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FDP-Politiker zur Rentenbesteuerung: "Die Praxis ist bislang eine Schande"


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FDP-Politiker zur Rentensteuer
"Die Praxis ist bislang eine Schande"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 23.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Hermann Otto Solms: Der FDP-Politiker kritisiert das Bundesfinanzministerium scharf.Vergrößern des Bildes
Hermann Otto Solms: Der FDP-Politiker kritisiert das Bundesfinanzministerium scharf. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)
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Ende Mai fällt das oberste Finanzgericht ein historisches Urteil: Kommt es zu einer doppelten Besteuerung von Renten? FDP-Politiker Hermann Otto Solms sieht Finanzminister Scholz in der Verantwortung.

Es klingt wie eine trockene Frage, doch sie könnte Millionen von Senioren betreffen: Kassiert der Fiskus bei Renten zwei Mal ab? Diese Frage verhandelte der Bundesfinanzhof am vergangenen Mittwoch, bis Ende Mai soll hier ein historisches Urteil fallen.

Doch worum geht es genau? Seit 2005 wird die Rentenbesteuerung umgestellt. Zuvor verlangte der Staat "vorgelagert" Steuern auf die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer. Ab 2040 sollen die ausgezahlten Renten vollständig "nachgelagert" besteuert werden. Die Beiträge im Arbeitsleben sind ab diesem Zeitpunkt gänzlich steuerfrei.

In der 35 Jahre langen Übergangsphase sinkt die Steuerbelastung der Beiträge. Gleichzeitig steigt der steuerpflichtige Anteil der ausgezahlten Renten, während der Rentenfreibetrag, der zum steuerfreien Teil der Rente zählt, sinkt. In der Übergangsregelung sehen viele Rentner eine Überbesteuerung. Ihre Begründung: Das Finanzamt belaste sie zu viel, weil die steuerbefreiten Renten niedriger seien als die eingezahlten versteuerten Beiträge. Mehr zur Rentenbesteuerung lesen Sie hier.

Auch FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms sieht das so. Der Alterspräsident des Deutschen Bundestags erklärt im Interview mit t-online, welche Auswirkungen das Urteil haben kann – und warum er Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kritisiert.

t-online: Herr Solms, am 31. Mai entscheidet der Bundesfinanzhof über die Frage, ob Rentner zu Unrecht doppelt besteuert werden. Was ist Ihre Prognose?

Hermann Otto Solms: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass das Gericht die Rentenbesteuerung in ihrer jetzigen Form kippen wird. Konkret geht es um die genaue Berechnungsweise. Hier wird der Finanzhof hoffentlich Klarheit schaffen. Erst danach kann systematisch geprüft werden, ob es zu einer Doppelbesteuerung kommt.

Können Sie das genauer erklären?

Wenn die aus versteuertem Einkommen gezahlten Beiträge größer sind als der steuerbefreite Teil der Rente spricht man von einer Zweifachbesteuerung. Bislang bezieht das Finanzministerium aber den Grundfreibetrag in den steuerfreien Teil der Renten mit ein. Dadurch wird dieser sehr groß, sodass es im Grunde eher selten zu einer Doppelbesteuerung kommen kann. Das Finanzministerium rechnet es sich schlicht schön. Geht man allerdings vom Werbungskostenpauschbetrag aus, der deutlich geringer ist, kann es zur doppelten Besteuerung kommen.

Von welcher Zahl an Fällen sprechen wir?

Es sind rund 142.000 Einsprüche gegen Steuerbescheide an den Finanzämtern anhängig. Doch das sind sicher nicht alle. Ich gehe davon aus, dass es in einer stattlichen Zahl von Fällen zu einer Doppelbesteuerung kommt. Und die Rechenweise spielt vor allem für künftige Rentner eine entscheidende Rolle. Das wird Millionen künftiger Senioren betreffen.

FDP-Legende
Hermann Otto Solms (*1940) ist seit 2017 Alterspräsident des Deutschen Bundestages. Zwischen 1980 und 2013 sowie seit 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages für die FDP. Zwischen 1998 und 2013 war der Finanzpolitiker Vizepräsident des Bundestags. Solms, gelernter Bankkaufmann und Ökonom, war zudem insgesamt 26 Jahre Schatzmeister seiner Partei, seit 2020 ist er Ehrenvorsitzender der FDP.

Sie waren Vizepräsident des Bundestags, als das Alterseinkünftegesetz beschlossen und die nachgelagerte Besteuerung von Renten eingeführt wurde. Hätten Sie damals nicht schon absehen können, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommen könnte?

Wir waren zumindest unsicher, was die genauen Folgen sind, wie sich das Gesetz tatsächlich auswirkt. Um das klarzustellen: Die nachgelagerte Besteuerung ist sinnvoll. Denn so müssen Rentner erst im Alter Steuern zahlen, wenn die Steuerlast ohnehin geringer ist als im Erwerbsleben. Doch die konkreten Auswirkungen der Übergangsphase hat die damalige rot-grüne Regierung nicht genug bedacht. Daher hat die FDP das Alterseinkünftegesetz damals abgelehnt.

Das Bundesfinanzministerium pocht darauf, dass die Rentenbesteuerung verfassungskonform ist. Holt es sich jetzt eine Klatsche ab?

Klatsche ist etwas hart ausgedrückt. Allerdings: Das Finanzministerium ist stets gehalten, im Sinne des Fiskus zu agieren – und nicht im Sinne der Bürger. Deshalb sprechen die Finanzexperten im Ministerium auch nur von Steuerpflichtigen. Ich halte diesen Begriff für völlig verfehlt. Das Finanzministerium sieht den Bürger als Untertan – und nicht als Souverän. Ich finde, wir sollten daher vom Steuerbürger sprechen. Es ist gut, wenn das BMF dazu gezwungen wird, endlich im Sinne des Bürgers zu agieren – und nicht im Sinne des Fiskus.

Dazu würde aber auch gehören, dass nicht jeder Bürger einzeln nachweisen muss, dass er doppelbesteuert wird, oder?

Genau. Die Praxis ist bislang eine Schande. Es kann nicht sein, dass Bürger alle Steuerbescheide und Unterlagen ihres gesamten Lebens vorlegen müssen – und von den Finanzämtern unter Druck gesetzt werden. Wir fordern deshalb eine Umkehr der Beweislast. Die Finanzämter müssen den Bürgern mitteilen, wenn diese doppelt besteuert werden. Jeder einzelne Bürger muss sich sicher sein können: Mein Fall wird berechnet, und ich erfahre, wenn ich betroffen bin.

Das klingt nach viel Aufwand.

Nein, das lässt sich digitalisieren. Das sind automatische Massenverfahren, ein rein formaler Vorgang. Ich denke, da wird es keine Probleme geben. Wichtig ist aber, dass es eine klare Berechnungsgrundlage gibt. Dafür wird der Bundesfinanzhof hoffentlich sorgen.

Das Finanzministerium hat bei der Verhandlung am BFH eine Bagatellgrenze für die Doppelbesteuerung ins Spiel gebracht, also dass ein gewisser Prozentsatz an doppelter Besteuerung rechtlich erlaubt ist. Was halten Sie davon?

Vieles spricht aus Praktikabilitätsgründen dafür, dass man mit einer solchen Bagatellgrenze arbeitet. Diese müsste der Gesetzgeber einführen. Allerdings darf sie auf keinen Fall zu hoch sein.

Wie hoch denn?

Konkret lässt sich das noch nicht sagen. Wir müssen das Urteil abwarten – und können dann erst bewerten, zu wie vielen Fällen es tatsächlich kommt. Und wie hoch die Bagatellgrenze sein müsste.

Je nachdem welches Urteil fällt, könnten Bürger auch Steuererstattungen zurückfordern, oder?

Richtig. Das gilt aber nur, wenn die Bürger vorher Einspruch gegen ihren Steuerbescheid eingelegt haben. Auch deshalb fordern wir die Umkehr der Beweislast. Das Bundesfinanzministerium hat in diesem Fall jedoch nicht vorgesorgt. Das Urteil kann massenhafte Auswirkungen haben, es geht hier um Milliarden Euro an Steuergeldern. Es ist gut möglich, dass ein weiterer Nachtragshaushalt nötig sein wird. Und dann muss Scholz erklären, wie das sein kann.

Nun stehen im September Bundestagswahlen an. Und Olaf Scholz will Kanzler werden…

Die Gefahr, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird, ist ausgesprochen gering.

Dennoch: Wird das Thema Rentenbesteuerung eine Rolle spielen?

Ich fürchte nein. Keiner der drei Kandidaten, weder Scholz noch Annalena Baerbock oder Armin Laschet, ist in der Frage der Rentenbesteuerung besonders fachkundig. Sie werden den Teufel tun, das hoch zu kochen. Wir werden das Urteil aber nicht ignorieren können.

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Sie selbst werden im September nicht mehr kandidieren.

Nein, aber über den übernächsten Bundestag habe ich noch nichts gesagt. Spaß beiseite. Früher war meine Vorstellung immer: Ich werde mindestens bis 70 arbeiten. Als ich 70 geworden bin, habe ich noch 10 Jahre drangehangen. Jetzt ist es aber auch gut.

Und was ist Ihr Plan für den Ruhestand?

Ich bin gut beschäftigt, da ich noch einige andere Aufgaben habe. Ich möchte die Zeit aber auch nutzen, um beispielsweise im Garten zu arbeiten. Vor allem hoffe ich, dass es etwas entspannter wird.

Herr Solms, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Hermann Otto Solms
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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