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Stechuhr-Urteil: Muss ich auf der Arbeit bald wieder stempeln? Infos


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Grundsatzurteil
Muss ich auf der Arbeit bald wieder stechen?


Aktualisiert am 14.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ein Bergmann meldet sich nach der Schicht ab (Archivbild): Kommt jetzt bald die Stechuhr für alle? (Quelle: Roland Weihrauch/dpa)

Für viele Deutsche ist sie aus dem Arbeitsalltag längst verschwunden. Jetzt dürfte die Stechuhr wiederkommen – und zwar für alle.

Dieses Urteil ist wegweisend – und dürfte absehbar alle Arbeitnehmer in Deutschland betreffen: Das Bundesarbeitsgericht hat am Dienstag bekräftigt, dass die Arbeitszeiterfassung nach Vorbild der EU-Gesetzgebung in Deutschland Pflicht werden muss.

Die Ampelregierung, die im Moment noch heftig um die Eckpunkte eines entsprechenden Gesetzes streitet, muss nun also zügig Regeln dafür aufsetzen. t-online erklärt, was das jetzt für Sie heißt.

Was genau haben die Richter entschieden?

Eigentlich hatte sich Deutschlands höchstes Arbeitsgericht lediglich mit dem Fall aus Nordrhein-Westfalen beschäftigt. In letzter Instanz geklagt hatte der Betriebsrat einer Klinik aus dem Raum Minden.

Dieser wollte das Recht bekommen, ein elektronisches System zur Zeiterfassung bei der Firmenleitung einzufordern – damit ersichtlich wird, wie viele Überstunden die Mitarbeiter machen. Das Bundesarbeitsgericht lehnte das jetzt ab. Die Begründung: Eine betriebliche Mitbestimmung oder ein Initiativrecht sei ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gibt.

Und genau hier wird es für alle Arbeitnehmer in Deutschland spannend. Wichtig ist nämlich, was die Präsidentin des Gerichts, Inken Gallner, im Zuge der Verhandlungen höchstrichterlich festgehalten hat: In Deutschland gibt es ihrer Ansicht nach die Pflicht, dass alle Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten erfassen.

Konkret sagte Gallner: "Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung."

Laut Arbeitsrechtsanwalt Michael Fuhlrott von der Kanzlei Fuhlrott Hiéramente & von der Meden aus Hamburg birgt der Satz Sprengkraft. "Das bedeutet: Der Gesetzgeber, die Ampelregierung, muss schleunigst nachbessern", sagte er t-online. "Das deutsche Arbeitsrecht muss nach diesem Urteil zwingend auf das europäische abgestimmt werden. Gelingt das der Bundesregierung nicht, werden die Gerichte nach dem aktuellen Urteil die künftigen Regeln immer wieder aufs Neue kippen."

Was verlangt das EU-Arbeitsrecht?

Das europäische Arbeitsrecht sieht vor, dass alle Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten minutiös erfassen – und sie nicht nur, wie es das deutsche Gesetz verlangt, Überstunden oder Sonntagsdienste aufschreiben müssen, für die sie später einen Ausgleichstag oder Geld bekommen. Diese Auslegung geht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 zurück.

Im damaligen "Stechuhr-Urteil" (Az. C 55/18) verlangt der EuGH von den Arbeitgebern, ein System zu schaffen, in dem die täglich geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer effektiv erfasst wird. Möglich ist das etwa über elektronische Zeiterfassung, die in vielen größeren Unternehmen schon länger das frühere "Stechen" am Eingang ersetzt hat.

In den vergangenen Jahren hat sich die Bundespolitik immer wieder mit dem Thema beschäftigt, bislang ohne ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Auch die derzeitige Bundesregierung arbeitet noch daran, die EuGH-Vorgaben zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung umzusetzen – wobei der Druck angesichts des neuen Urteils jetzt wachsen dürfte.

Muss ich auf der Arbeit jetzt wieder stechen?

Davon ist auszugehen – zumindest im übertragenen Sinne. Nach Ansicht vieler Experten rückt ein deutsches Gesetz, das die Einführung von Zeiterfassungssystemen verlangt, jedenfalls einen großen Schritt näher.

So sieht es auch Anwalt Fuhlrott. "Das Urteil der BAG-Richter ist eindeutig: Die Arbeitszeiterfassung in Deutschland ist bereits Pflicht", sagt er. "Da es sie in der Praxis aber noch nicht gibt, muss die Regierung mit einem entsprechenden Gesetz nacharbeiten. Verkürzt gesagt heißt das: Die Stechuhr für alle wird kommen."

Die Spielräume für den Gesetzgeber sind dabei nach Ansicht von Fuhlrott vergleichsweise gering. So ließe sich zwar noch diskutieren, ob am Ende die Arbeitnehmer selbstständig ihre Zeiten festhalten oder ob die Chefin die Arbeitszeiten ihrer Angestellten kontrolliert.

"Fakt ist aber: Mit der Vertrauensarbeitszeit ist es dann vorbei", sagt der Experte. "Künftig werden wir alle dokumentieren müssen, wann wir anfangen zu arbeiten, wann wir Pausen einlegen, wann wir die Arbeit wiederaufnehmen und um wie viel Uhr wir Feierabend machen."

Möglich ist auch, dass das Urteil und das absehbare Gesetz Auswirkungen auf mobiles Arbeiten und Homeoffice haben wird. Dort nämlich lassen sich Arbeitszeiten schlechter kontrollieren, es bräuchte entsprechende elektronische Systeme.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Michael Fuhlrott, Anwalt für Arbeitsrecht
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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