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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Plastikkarte statt Scheine Versetzt Corona dem Bargeld den Todesstoß?
Seit der Corona-Krise zahlen deutlich mehr Menschen mit Karte: So ist jedenfalls der Eindruck vieler. Doch ist das tatsächlich so? Und wird Bargeld durch die Pandemie überflüssig?
"Bar oder mit Karte?" – "Mit Karte natürlich." Ein Supermarkt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg an einem Mittwochabend im Dezember. So gut wie jeder, der hier einkaufen geht, zahlt mit Karte. Nur ein junger Mann nestelt einige Münzen aus seiner Hosentasche – er war trotz Eiseskälte joggen, hat sein Portemonnaie samt EC-Karte zu Hause gelassen.
Doch nicht nur im Supermarkt zahlen viele Menschen mit Karte. Auch dort, wo früher Bargeld angesagt war, wird das Stück Plastik gezückt, wie eine Berliner Friseurin erzählt. "Früher hat die Hälfte der Leute noch bar bezahlt", sagt sie. "Seit Corona wollen alle nur noch mit Karten zahlen."
Zwar sind die Eindrücke aus der Hauptstadt kaum repräsentativ. Einen ersten Schluss lassen sie aber trotzdem zu: Die Kartenzahlung ist auf dem Vormarsch – womöglich auch wegen des Coronavirus.
Eine Milliarde Einkäufe weniger mit Bargeld
Dass die Pandemie bei der neuerlichen Kartenfaszination tatsächlich eine entscheidende Rolle spielt, belegt eine Untersuchung des Handelsforschungsinstituts EHI. Die Forscher gehen davon aus, dass im laufenden Jahr rund eine Milliarde Einkäufe weniger im deutschen Einzelhandel mit Bargeld beglichen werden als 2019.
"In jedem Fall wird das Jahr 2020 als das wachstumsstärkste Jahr für unbares Bezahlen in Deutschland seit Beginn der regelmäßigen Erhebungen durch das EHI im Jahr 1994 eingehen", stellte Horst Rüter, Leiter des EHI-Forschungsbereichs Zahlungssysteme, bereits Anfang November fest.
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Doch woran liegt das? Und bleiben die Deutschen dauerhaft bei der Karte?
Kartenzahlung gilt als hygienischer
Die erste Frage ist leicht zu beantworten. In Zeiten des grassierenden Virus gilt etwa das kontaktlose Bezahlen an der Ladenkasse als sehr hygienisch. Die Sorge vieler Menschen, sich über Banknoten, die durch viele Hände gehen, das Coronavirus einzufangen, zeigt Wirkung.
"Einige Menschen haben Angst vor einer Ansteckung über die Euroscheine", erklärt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung Köln (IFH). "Sie wollen Risiken reduzieren, wo sie meinen, dies zu können – schließlich wandert Bargeld durch hunderte Hände."
Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann gibt jedoch Entwarnung. "Studien belegen: Die Infektionsgefahr durch Banknoten ist sehr gering", sagt er im Gespräch mit t-online. "Die empfohlenen Handhygiene-Regeln zu beachten, ist völlig ausreichend. Da braucht sich niemand Sorgen zu machen."
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Wie wichtig der Sicherheitsaspekt trotzdem ist, zeigt derweil eine Studie des Kreditkartenunternehmens Visa. In Deutschland würden 44 Prozent der befragten Verbraucher ein Geschäft meiden, das nur Zahlungsmethoden anbietet, die einen Kontakt mit Kassierern oder einem gemeinsam genutzten Gerät erfordern.
"Der Handel muss darauf reagieren – wenn die Kunden einfordern, vermehrt digital zu zahlen, sollte es ihnen auch angeboten werden", sagt Merle Meier-Holsten, Marketingchefin bei Visa Zentraleuropa. "Geschäfte, die dies nicht tun, haben klare Wettbewerbsnachteile."
Handelsforscher Hudetz ergänzt: "In der Pandemie haben besonders die Discounter und Supermärkte einen Vorstoß gemacht – und für Kartenzahlung geworben. Das hat geholfen, den Deutschen die Angst vor der Karte zu nehmen."
Durch Krise "Gefallen an neuen Bezahlmethoden gefunden"
Doch auch unabhängig vom Hygieneaspekt – und der Werbung der Einzelhändler – gilt Kartenzahlung als sehr einfach. Kunden müssen ihre Kreditkarte oder Girocard dabei quasi im Vorbeigehen nur vor das Lesegerät halten, die Daten werden verschlüsselt übertragen.
Bei geringen Beträgen ist nicht einmal die Eingabe der Geheimnummer (PIN) nötig. In der Corona-Krise haben viele Banken ihr Limit fürs kontaktlose Zahlen erhöht: von 25 auf 50 Euro.
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Auch andere elektronische Bezahlarten wie Apple Pay oder Google Pay sind im Kommen. "Eine Entwicklung hinsichtlich digitaler Bezahlmethoden gab es schon lange vor Corona. Doch die Deutschen haben durch die Krise verstärkt Gefallen an den neuen Bezahlmethoden gefunden", so Meier-Holsten. "Wir denken, dass das auch so bleiben wird."
"Bargeld wird es noch lange nach der Pandemie geben"
Doch ändert die Krise das Bezahlverhalten der Menschen wirklich grundlegend?
Mit Sicherheit lässt sich das noch nicht beantworten. Jedoch zeigen zahlreiche Erhebungen einen eindeutigen Trend zur Abkehr vom Bargeld auf. Neben der eher kommerziell getriebenen Visa-Umfrage sind das vor allem die folgenden beiden Studien:
- In einer EZB-Erhebung in den Euroländern im Juli 2020 gaben vier von zehn Befragten an, seit Beginn der Pandemie seltener Bargeld verwendet zu haben – von denen wiederum fast 90 Prozent dies auch künftig nach der Pandemie beibehalten wollen.
- Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Umfrage des IFH unter deutschen Verbrauchern: 62 Prozent der Befragten haben wegen der Corona-Pandemie ihr Bezahlverhalten geändert. 58 Prozent von ihnen gaben an, mehr mit Karte zu zahlen – sei es kontaktlos oder mit der Karte zum Einstecken. Unter allen Umfrageteilnehmern wiederum gaben 36 Prozent an, in Zukunft häufiger kontaktlos bezahlen zu wollen. Nur 12 Prozent wollen mehr mit Scheinen und Münzen zahlen. IFH-Geschäftsführer Hudetz kommentiert die Zahlen so: "Corona ist der Treiber, der die Abkehr vom Bargeld massiv beschleunigt."
"Wenn die Pandemie vorbei ist, werden nicht plötzlich alle wieder mit Scheinen und Münzen zahlen", so Hudetz. "Der Trend zur Kartenzahlung auf diesem Niveau wird bleiben – und weiter zulegen." Gleichzeitig macht der Handelsforscher aber deutlich: "Die Deutschen sind eher konservativ. Selbst in einer Pandemie zahlen noch Menschen mit Bargeld." Klar sei deshalb: "Corona wird dem Bargeld nicht den Todesstoß versetzen."
Auch Bundesbank-Vorstand Beermann glaubt nicht an ein baldiges Ende von Scheinen und Münzen. "Bargeld wird es noch lange nach der Pandemie geben", so der Jurist. Der Grund: "Bargeld ist das ausfallsicherste Zahlungsmittel, das es gibt. Gerade in einer Krise, wenn die Menschen ohnehin verunsichert sind, braucht es ein Zahlungsmittel, auf das sie sich verlassen können."
EU will 1- und 2-Cent-Münzen abschaffen
Zumindest die kleinsten Münzen, also 1- und 2-Cent-Stücke, dürften bald verschwinden. Die EU-Kommission hat ein entsprechendes Konsultationsverfahren gestartet. Bürger, die in der Eurozone leben, können sich noch bis 11. Januar dazu äußern, was sie von einer Abschaffung des Kupfergeldes halten.
Bundesbank-Vorstand Beermann spricht sich für den Erhalt des Kupfergeldes aus. "Ein altes Sprichwort besagt: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert", sagt er. "So sehe ich das auch: Viele Menschen müssen im wahrsten Sinne des Wortes jeden Cent zweimal umdrehen." Der Erhalt der Cent-Münzen sei deshalb auch eine Frage der Wertschätzung. "Ich persönlich freue mich auch über jeden Glückscent, den ich finde."
Die Idee für die Abschaffung des Kleingeldes gab es jedoch schon vor Corona. Doch bis die Münzen tatsächlich verschwunden sind, wird es noch dauern.
Die Kommission teilte bereits mit, dass sie frühestens Ende 2021 einen Gesetzesvorschlag vorlegen wird. Bis dahin geht also noch mindestens Kupfergeld über den Ladentisch – oder wandert als Glückscent ins heimische Sparschwein.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Kai Hudetz
- Gespräch mit Merle Meier-Holsten
- Gespräch mit Johannes Beermann
- IFH: "Corona Consumer Check Vol. 7"
- EHI-Studie: "1 Milliarde Einkäufe weniger mit Bargeld"
- Visa-Studie: "Back to Business"
- Europäische Zentralbank: "Allmählicher Wandel beim Zahlungsverhalten im Euroraum"
- EU-Kommission: Uniform rounding rules for cash payments in euro – assessment
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa