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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Immer mehr Fälle Wer braucht eine Impfung gegen Affenpocken?
Die WHO beurteilt den Affenpocken-Ausbruch nun als "internationale Notlage". Ein Experte erklärt, was das bedeutet – und wie man sich schützen kann.
Die Affenpocken kursieren seit ihrem neuerlichen Auftreten im Mai bislang überwiegend in der homosexuellen Community. Doch nun wurden erstmals zwei Infektionen bei Kindern offiziell gemeldet – in den USA. Zuletzt wurden über 16.000 Affenpocken-Infektionen in mehr als 70 Ländern verzeichnet, in Deutschland gibt es laut dem Robert Koch-Institut 2.459 Fälle in allen 16 Bundesländern (Stand: 27. Juli 2022).
Nach der Ausrufung der internationalen Notlage durch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die EU-Kommission nun einen Impfstoff zugelassen. Doch wer braucht ihn? Im Gespräch mit t-online berichtet der Infektiologe Peter Kremsner über die wohl hohe Dunkelziffer, die Risiken einer Infektion und sinnvolle Schutzmaßnahmen.
t-online: Herr Kremsner, wie beurteilen Sie den neuerlichen Affenpocken-Ausbruch?
Peter Kremsner: Es hat mich verwundert, dass es nun doch weltweit viele Fälle gibt. Darüber hinaus dürfte die Dunkelziffer riesig sein. Das ist schon ungewöhnlich, denn bei Affenpocken hatten wir es bisher mit sehr kleinen Ausbrüchen in den Staaten West- und Zentralafrikas zu tun.
Wie gefährlich ist denn die Infektionskrankheit?
Was relativ schnell klar wurde, ist, dass wir bisher von einer viel zu hohen Todesrate ausgegangen sind. Bei den kleinen Ausbrüchen ging man von einer Letalität zwischen vier und zehn Prozent aus. Das ist sehr deutlich zu hoch geschätzt.
Im aktuellen Ausbruch gab es bisher in Europa keinen einzigen Todesfall bei über 10.000 Erkrankten, in Afrika auch nur ganz wenige. Das war überraschend. Offenbar hatten wir dazu Daten, die nicht stimmten, weil wir bei den Fällen in Afrika immer nur ganz wenige Schwerkranke sahen, von denen dann auch einige verstarben. Wahrscheinlich wurden viele leicht Erkrankte bisher in Afrika nicht erfasst.
Dr. Peter Kremsner ist Direktor des Instituts für Tropenmedizin am Universitätsklinikum Tübingen und beschäftigt sich u. a. mit vernachlässigten Tropenkrankheiten.
Wie werden Affenpocken denn übertragen? Einige orakelten schon von der nächsten Pandemie …
Nein, dazu wird es wahrscheinlich nicht kommen. Die Übertragung ist anders als etwa bei Corona. Sie brauchen eher engen körperlichen Kontakt zu einem Infizierten, um sich anzustecken. Bei SARS-CoV-2 reicht es ja schon, über längere Zeit im selben Raum gewesen zu sein.
Was bezweckt denn die WHO mit ihrer Ausrufung der internationalen Notlage? Klingt erst mal bedrohlich …
Nein, das ist es nicht. Es geht vor allem darum, ein Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen, etwa um Ärzte dafür zu sensibilisieren, dass bei bestimmten Symptomen auch die Möglichkeit einer Infektion mit diesem Virus bestehen könnte.
Wann ist denn ein Infizierter infektiös?
Kurz vor dem Auftauchen der typischen Symptome wie Fieber, Kopf- oder Muskelschmerzen und natürlich der Pusteln und Bläschen. Es gibt auch bei dieser Krankheit asymptomatisch Infizierte.
Die Infektiosität schon vor Symptombeginn ist ja auch bei Corona ein Problem.
Ja, aber durch den ganz anderen Übertragungsweg kann man das viel besser handhaben. Sie können Kontaktpersonen viel besser nachvollziehen, da hauptsächlich Körperkontakt für die Übertragung eine Rolle spielt. Diese Personen können sie in Quarantäne bringen und – wenn sie schnell sind – sogar nachimpfen. Denn die Inkubationszeit ist variabel, aber eher lang bei bis zu drei Wochen, sodass die Impfung dann auch noch wirken kann.
Empfehlen Sie Risikogruppen eine vorsorgliche Impfung?
Das kann man machen, aber ich halte es momentan nicht für nötig. Das Virus ist bisher nicht ansteckender geworden und lässt sich in diesem Stadium gut im Griff behalten. Wir sehen kein exponentielles Wachstum, sodass bisher keine überbordenden Maßnahmen ergriffen werden müssen. Man kann sich durch Abstandhalten gut vor einer Infektion schützen.
Die EU-Kommission hat den Impfstoff nun zugelassen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat ihn auch schon längst bestellt.
Falsch ist das sicher nicht. Man muss abwarten, wie sich das Virus weiterentwickelt. Im Augenblick halte ich vorsorgliche Impfungen in großem Ausmaß nicht für nötig.
Herr Kremsner, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa
- Interview mit Peter Kremsner