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Aktienrendite: Diesem Denkfehler unterliegen viele Privatanleger


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Verbreiteter Denkfehler
Diesen Anlagetipp sollten Sie dringend ignorieren

MeinungEine Kolumne von Gerd Kommer

15.08.2021Lesedauer: 4 Min.
Skyline von Shanghai (Symbolbild): Hohes Wirtschaftswachstum ist kein Garant für eine tolle Aktienmarktrendite.Vergrößern des Bildes
Skyline von Shanghai (Symbolbild): Hohes Wirtschaftswachstum ist kein Garant für eine tolle Aktienmarktrendite. (Quelle: Eugeneonline/getty-images-bilder)
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Viele Privatanleger glauben, es sei klug, in ein Land zu investieren, dessen Wirtschaft stark wächst. Doch Wirtschaftswachstum und Rendite am Aktienmarkt haben nicht viel miteinander zu tun.

Auf den ersten Blick scheint es merkwürdig: In den sieben Monaten seit Mitte Februar dieses Jahres hat der chinesische Aktienmarkt (der MSCI China Index) zeitweise erstaunliche 30 Prozent verloren (Stand 12.08.2021), derzeit schlägt ein Minus von 25 Prozent zu Buche.

Gleichzeitig legte der restliche Weltaktienmarkt (der MSCI ACWI ex China IMI Index) 10 Prozent zu (Stand 12.08.2021). Dabei ist von einer wirtschaftlichen Krise in China derzeit nichts zu vernehmen. Doch kann man diesen Zusammenhang überhaupt herstellen?

Vorige Woche beleuchtete meine t-online-Mitkolumnistin Jessica Schwarzer die konkreten Ursachen des China-Aktien-Einbruchs. In diesem Beitrag möchte ich noch etwas tiefer bohren und die ganz allgemeine Frage des Zusammenhangs zwischen Wirtschaftswachstum und Aktienrenditen eines Landes beleuchten.

Dieser Denkfehler ist weit verbreitet

Viele Privatanleger unterliegen hier einem Irrtum oder Denkfehler. Schuld an diesem Denkfehler haben die Medien und die meisten Banken und Vermögensverwalter, weil sie ihn seit Jahr und Tag immer wieder neu verbreiten. Er lautet: Hohes nationales Wirtschaftswachstum gehe auf lange Sicht mit hohen nationalen Aktienmarktrenditen einher.

Um es klipp und klar zu sagen: Diese Vorstellung ist falsch.

Das zeigen unmissverständlich die historischen Daten. Und es wird auch deutlich, wenn man sich die Sachlogik und die ökonomischen Zusammenhänge genauer ansieht – etwas genauer allerdings als das die "Experten" üblicherweise tun. Zunächst zu den historischen Daten, dann zur Sachlogik.

Der "ETF-Papst"
Dr. Gerd Kommer ist seit mehr als 20 Jahren Bestsellerautor für Investmentratgeberbücher. Zugleich ist er Geschäftsführer der Gerd Kommer Capital GmbH, einer digitalen Vermögensverwaltung, bei der Kunden bereits mit kleinen Beträgen starten können, sowie der Gerd Kommer Invest GmbH, einem Honorarberatungsunternehmen. In seiner t-online-Kolumne schreibt er gemeinsam mit seinen Kollegen Felix Großmann und Daniel Kanzler alle zwei Wochen über sein Spezialgebiet: den langfristigen Vermögensaufbau mit ETFs.

Wie die folgende Tabelle am Beispiel von Deutschland und fünf Schwellenländern, darunter China, illustriert, ist es die Regel, dass sich langfristiges Wirtschaftswachstum und langfristige Aktienmarktrenditen dramatisch unterscheiden – nicht die Ausnahme.


Aktienmarktrendite pro Jahr Wirtschaftswachstum pro Kopf im Jahr (real)
Russland 12,5 Prozent 2,9 Prozent
Peru 11,5 Prozent 2,5 Prozent
Brasilien 9,0 Prozent 0,9 Prozent
Deutschland 7,0 Prozent 1,1 Prozent
China 5,4 Prozent 8,0 Prozent
Argentinien 3,7 Prozent 0,7 Prozent

In den vergangenen 25 Jahren schlugen beispielsweise die Aktienmärkte der Schwellenmärkte Russland, Peru und Brasilien denjenigen von China um Längen. Und das, obwohl China in diesen zweieinhalb Jahrzehnten ein weit höheres volkswirtschaftliches Wachstum aufwies – sogar das höchste der Welt.

Deutschland mit seiner eher anämischen Wachstumsrate lag bei den Aktienrenditen ebenfalls klar vor China. Selbst Argentinien mit dem zweitniedrigsten Wirtschaftswachstum aller 23 Schwellenländer im MSCI Emerging Markets Index und mit zwei Staatskonkursen in dieser Zeit (2001 und 2014) produzierte eine langfristige Aktienrendite, die gar nicht weit unter der von China lag.

Warum es keinen Zusammenhang geben kann

Für die Matheexperten unter den Lesern: Die sogenannte Korrelation (ein statistisches Maß der Parallelentwicklung zweiter Datenreihen) zwischen Wirtschaftswachstum und Aktienmarktrenditen ist ziemlich genau Null. Statistisch gesehen existiert also kein Zusammenhang zwischen den zwei Datenreihen.

Nun noch zur Sachlogik. Die historischen Zahlen können auch gar keinen Zusammenhang zeigen, weil

  • (a) das Wirtschaftswachstum für ein gegebenes Jahr die Gegenwart misst, während Aktienrenditen sich für dieses Jahr aus der Einschätzung der Anleger der kurz-, mittel- und langfristigen Zukunft ab diesem Jahr ergeben. Ergo passen bereits die zugrundeliegenden Zeiträume nicht zusammen; sie sind die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen.
  • (b) Das Wirtschaftswachstum reflektiert das gesamte volkswirtschaftliche Einkommen eines Staates, darunter als größte Einzelkomponente Löhne und Gehälter. Die Aktienrenditen basieren hingegen lediglich auf den Gewinnen börsennotierter Unternehmen, einer relativ kleinen Einzelkomponente des gesamten volkswirtschaftlichen Einkommens.

Es gibt noch eine Reihe anderer fundamentaler Unterschiede zwischen den Faktoren, die Wirtschaftswachstum und Aktienmarktrenditen bestimmen, aber die erspare ich Ihnen an dieser Stelle.

Generell gilt: Hohes oder niedriges Wirtschaftswachstum eines Landes ist sehr wahrscheinlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt bereits in den nationalen Aktienkursen eingepreist und hat insofern in die Zukunft gerichtet keinen Renditeeffekt, weder positiv noch negativ.

Niemand kann Überraschung zuverlässig vorhersehen

Dann bleiben eigentlich nur positive oder negative Überraschungen. Sie haben den größten Einfluss auf Aktienkurse und -renditen. Negativ überrascht haben die plötzlichen staatlichen Repressalien gegen mehrere börsennotierte Unternehmen in China seit Anfang dieses Jahres, von denen Jessica letzte Woche berichtete.

Solche Überraschungen systematisch korrekt vorherzusehen ist meines Erachtens unmöglich. Wer es als Anleger versucht, wird dabei oft ins Klo greifen. Das gilt für Profis ebenso wie für Amateure.

Was bedeutet das alles für Sie als Privatanleger?

  1. Investieren Sie niemals vorwiegend deswegen in einen nationalen Aktienmarkt, weil das Land – wie China – in der Vergangenheit und vermutlich in der Zukunft ein hohes Wirtschaftswachstum hatte oder haben wird.
  2. Ignorieren Sie als Aktienanleger kein Land, nur weil es historisch und möglicherweise in der Zukunft ein schwaches Wirtschaftswachstum hatte oder haben wird.
  3. Am einfachsten und vernünftigsten ist es, wenn Sie global diversifiziert in alle Länder – Industrieländer und Schwellenländer – anlegen. Mit breit gestreuten ETFs geht das einfach und kostengünstig.
  4. Lachen Sie über "Experten", die immer noch das verstaubte Ammenmärchen von "am besten da investieren, wo das Wirtschaftswachstum hoch ist" verbreiten.

In meiner Kolumne vor zwei Wochen am 1. August kündigte ich an, heute die langfristigen Renditen aller wichtigen Vermögensanlageklassen aufzuzeigen: Aktien, Staatsanleihen, Unternehmensanleihen, Immobilien, Gold und Rohstoffe. Weil die aktuelle China-Thematik dazwischen kam, werde ich das im nächsten Beitrag am 29. August nachholen.

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