Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Harte Kritik von Wirtschaftsforscher "Die Politik wiederholt die Fehler vom Herbst"
Seit Mitte Dezember ist Deutschland im Lockdown, seit März gibt es Lockerungen. Mehrere Forschungsinstitute senken deshalb ihre Konjunkturprognosen – und üben teilweise harte Kritik.
Die Konjunkturforscher vom Münchner Ifo-Institut haben scharfe Kritik an der aktuellen Corona-Politik von Bund und Ländern geübt. Anlässlich der aktuellen Prognose zur Wirtschaftsleistung in Deutschland sagte Ifo-Volkswirt Andreas Peichl: "Momentan läuft ziemlich viel schief. Die Politik wiederholt die Fehler vom Herbst."
Ökonomisch sei es viel sinnvoller, anders zu handeln. "Wir schießen großflächig mit der Schrotflinte in den Wald und hoffen, irgendwas zu treffen, anstatt gezielt vorzugehen." So wäre es für die Wirtschaft laut Peichl, der Anhänger der sogenannten No-Covid-Strategie ist, besser, einen konsequenten harten Shutdown zu machen, anstatt Lockerungen und Lockdowns immer wieder abzuwechseln.
- Wirtschaftlicher Abschwung: Was bedeutet eine Rezession für mich?
- Spontaner Corona-Gipfel: Merkel kippt Ruhetags-Pläne zu Ostern
"Bund und Länder haben zuletzt planlose Lockerungen beschlossen – ohne eine ausgefeilte Teststrategie und ohne dass wir die Daten zum Infektionsgeschehen richtig nutzen", sagte Peichl.
Ifo-Institut korrigiert Wirtschaftsprognose nach unten
Die Folgen für Unternehmen und Verbraucher: hohe Unsicherheit und wenig Perspektive auf eine langfristige, dauerhafte Entspannung der Pandemie und damit des wirtschaftlichen Einbruchs. Entsprechend korrigierte das Ifo-Institut seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr nach unten.
Angesichts des andauernden Lockdowns erwarten die Münchner Wirtschaftsforscher jetzt nur noch 3,7 Prozent Wirtschaftswachstum. Im Dezember hatten sie noch mit 4,2 Prozent gerechnet. "Die Corona-Krise zieht sich hin und verschiebt den erwarteten kräftigen Aufschwung nach hinten", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Die Corona-Krise dürfte bis Ende nächsten Jahres voraussichtlich 405 Milliarden Euro kosten, gemessen an entfallender Wirtschaftsleistung.
Es hängt vom weiteren Verlauf der Krise ab
Die Wirtschaftsleistung war im vergangenen Corona-Jahr um 4,9 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit gestiegen. Zwar dürfte die Zahl der Arbeitslosen nach Ifo-Prognose dieses Jahr leicht zurückgehen von 2,7 auf 2,65 Millionen. Die Arbeitslosenquote würde damit von 5,9 auf 5,8 Prozent sinken. Die Verbraucherpreise dürften um 2,4 Prozent steigen.
Allerdings hänge all das entscheidend vom weiteren Verlauf der Krise ab, betonten die Wirtschaftsforscher. "Sollten die Umsätze in den von der Corona-Krise unmittelbar betroffenen Dienstleistungsbranchen um weitere drei Monate auf dem niedrigen Niveau des ersten Quartals verharren, so würde der Anstieg der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,3 Punkte niedriger ausfallen und nur bei 3,4 Prozent liegen", erklärte Wollmershäuser.
Gäbe es erst ab Juni Lockerungen im größeren Stil, würden sich auch die Kosten erhöhen. Konkret rechnen die Ökonomen damit, dass in diesem Fall zusätzliche Schäden in Höhe von rund 13 Milliarden Euro entstünden. "Gleichzeitig gilt aber auch: Es käme dann kein weiterer negativer Impuls hinzu", erklärte Wollmershäuser. Der Grund: Die deutsche Wirtschaft befinde sich bereits auf niedrigem Niveau, es fielen lediglich positive Entwicklungen weg.
Wann kommt die Insolvenzwelle?
Das Risiko der zuletzt viel diskutierten Insolvenzwelle schätzt er dabei weiterhin hoch ein. "Klar ist, dass sie kommen wird – allein wegen des Strukturwandels, den Corona beschleunigt", sagte Wollmershäuser und meint damit etwa Unternehmen, deren Geschäftsmodell dauerhaft unter dem coronabedingten Digitalisierungsschub zurückbleiben, zum Beispiel Fluggesellschaften und Hotels, die ihr Geld primär mit Dienstreisen verdienen.
Wie groß die Insolvenzwelle aber ausfällt und wann genau sie eintritt, sei schwer vorherzusagen. Dass sie kurzfristig auftritt, ist indes wenig wahrscheinlich. Hintergrund dafür ist die andauernde Ausnahmeregelung bei der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht.
Weitere Institute senken Prognosen
Neben dem Ifo-Institut veröffentlichten am Mittwoch auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) ihre Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr. Das IW erwartet demnach nur noch ein Plus von 3 Prozent statt der bislang angenommen 4 Prozent.
"Die Pandemie ist längst nicht überwunden", warnte IW-Direktor Michael Hüther. "Der Lockdown wird bis nach Ostern verlängert, das Impfen stockt, Menschen konsumieren wenig und Unternehmen investieren noch nicht wie vor der Krise."
Mehr Zuversicht verbreiteten dagegen die Ökonomen vom IMK. Das Institut rechnet mit einem BIP-Plus von 4,9 Prozent. Treiber dafür seien die steigenden Exporte und wieder in Schwung kommender Konsum. "Medizinisch ist die Corona-Pandemie leider längst noch nicht besiegt und damit bleiben Risiken. Aber ökonomisch stehen die Zeichen nach dem harten Jahr 2020 erst einmal auf Entspannung", sagte der Direktor des IMK Sebastian Dullien.
- Pressekonferenz des Ifo-Instituts
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa