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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entzündungen im ganzen Körper Dieses Alltagsrisiko könnte dem Gehirn gleich mehrfach schaden
Eine Demenz kann viele verschiedene Ursachen haben. Nun zeigen Forscher, dass Feinstaub die Krankheit gleich auf zwei Wegen auslösen kann.
Wenn von Luftverschmutzung und Feinstaub die Rede ist, denken die meisten Menschen an Atemwegserkrankungen. Feinstaub könnte aber auch die Entstehung von psychischen Erkrankungen wie Demenz begünstigen – und das gleich auf zwei Wegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von Forschenden aus Deutschland und Luxemburg. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift "Alzheimers and Dementia" veröffentlicht.
Was genau ist Feinstaub?
Feinstaub ist ein komplexes Gemisch aus vielen Chemikalien in der Luft, etwa Schwefel- und Stickstoffoxiden, Ammoniak oder Kohlenwasserstoffen. Feinstaubquellen sind unter anderem Kraftfahrzeuge, Kraft- und Fernheizwerke, Abfallverbrennungsanlagen, Öfen, Heizungen und Industrieprozesse.
Die Partikel haben einen Durchmesser von 10 (PM10) bis 0,1 (PM1) Mikrometer. Damit sind die Feinstaubpartikel klein genug, um beim Einatmen in die Lunge zu gelangen und von dort in den Blutkreislauf überzugehen. Mit dem Blut werden die Partikel in verschiedene Gewebe und Organe des Körpers transportiert. Den größten gesundheitlichen Schaden richten Partikel an, die kleiner als 2,5 Mikrometer (PM2,5) sind.
Feinstaub kann ins Gehirn eindringen
Dass langfristige Luftverschmutzung neben der Lunge und dem Herz-Kreislauf-System auch das Gehirn schädigen kann, haben bereits frühere Studien gezeigt. Wie genau die winzigen Partikel im Feinstaub zu Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson beitragen, war jedoch nicht genau bekannt.
Daher haben die Forschenden der Universitäten von Bonn, Rostock und Luxemburg eine neue Studie mit über 66.000 Probanden durchgeführt. Dabei verglichen sie die Ergebnisse von Blutanalysen und kognitiven Tests mit Daten zur Luftqualität am jeweiligen Wohnort der Probanden. Die Feinstaubbelastung bewegte sich dabei zwischen 8 und 22 Mikrogramm pro Kubikmeter.
Das Ergebnis: Menschen, die an ihrem Wohnort einer hohen Feinstaubbelastung (PM2,5) ausgesetzt waren, waren geistig langsamer. Das heißt, ihre Gehirne reagierten langsamer auf Reize. Die Autoren der Studie führen dies darauf zurück, dass der Feinstaub aus dem Blut direkt ins Gehirn eindringen kann und dort eine lokale Entzündung auslöst. Normalerweise schützt die sogenannte Blut-Hirn-Schranke das Gehirn vor schädlichen Substanzen aus dem Blut. Die Feinstaubpartikel scheinen diese Schranke jedoch überwinden zu können.
Feinstaubbelastung in Deutschland
Großräumig treten laut Umweltbundesamt zurzeit PM10-Jahresmittelwerte von unter 20 Mikrogramm pro Kubikmeter auf. Laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz wurde deutschlandweit in den vergangenen Jahren auch der PM2,5-Jahresmittelgrenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter eingehalten.
Feinstaub löst im ganzen Körper Entzündungen aus
Die Forschenden machten noch eine zweite Entdeckung: Menschen, die an ihrem Wohnort einer hohen Feinstaubbelastung ausgesetzt waren, hatten in ihrem Blut gleichzeitig sehr viel mehr weiße Blutkörperchen als Probanden mit einer geringen Feinstaubbelastung. Diese Blutkörperchen, auch Monozyten genannt, sind Teil des Immunsystems. Ein hoher Monozyten-Wert zeigt an, dass das Immunsystem gerade eine Entzündung bekämpft.
"Es konnte bereits gezeigt werden, dass Entzündungen eine wichtige Rolle bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen spielen. Daher kann die Entzündung, die wir als Reaktion auf Luftverschmutzung sehen, die Immunfunktionen im Gehirn stören und dadurch indirekt die kognitive Gesundheit beeinträchtigen", erklärt Co-Autorin Gabriele Doblhammer von der Universität Rostock. Eine mögliche Folge dieser Hirnschäden könnte die Alzheimer-Demenz sein.
Warum führen Entzündungen zur Demenz?
Entzündungsprozesse treiben die Erkrankung voran, denn sie befeuern die Entwicklung der fehlerhaften Amyloid- und der Tau-Proteine. Diese auch als Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen bekannten Ablagerungen im Gehirn führen zum Absterben von Nervenzellen.
Der Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Monozytenzahl ist vor allem bei Menschen über 40 Jahre zu beobachten. Deshalb gehen die Autoren davon aus, dass die Reaktion des Immunsystems vor allem ab der zweiten Lebenshälfte eine Rolle spielt.
Weitere Forschung ist nötig
Die Studie zeigt damit, dass Feinstaub sowohl durch eine lokale Entzündung im Gehirn als auch durch eine systemische Entzündung zum kognitiven Verfall beitragen kann. Gegen Letztere scheinen vor allem ältere Menschen empfindlich zu sein.
Um das Risiko durch Feinstaub gezielter senken zu können, müsste allerdings noch geklärt werden, welche Substanzen genau in dem Feinstaub-Gemisch für diese Reaktionen verantwortlich sind, räumen die Autoren ein. Um das zu klären, bedarf es weiterer Forschung.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- alz-journals.onlinelibrary.wiley.com: "The role of leukocytes in cognitive impairment due to long-term exposure to fine particulate matter: A large population-based mediation analysis". (Stand: Oktober 2024; englisch)
- umweltbundesamt.de: "Feinstaub-Belastung". (Stand: September 2024)
- bmuv.de: "Feinstaub". (Stand: November 2022)
- alzheimer-forschung.de: "Amyloid-Plaques und Tau Fibrillen". (Abrufdatum: Oktober 2024)