Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Digitaler Gipfel Altmaier und Wirtschaft wollen Strategie für Öffnungen erarbeiten
In der deutschen Wirtschaft wächst der Unmut über die Corona-Politik von Bund und Ländern. Nach dem digitalen Wirtschaftsgipfel scheint es aber eine Perspektive zu geben.
Lockdown light, harter Lockdown, Lockdown-Verlängerung: Seit November muss die Wirtschaft in Deutschland wegen der Corona-Pandemie mit starken Einschränkungen leben. Restaurants, Bars, Geschäfte sind geschlossen – inzwischen leidet wegen Staus an den Grenzen auch die Industrie unter den Corona-Beschlüssen von Bund und Ländern.
Was den Unternehmen bisher vor allem fehlte: eine Perspektive auf Besserung. Die soll es nach dem digitalen Wirtschaftsgipfel nun offenbar geben. t-online erklärt, worauf sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und die Wirtschaft geeinigt haben, warum die Hilfsgelder so langsam fließen – und warum der Ärger über Altmaier überhaupt so groß ist.
Was ist das Ergebnis des Wirtschaftsgipfels?
Wirtschaftsminister Peter Altmaier will gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern zu den nächsten Beratungen von Bund und Ländern Anfang März Empfehlungen für eine Öffnungsstrategie erarbeiten. Das kündigte der CDU-Politiker am Dienstag nach dem "Wirtschaftsgipfel" am Dienstag an.
Es gehe um eine gemeinsame Position mit Empfehlungen vom Standpunkt der Wirtschaft, was eine Öffnungsstrategie angehe. Es sei von Verbänden "nachvollziehbar" beklagt worden, dass Ungewissheit mit das Schwierigste sei in der derzeitigen Lage.
Der Lockdown mit der Schließung etwa der Gastronomie und vieler Einzelhandelsgeschäfte war zuletzt von Bund und Ländern noch einmal bis zum 7. März verlängert worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder wollen am 3. März beraten, wie es weitergeht.
Altmaier sprach von einer "begründeten Hoffnung", dass es für viele Bereiche bei den nächsten Bund-Länder-Beratungen eine Öffnungsperspektive geben könne. Er kündigte außerdem an, bei den Kriterien zu staatlichen Finanzhilfen über Anpassungen nachzudenken.
So sollen auch große Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz Hilfe erhalten können. Die bisherige Obergrenze werde fallengelassen, sagt der CDU-Politiker. Der Handelsverband Deutschland erklärte, dies habe er "seit Monaten" gefordert. Details sollen nun mit dem Finanzministerium geklärt werden.
Worum ging es beim Treffen der Wirtschaft mit Minister Altmaier?
Die Unternehmen waren enttäuscht, dass der Lockdown erneut verlängert wurde – und nun der Inzidenzwert von 35 statt bislang 50 maßgeblich für weitere Lockerungen ist. Der Grund für diesen Wert ist die Sorge vor der Ausbreitung der Virusmutationen.
Die Wirtschaft verlangte verlässlichere Planungen für die weiteren Schritte. Verbände beklagten zudem stockende Hilfszahlungen und zu viel Bürokratie.
Das Treffen war bereits das vierte große Zusammenkommen von Wirtschaftsverbänden mit Altmaier seit Beginn der Corona-Krise. Es knüpfte an Treffen im April, Juni und Oktober 2020 an.
Welche staatlichen Hilfen gibt es überhaupt?
Um die Unternehmen in der Corona-Krise zu unterstützen, hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr neben der Übernahme von Kreditbürgschaften und einem Wirtschaftsstabilisierungsfonds mehrere Hilfspakete aufgelegt. Mit ihnen finanziert der Bund Direktzahlungen an die Firmen, die diese nicht zurücküberweisen müssen.
Die Hilfspakete im Überblick:
- Überbrückungshilfe I: Diese Hilfe richtete sich an Firmen, deren Umsatz von April bis Mai 2020 um durchschnittlich mindestens 60 Prozent eingebrochen war. Sie schloss sich der Soforthilfe vom vergangenen Frühjahr an.
- Überbrückungshilfe II: Diese Hilfe ist für kleine und mittlere Unternehmen, Soloselbstständige und Freiberufler gedacht, die sowohl Umsatzeinbußen in den Monaten April bis August 2020 hatten, als auch zwischen September und Dezember 2020.
- Überbrückungshilfe III: Diese Zahlungen richten sich an Unternehmen bis zu einem jährlichen Umsatz von 750 Millionen Euro sowie Soloselbstständige und Freiberufler, die zwischen November 2020 und Juli 2021 erhebliche Umsatzeinbußen erlitten haben.
- November- und Dezemberhilfe: Diese Hilfen sollen Betriebe unterstützen, die wegen des Lockdown light im November (und danach noch länger) schließen mussten – etwa Restaurants, Kinos oder Hotels. Für die November- und Dezemberhilfe rechnet der Bund jeweils mit Kosten von 15 Milliarden Euro.
- Neustarthilfe: Dieses Hilfspaket soll an Soloselbstständige fließen, die zwischen Januar und Juli 2021 wirtschaftliche Probleme wegen Corona haben und so ihre Existenz sichern. Bis zu 7.500 Euro können sie beantragen.
Für die November- und Dezemberhilfen sind Abschlagszahlungen möglich, also Vorschüsse auf spätere Zahlungen. Das Problem: Die Zuschüsse fließen nur schleppend. So sind bis zum 15. Februar 2021 erst rund sechs Milliarden Euro von den November- und Dezemberhilfen ausgezahlt worden. Allerdings sind Anträge mit einem Fördervolumen von 9,7 Milliarden Euro eingegangen – das heißt im Klartext: Fast vier Milliarden Euro sind noch nicht überwiesen.
Von der Überbrückungshilfe III sind lediglich 34,6 Millionen Euro überwiesen worden. Das liegt aber auch daran, dass die Beantragung der Überbrückungshilfe III erst seit vergangener Woche möglich ist.
Warum fließt das Geld so langsam?
Kurz gesagt: Weil zunächst keiner für die Auszahlung der Novemberhilfen zuständig sein wollte – und Altmaier schließlich eine neue Software bauen lassen musste, um die Anträge der Unternehmen zu bearbeiten.
Das Verantwortungspingpong geht zurück bis ins vergangene Frühjahr zum Beginn der Corona-Krise. Damals übernahmen die Bundesländer und ihre landeseigenen Förderbanken die Überweisung der Soforthilfen sowie der Überbrückungshilfe I, "unbürokratisch und schnell" wie es oft hieß. Vielerorts, so etwa in Berlin und NRW, kam es dabei jedoch zu Betrug durch Firmen, die sich Geld erschlichen, das sie nicht hätten bekommen dürfen.
Nachdem Altmaiers Bundeswirtschaftsministerium den Ländern im Sommer auf die Finger gehauen hatte, lehnten die es im November ab, erneut ein Antragssystem für die Auszahlung der Direkthilfen zu entwickeln. Auch das Finanzministerium unter Olaf Scholz (SPD) winkte ab: Die Finanzämter sähen sich nicht imstande, die Abwicklung der Hilfen zu übernehmen.
Also musste schließlich Altmaiers Ministerium selbst ran. Doch auch im Wirtschaftsministerium gab es kein System, das sich für die Auszahlung der Gelder eignete. Deshalb beauftragte Altmaier ein externes Unternehmen, das eine Software entwickeln sollte, über das die Firmen ihre Anträge stellen können. Auf diese Weise verstrichen Tage und Wochen, wertvolle Zeit also, die nun fehlt.
Warum ist die Wirtschaft so sauer auf Altmaier?
Diese Frage beantworten Wirtschaftsvertreter seit Wochen nur hinter vorgehaltener Hand. Offiziell richtet sich der Zorn weniger auf ihn persönlich als vielmehr auf die gesamte Politik, die die Interessen der Unternehmen in der Bekämpfung der Corona-Pandemie angeblich nicht genug berücksichtigt.
Inoffiziell jedoch ist der Ärger auch über Altmaier groß. Viele vermissen, dass sich Altmaier in seiner Funktion als Wirtschaftsminister stärker für die Unternehmen in Deutschland einsetzt. Er wage es nicht oft genug, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, um vehement für die Anliegen der Wirtschaft einzustehen.
Viele legen ihm das als Schwäche aus. Dazu passen Berichte führender Vertreter wichtiger Wirtschaftsverbände, dass Altmaier zwar fast täglich im Dialog mit Unternehmensverbänden stehe, sich die Sorgen und Nöte in Videoschalten anhöre – letztlich aber doch nur für wenige Verbesserungen sorge, die Anliegen offenbar nicht laut genug im Kabinett vortrage.
- Eigene Recherche
- Bundeswirtschaftsministerium
- ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de
- Handelsblatt
- Tagesspiegel
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa