Trotz neuem Zentralbankchef So schwer kommen die Taliban an Afghanistans Geld
Die Taliban haben einen neuen Zentralbankchef eingesetzt. Doch Zugriff auf die Devisenreserven haben sie dadurch nicht. Experten gehen von einem massiven Wirtschaftseinbruch aus.
Die Taliban haben die vakante Spitze der Zentralbank neu besetzt. Der neue kommissarische Chef Hadschi Mohammad Idris werde helfen, die wirtschaftlichen Probleme anzugehen, hieß es am Montag in einer Erklärung eines Sprechers der Islamisten. Ihm steht dabei eine schwierige Aufgabe bevor, denn bisher haben die Taliban keinen Zugriff auf die Devisenreserven.
Der bisherige Zentralbankchef des Landes, Adschmal Ahmati, war nach der Machtübernahme der Taliban aus Kabul ins Ausland geflüchtet. Zuvor hatte er angegeben, dass die Taliban keinen Zugriff auf die milliardenschweren Reserven des Landes haben (t-online berichtete). Die Notenbank kontrolliere etwa neun Milliarden Dollar, schrieb Ahmadi kürzlich auf Twitter. Davon befänden sich allein sieben Milliarden Dollar in Form von Bargeld, Gold, Anleihen und anderen Investitionen bei der US-Zentralbank (Fed).
Auch der Restbetrag liege überwiegend nicht in afghanischen Tresoren herum, sondern befinde sich auf anderen internationalen Konten – etwa bei der in der Schweiz ansässigen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als Bank der Notenbanken gilt. Nur maximal 0,2 Prozent der Reserven seien den Taliban zugänglich.
Experten: Wirtschaftsleistung wird einbrechen
Die Wirtschaftsleistung Afghanistans wird Experten zufolge nach der Machtübernahme durch die Islamisten einbrechen. Das Bruttoinlandsprodukt könnte in diesem Jahr zwischen 10 und 20 Prozent fallen, sagte Analystin Anwita Basu von der Forschungs- und Risikoanalysebereich der Ratingagentur Fitch der Nachrichtenagentur Reuters. "Es ist schwer vorstellbar, wie das Land in diesem Jahr ein Wachstum erzielen soll", fügte sie hinzu.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) war vor dem Machtwechsel noch von einem Wirtschaftswachstum von vier Prozent ausgegangen. Die Landeswährung könnten nun weiter abwerten, sagte die Fitch-Expertin. Eine starke Inflation sei ebenfalls vorstellbar.
Neuer Zentralbankchef ohne Finanzausbildung
Einem ranghohen Taliban zufolge stammt Idris aus der nördlichen Provinz Dschauschan und habe lange Zeit in Finanzfragen mit dem früheren Anführer der Bewegung, Mullah Achtar Mansur, zusammengearbeitet. Dieser war 2016 bei einem Drohnenangriff getötet worden. Obwohl er weder eine formale Finanzausbildung noch ein Hochschulstudium absolviert habe, stieg er zum Leiter der Finanzabteilung der Bewegung auf.
Er sei für sein Fachwissen respektiert worden, sagte ein hochrangiger Taliban-Funktionär. "Es gibt viele Menschen, die der Welt unbekannt waren, aber dann Schlüsselpositionen innehatten und einen großen Beitrag leisteten", sagte er. "Idris gehört zu ihnen."
Die Taliban haben nach der Einnahme der Hauptstadt Kabul am Sonntag die Macht in Afghanistan übernommen, das zu den ärmsten Staaten der Welt gehört. Dabei könnte es eigentlich ein reiches Land sein, denn es verfügt über viele begehrte Bodenschätze wie Lithium, Kupfer, Seltene Erden und Öl. Bis zu drei Billionen Dollar dürften die dortigen natürlichen Rohstoffe wert sein, schätzte ein ehemaliger Bergbauminister des Landes (mehr zu den Rohstoffschätzen der Taliban lesen Sie hier).
- Nachrichtenagentur Reuters