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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Forderung des Handelsverbands Experten gegen Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung
Der Handelsverband fordert, die Mehrwertsteuersenkung auf 2021 zu verlängern. Ökonomen und Handelsforscher sehen das aber skeptisch – und haben andere Ideen.
Experten haben sich dagegen ausgesprochen, die Mehrwertsteuersenkung nach Jahresende zu verlängern. Dies hatte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in der "Wirtschaftswoche" gefordert. "Für die meisten Händler war der Aufwand der Umstellung deutlich höher als der Nutzen", sagte er.
In vielen Läden hätten etwa Kassentechniker in die Systeme eingreifen und Preise neu ausgezeichnet werden müssen. Durch eine Verlängerung der Maßnahme könne "sich der Aufwand der Umstellung besser amortisieren".
"Es handelt sich bei der Mehrwertsteuersenkung um eine konjunkturpolitische Maßnahme", sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Videokonferenz mit Journalisten. "Sie ergibt nur Sinn, wenn sie zeitlich befristet ist."
Handelsforscher sieht Verlängerung skeptisch
Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hatte die Bundesregierung den Mehrwertsteuersatz vom 1. Juli an für ein halbes Jahr verringert: von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Die Maßnahme läuft zum Jahresende aus. Der Effekt der Senkung war allerdings von Anfang an umstritten.
Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln), sieht eine Verlängerung aus diesem Grund kritisch. "Die niedrigere Mehrwertsteuer hatte bisher – wie zu erwarten war – kaum einen Effekt", sagte er im Gespräch mit t-online. "Den Ansatz, die Mehrwertsteuersenkung weiter zu verlängern, sehe ich daher eher skeptisch."
Als Beispiel führt er den Kauf eines Sofas an. "Habe ich mir zu Weihnachten ein neues Sofa zugelegt, werde ich es in drei Monaten nicht schon wieder durch ein neues ersetzen."
IW-Chef: Menschen die Sorgen vor Impfstoff nehmen
Auch HDE-Chef Genth gibt zu: Bislang habe die Maßnahme nur wenig gebracht – etwa im Handel mit hochpreisigen Waren wie dem Möbelhandel. "Die Mehrwertsteuersenkung hat nur für eine marginale Konsumbelebung gesorgt", monierte Genth.
Innenstädte könnten aber von niedrigeren Steuersätzen profitieren, wenn die Pandemie besser im Griff sei und die Menschen wieder Lust auf Einkaufsbummel hätten. "Derzeit kommen die Kunden egal bei welchem Mehrwertsteuersatz nicht in die Geschäfte in den Stadtzentren."
IW-Chef Hüther stellt dagegen auf Einkommensentlastungen ab, die ab kommendem Jahr greifen. "Wir gehen mit Entlastungen ins neue Jahr", sagte Hüther – etwa mit Blick auf die weitgehende Abschaffung des Soli ab Januar.
Dass die Menschen nicht einkaufen, liege nicht an den Preisen oder ihrem Einkommen, sondern an einer Angst vor einer Ansteckung. Statt die Mehrwertsteuersenkung beizubehalten, spricht sich der Ökonom deshalb für eine breite Impfstoffkampagne aus. "Hier sollten wir den Menschen ihre Sorgen nehmen."
Olaf Scholz gegen Verlängerung der Steuersenkung
Hudetz sieht derweil lediglich den Kostenaspekt für die Umstellung auf den niedrigeren Mehrwertsteuersatz als Argument für eine Verlängerung. "Ob die Kosten durch eine Verlängerung wirklich amortisiert werden, muss sich erst in der Praxis beweisen", sagte er.
Dazu wird es voraussichtlich aber ohnehin nicht kommen. Denn auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte sich wiederholt dagegen ausgesprochen, die Steuersenkung zu verlängern.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Kai Hudetz
- Videokonferenz mit Michael Hüther
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa