.
"Natürlich sind wir keine Zauberer", sagt Woelke, die auch viele Rheuma- und Schmerzpatienten zu ihren Stammkunden zählt. Die Kryotherapie könne Krankheitsbilder wie Arthrose zwar nicht heilen, sie jedoch erträglicher machen. Die extreme Kälte hemmt Entzündungen und lindert den Schmerz. "Damit kriegen wir die Patienten weg vom Cortison", sagt Woelke. Das zahlen sogar die meisten Krankenkassen.
In der Medizin gilt Kälte bereits seit den 70er-Jahren als eine anerkannte Therapiemethode, etwa zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen und chronischen Schmerzen, aber auch von Asthma oder Hautproblemen wie bei Neurodermitis. Ursprünglich stammt die Kryotherapie aus Japan. In Deutschland wird sie seit den 80er-Jahren angewendet. Im Immanuel Krankenhaus in Berlin-Wannsee, das sich auf Rheumatologie und natürliche Heilmethoden spezialisiert hat, wurde im Juni 2018 die bereits dritte Kältekammer eingeweiht. Neben den Klinikpatienten nutzen auch Sportler die 300.000 Euro teure Einrichtung.
Eisiger Stickstoffdampf strömt in die Kältesauna
Die Kryosauna in dem Hightech-Schönheitssalon, indem ich jetzt stehe, ist eine abgespeckte Version davon. Von außen sieht sie aus wie eine Raumkapsel, in der man aufrecht auf einem höhenverstellbaren Podest steht. Der Kopf ragt während der Behandlung über den Rand. Neben der Kryosauna steht ein Tank mit flüssigem Stickstoff. Dieser wird in Trockeneis verwandelt und in die Kapsel geleitet.
Da stehe ich also, bekleidet nur mit Slip, Wollsocken und den flauschigen Galoschen, die mir für die Behandlung überreicht wurden. Eisiger, weißer Stickstoffdampf hüllt mich ein. An einer Digitalanzeige kann ich sehen, wie die Temperatur innerhalb von Sekunden sinkt. In den zweieinhalb Minuten der Behandlung schwankt sie zwischen -123 und -175 Grad, während die Maschine immer wieder Stickstoff nachpumpt, da sich die Kälte schnell verflüchtigt.
Extreme Kälte ist extrem anstrengend
Der Kälteschock macht mit einem Schlag wach. Ich merke, wie die Kälte über die Haut und in die Glieder kriecht. Mein ganzer Körper spannt sich so sehr an, dass es nicht einmal zum Schlottern reicht. Die Finger tun als Erstes weh. Deshalb halte ich sie – wie empfohlen – die meiste Zeit nach oben, über den Stickstoffdampf. Mein Atem geht immer flacher. Wer schon einmal kopfüber in einen eiskalten See getaucht ist, kennt dieses Gefühl der Atemnot. Der Körper strengt sich an, um lebenswichtige Wärme zu erzeugen.
Extreme Kälte ist extrem anstrengend. Zwei Minuten in der Kältekapsel sollen den Körper in etwa so stark fordern wie eine Stunde Training. Als ich aus der Kapsel steige, habe ich tatsächlich ein wenig weiche Knie. Ich soll nach der Behandlung viel trinken, rät mir Woelke.
Angenehm bei Hitze: Die Kryosaune wirkt noch lange nach
So blitzschnell, wie die Haut heruntergekühlt wurde, so schnell wärmt sie sich außerhalb der Kapsel wieder auf. Für ein paar Sekunden habe ich noch eine Gänsehaut, doch das eisige Gefühl ist weg. Zurück bleibt eine angenehme Spannung und ein kühles Kribbeln unter der Haut. Laut Woelke sei mein Körper jedoch noch eine Weile damit beschäftigt, den Kälteschock zu verarbeiten. Ich solle auf Signale achten.
Außer, dass ich mich erfrischt fühle, kann ich aber keinen Unterschied zu vorher feststellen. Ich könne gerne morgen wieder kommen, meint Woelke, die von der Kryotherapie ehrlich überzeugt ist. Völlig klar: Nach einem einzigen Besuch kann ich unmöglich wissen, ob mir die Kältetherapie etwas bringt oder nicht. Auch unter Experten ist die Wirksamkeit umstritten. Doch falls mir ein Arzt begegnen sollte, der mich zur Kältetherapie schicken will, weiß ich jetzt: Bei -150 Grad Celsius kann man’s eigentlich ganz gut aushalten – zumindest für ein paar Minuten.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Recherche