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Nord Stream 1: So knapp könnte es für die deutschen Gasspeicher werden


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Wartung Nord Stream 1
So knapp könnte es für die deutschen Gasspeicher werden


Aktualisiert am 11.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Eine Gasturbine wird gewartet (Symbolbild): Trotz der Sanktionen gegen Russland liefert Kanada eine Turbine für Nord Stream 1.Vergrößern des Bildes
Eine Gasturbine wird gewartet (Symbolbild): Trotz der Sanktionen gegen Russland liefert Kanada eine Turbine für Nord Stream 1. (Quelle: Rainer Weisflog/imago-images-bilder)
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Gazprom stoppt die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 für zehn Tage. Es stehen jährliche Wartungsarbeiten an, doch dieses Jahr ist alles anders.

Am 11. Juli ist das passiert, wovor seit Monaten gewarnt wird: Russland stoppte die Gaszufuhr über die Ostseepipeline Nord Stream 1. Zwar läuft damit zunächst alles nach Plan, da es sich lediglich um Wartungsarbeiten handelt, die jedes Jahr um diese Zeit die Gaslieferungen unterbrechen. Anders als in den Vorjahren besteht nun jedoch die Sorge, dass nach der zehntägigen Unterbrechung die Lieferungen nicht wieder einsetzen könnten.

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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte den Umgang Russlands mit den Gaslieferungen wiederholt als "politisch motiviert" bezeichnet. Sein Ministerium hat berechnet: Ein kompletter Ausfall der Lieferungen durch die Nord Stream 1 könnte dramatische Folgen für die deutsche Gasversorgung haben. Immerhin kommt durch diese Pipeline derzeit das meiste Gas – wenn auch bereits auf 40 Prozent gedrosselt.

Fehlende Turbine sorgt für Diskussionen

Von russischer Seite heißt es, das liege an einer fehlenden Turbine. Diese befindet sich für Reparaturarbeiten bei Siemens im kanadischen Montreal und wird zur Verdichtung des Gases zum Transport in den Röhren der Pipeline benötigt.

Wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland wurde sie bisher nicht zurückgeschickt. Mittlerweile ist das Bauteil zum Politikum geworden. Kanada hat inzwischen angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montreal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen. Dazu werde Kanada "eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis" an Siemens Canada geben, sagte der für Bodenschätze zuständige Minister Jonathan Wilkinson am Samstag.

Die Turbine soll aus Kanada erst nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert werden. Aber ob mit oder ohne Turbine – in den kommenden Tagen wird kein Gas durch die Pipeline fließen. Vom Kreml hieß es, dass dann wieder vertragsgemäß die volle Menge an Gas durch Nord Stream 1 fließen werde.

Zuvor hatte Habeck für die Auslieferung geworben. Sanktionen müssten Russland härter treffen als Deutschland, sagte er am Freitag. In einer Stellungnahme teilte das ukrainische Außen- und Energieministerium mit, man sei "zutiefst enttäuscht" über die kanadische Entscheidung.

Deutschland ist weiter von Russland abhängig

Seitdem Russland die Ukraine im Februar angegriffen hat, gibt es von deutscher Seite Bemühungen, die Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu verringern. Dabei macht vor allem das Gas Probleme, da die Lieferung durch feste Pipelines deutlich schwieriger zu ersetzen ist als Öl und Kohle, die auf verschiedenen Wegen befördert werden können.

2021 machte Gas einen Anteil von 26,7 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie aus und war damit nach Mineral- und Heizöl der zweitwichtigste Energieträger. Erneuerbare Energien lagen mit 16,1 Prozent auf dem dritten Platz. Auf dem Weg zur Energiewende galt Gas damals als wichtige Brückentechnologie.

Ein beträchtlicher Anteil von über 55 Prozent dieses Gases stammte aus Russland. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist dieser Anteil laut Angaben der Bundesregierung auf 38 Prozent gesunken. Zudem ist der Gasverbrauch seit Jahresbeginn im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen (t-online berichtete). Dennoch geht es bisher noch nicht ohne russisches Gas.

Ministerium: Füllen der Gasspeicher schwierig

Vor allem bei den Vorbereitungen auf den kommenden Winter ist das nun spürbar, denn im Sommer werden die Gasspeicher aufgefüllt. Das lief trotz aller Probleme und Unsicherheiten zunächst in einem ähnlichen Tempo wie in den Vorjahren.

Mittlerweile liegt der Füllstand bei gut 63 Prozent. Das Ziel: Bis November soll dieser 90 Prozent erreichen. Eine Berechnung des Wirtschaftsministeriums zeigt, dass dies nur dann noch zu schaffen ist, wenn nach den Wartungsarbeiten wieder mindestens 40 Prozent der geplanten Gasmenge durch Nord Stream 1 nach Deutschland fließen und zudem die Exportmengen sinken.

Doch selbst volle Gasspeicher würden maximal für zwei bis drei Monate reichen und damit nicht einmal eine gesamte Heizperiode. Die Gasspeicher allein können also die Energieversorgung nicht sichern. Kurzfristig hat Habeck daher zum Energiesparen aufgerufen.

Zudem soll kein Gas mehr verstromt werden, immerhin macht Erdgas 10,5 Prozent der deutschen Stromversorgung aus. Stattdessen soll mehr Strom aus Kohle gewonnen werden.

Thilo Schaefer, Energieexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), sagt im Gespräch mit t-online: "Die Versorgungslage wird auch davon beeinflusst, wie erfolgreich Energie eingespart werden kann. Das gilt sowohl für Verbraucher als auch für die Industrie."

Haushalte haben Vorrang – nicht nur deutsche

Trotz der Maßnahmen befindet sich die Regierung in Alarmbereitschaft. Bei einer angespannten Versorgungslage greift der Notfallplan Gas. Dieser hat drei Stufen, die für den Notfall regeln, wie die geringe Gasmenge verteilt wird. Aktuell ist die zweite Stufe ausgerufen. Lesen Sie hier, wie die Stufen genau funktionieren.

Dabei ist vor allem wichtig, dass Privathaushalte besonders geschützt werden. Aber auch europäische Nachbarländer sind auf deutsche Gaslieferungen angewiesen. Auf der Seite des Wirtschaftsministeriums heißt es dazu: "Über deutsches Territorium werden erhebliche Gasmengen in andere EU-Staaten transportiert."

Energieexperte Schaefer erklärt: "Deutschland ist nicht nur Gasimporteur, sondern auch Exporteur. Durch einen sogenannten SOS-Vertrag mit Österreich wäre Deutschland im Notfall auch verpflichtet, die Versorgung der österreichischen Privathaushalte zu priorisieren, notfalls vor der deutschen Industrie."

Gemeint ist damit das 2021 unterzeichnete Solidaritätsabkommen mit Österreich. Der damalige Staatssekretär Thomas Bareiß sagte beim Abschluss noch: "Die Versorgungssicherheit in Europa ist wichtig. Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall einer extremen Gasmangellage haben wir in dem Abkommen die Vorgehensweise definiert, wie Österreich und Deutschland sich gegenseitig schnell helfen können."

Ein ähnliches Abkommen gibt es auch zwischen Deutschland und Dänemark. Der "äußerst unwahrscheinliche Fall" könnte nun schneller eintreten als erwartet. Und das wiederum wäre ein großes Problem für die deutsche Wirtschaft.

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Industrie träfe ein Gasstopp hart

Die Industrie verbraucht in Deutschland das meiste Gas – 36 Prozent des Gesamtabsatzes 2021. Sie ist dabei aber nicht nur der größte Abnehmer, sondern Gas ist auch der wichtigste Energieträger in der Industrie mit über 30 Prozent.

Vor allem die Industrie im Osten Deutschlands stünde bei einem kompletten Lieferstopp durch russische Pipelines vor einem großen Problem. Das deutsche Gasnetz ist mit einer Länge von 511.000 Kilometern zwar stark verzweigt, dennoch sind Branchenkenner unsicher, ob die Belieferung im Osten überhaupt möglich wäre ohne Zufluss aus den dortigen Pipelines. Entsprechende Berechnungen gibt es kaum – Lieferprobleme aus Russland galten in den vergangenen Jahrzehnten als höchst unwahrscheinlich.

Aus Industriekreisen hört man dieser Tage immer wieder, dass Russland auch während früherer Krisen ein verlässlicher Partner gewesen sei. Selbst während des Kalten Krieges floss Gas. Der Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (Entsog) veröffentlichte 2021 eine Studie zu verschiedenen Szenarien bei Lieferausfällen. Keines der Szenarien sieht einen kompletten Ausfall russischer Gaslieferungen vor.

Die energieintensiven Industrien haben auch einen großen Anteil an der deutschen Wirtschaftsleistung. Fehlt das Gas, müsste in vielen Betrieben die Produktion deutlich verringert oder gar eingestellt werden. Das könnte Deutschland in eine Rezession stürzen. Davor warnte unter anderem der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing.

LNG wichtiger Faktor für den Winter

Blindes Vertrauen oder ein Mangel an bezahlbaren Alternativen: Verschiedene Faktoren haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass kaum Alternativen zu russischem Gas geschaffen wurden. Nun soll Flüssiggas (LNG) importiert werden, um die Abhängigkeit zu verringern. "Mit Blick auf den kommenden Winter ist zudem wichtig, ob es Deutschland gelingt, die LNG-Versorgung aufzubauen", so Energieexperte Schaefer.

Das Problem: Deutschland hat dafür bisher keine Infrastruktur. Im Schnellverfahren wurde deshalb nun ein erster schwimmender LNG-Terminal genehmigt, weitere sollen bis zum Winter folgen. Doch Deutschland ist mit seinen Plänen nicht allein und konkurriert daher mit anderen Staaten um das Flüssiggas und die Lieferkapazitäten. Lesen Sie hier mehr zu den deutschen LNG-Plänen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Thilo Schaefer (IW)
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