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Glyphosat: Landwirtschaft zwischen Umwelt und Produktion


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Gastbeitrag von Landwirt
Bei Glyphosat sollte man die Gefühle beiseitelassen

MeinungEin Gastbeitrag von Hans Rudolf Kiesgen

Aktualisiert am 23.10.2019Lesedauer: 5 Min.
Ein Trecker mit Spritzanlage auf dem Feld: Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat sollte auf keinen Fall in Gewässer gelangen.Vergrößern des Bildes
Ein Trecker mit Spritzanlage auf dem Feld: Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat sollte auf keinen Fall in Gewässer gelangen. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)
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Ab Ende 2023 soll das Pflanzenschutzmittel Glyphosat verboten werden. Doch ohne Herbizide müssen Landwirte bald womöglich Flächen brach legen. Welche Lösungen könnte es geben? Der Winzer Hans Rudolf Kiesgen analysiert die politischen Beschlüsse zum Thema Glyphosat in einem Gastbeitrag.

Gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch knapp fünf Millionen Menschen in Deutschland, die in der Landwirtschaft arbeiteten, so sind es heute nur etwa 600.000. Mit diesem Strukturwandel hat sich auch das Verständnis von und für die Landwirtschaft verwandelt.

Die Lebensmittel kauft man heute nicht mehr beim Bauern, sondern im Geschäft. Die Vorstellung, wie Landwirtschaft funktioniert, hat sich weit von der Realität entfernt, weil kaum noch jemand in der Großstadt einen Landwirt kennt.

Meinungen über Glyphosat polarisieren stark

Die Welt ist insgesamt komplizierter geworden und es ist deshalb verständlich, wenn man versucht, die "Guten" und die "Schlechten" zu sortieren. Dabei trifft oft unser Herz und nicht unser Verstand die Entscheidung. Das Herbizid (Unkrautvernichtungsmittel) Glyphosat ist von dieser Polarisierung stark betroffen.

Hans Rudolf Kiesgen wurde 1958 als Sohn eines Winzerehepaars geboren. Nach der Lehre zum Winzer übernahm er 1990 schließlich das elterliche Weingut. Er engagiert sich seit 30 Jahren im Gemeinderat. Außerdem ist er in verschiedenen Berufsverbänden aktiv.

Glyphosat ist giftig für Fische und sollte auf keinen Fall in Gewässer gelangen. Damit das nicht passiert, darf es nicht auf befestigten Flächen oder am Rande von Gewässern eingesetzt werden, wo die Gefahr besteht, dass es weggespült wird. Glyphosat wird in Kleinpackungen an nicht sachkundige Verbraucher und in Großpackungen an sachkundige Profis verkauft. In beiden Fällen darf es nur von sachkundigen Verkäufern vertrieben werden.

Die Geschichte von Glyphosat als Pflanzenschutzmittel

Um dieses Mittel richtig beurteilen zu können, sollte man die Gefühle beiseitelassen und die Fakten bewerten. Glyphosat war um 1970 eines von vielen Herbiziden; es wurde aufgrund des hohen Preises selektiv gegen tief wurzelnde Unkräuter (Ackerwinde, Distel) angewendet, die mit anderen Mitteln nicht ausreichend zu bekämpfen waren.

Glyphosat wird von den grünen Pflanzenteilen aufgenommen und von der Pflanze in die Wurzel und in alle nicht getroffenen Teile transportiert. Dort werden für die Pflanze wichtige Stoffwechselvorgänge blockiert und die Pflanze stirbt ab.

Es gab in dieser Zeit zahlreiche wirksame Herbizide, die bei "normalen" Kräutern ausreichend wirkten und deutlich billiger waren. Damals waren die Äcker und Weinberge "sauber", nur die Nutzpflanze hatte auf der Nutzfläche etwas zu suchen, "Natur" musste sich ihren Platz woanders suchen.

Siegeszug von Glyphosat begann mit der Gentechnik

Mit der Entwicklung der Gentechnik begann der Siegeszug von Glyphosat in der Welt, vor allem außerhalb Europas. Es gelang, Nutzpflanzen zu entwickeln, die von Glyphosat nicht geschädigt werden. Unter anderen einige Mais-, Soja-, Raps- und Baumwollarten bekamen das Gen eines Bakteriums implantiert, das diese Veränderung bewirkte. Bei diesen Arten ist es möglich, Glyphosat über die ganze Kultur zu verteilen, ohne auf diese Nutzpflanzen Rücksicht zu nehmen. Da die grüne Gentechnik in den meisten Ländern der EU nur mit einer Versuchserlaubnis angewendet werden darf, werden diese Pflanzenarten hier nicht angebaut.

In der Welt wurden diese "transgenen Pflanzen" immer mehr angebaut, da sie den Arbeitsaufwand für die Landwirtschaft deutlich reduzierten. Dies erhöhte den weltweiten Bedarf an Glyphosat deutlich und ließ deshalb den Preis stark fallen. Gleichzeitig wurden andere Herbizide verstärkt nicht mehr zugelassen oder die Zulassung nicht mehr beantragt, weil sie entweder schlechter für die Umwelt, teurer oder weniger wirksam waren. Heute gibt es für die Landwirtschaft zwar viele zugelassene Herbizide, aber sehr viele besitzen den Hauptwirkstoff Glyphosat oder haben eine eingeschränkte Wirkung.

Herbizide sind zur Erntesteigerung mittlerweile verboten

Parallel zu dieser Entwicklung verwendete man Herbizide, unter anderem Glyphosat, zur Sikkation. Sikkation meint die Abreifung von Getreide, Kartoffeln und Raps. Dabei werden Kulturen in der Reifephase mit einem Herbizid abgetötet, damit sich die Nährstoffe aus den Blättern in die Frucht (Körner, Kartoffeln und so weiter) zurückziehen und der Feuchtigkeitsgehalt des Erntegutes reduziert wird.

Die Sikkation ist heute lediglich im Ausnahmefall erlaubt und wird nur noch selten angewandt. Durch diese Maßnahme kommt dann der Wirkstoff direkt in die betroffenen Lebensmittel und es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Glyphosat im Bier (Braugerste) und in Kartoffelchips gefunden wird. Die Sikkation ist sehr problematisch und man sollte unbedingt nach geeigneten Alternativen dafür suchen, denn Pflanzenschutzmittel haben in Lebensmitteln nichts zu suchen.

Gesundheitliche Risiken von Glyphosat

Im August 2018 wurde Bayer, als Rechtsnachfolger von Monsanto, vor einem amerikanischen Geschworenengericht verurteilt, einen Hausmeister mit Millionensummen zu entschädigen, weil nicht ausreichend auf die gesundheitlichen Risiken von Glyphosatanwendungen hingewiesen wurde. Über diesen Vorgang wurde, wie auch über einige andere Verbraucherklagen, in den Medien häufig und nicht immer mit der erforderlichen Seriosität berichtet. Diese Berichte bestätigten die Personen, die sich zu Recht Sorgen um unsere Umwelt machen. Das Herz entschied sich für den Hausmeister und gegen Bayer, Argumente wollte in diesem Zusammenhang keiner hören.

Was macht ein Hausmeister mit jährlich 200 Litern Glyphosat? Ich kenne die amerikanischen Anwendungsvorschriften nicht und habe auch keinen Einblick in die dortige Gebrauchsanweisung. Hier in Deutschland darf ein Landwirt je nach Produkt und Kultur zwischen drei und zehn Liter glyphosathaltige Herbizide pro Hektar und Jahr anwenden. Wenn man diese 200 Liter durch zehn Liter pro Hektar teilt, dann hat dieser Hausmeister 200.000 Quadratmeter Gesamtfläche behandelt. Womöglich einen Schulhof, was in Deutschland sowieso verboten wäre. Hat dieser Hausmeister irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen, die beim Umgang mit allen Chemikalien angebracht sind, befolgt? Können Geschworene, die auch Zeitung lesen und Medien konsumieren, überhaupt neutral über eine solche Klage urteilen, ohne sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen?

Pflanzenschutzmittel können überall nachgewiesen werden

Die Analysegenauigkeit steigt ständig, und man kann heute alles überall nachweisen. Es ist nicht möglich, dass man den Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln soweit reduziert, dass sie nicht mehr nachweisbar sind. Das gilt natürlich nicht nur für Glyphosat, sondern auch für alle anderen Mittel.

Die Ministerinnen für Landwirtschaft und für Umwelt haben sich auf ein Glyphosatverbot ab Ende 2023 geeinigt. Wie ist die Situation in der Landwirtschaft heute?

Der Markt für Agrarprodukte ist global, für "Weltbürger" ist das Festhalten an heimischen Produkten rückständig und chauvinistisch, die Entscheidung für weit gereiste Lebensmittel entspricht einem weltoffenen und modernen Lebensstil. Die Tourismusindustrie freut sich darüber, dass Deutschland das beliebteste Urlaubsland der Deutschen ist und der deutsche Weinbauverband freut sich, wenn deutsche Weine in Deutschland den ersten Platz vor Frankreich, Spanien und Italien behaupten können. Eigentlich ist das alles in unseren Nachbarländern selbstverständlich und deshalb kein Grund zur Freude.

Der französische Präsident hat ein sofortiges Verbot für Glyphosat angekündigt, sobald es Alternativen gibt. Die USA haben trotz der laufenden Diskussionen die Anwendung von Glyphosat verlängert.

Zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit hat in der Landwirtschaft der Naturschutz eine so umfassende Rolle gespielt wie heute. Die Landwirtschaft insgesamt ist "grüner" geworden, als sie es je war. Der Verbrauch an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sinkt kontinuierlich, die Naturschutzflächen nehmen zu und die Landwirte müssen nachweisen, dass sie sachkundig sind und müssen an regelmäßigen Fortbildungen teilnehmen. Dass es schwarze Schafe gibt, die das Gesamtbild trüben, lässt sich natürlich nicht verheimlichen. Natürlich haben sich die Strukturen verändert, es gibt den kleinen Bauern nicht mehr, von dem der Verbraucher träumt.

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Ohne Herbizide werden Flächen brach liegen

Wenn demnächst kein wirksames Herbizid mehr zur Verfügung steht, dann werden einige Flächen brach fallen und wieder einige Betriebe aufhören müssen. Seit es Mindestlöhne in Deutschland gibt, ist es auch nicht mehr bezahlbar, diese Flächen ausschließlich mit der Hacke zu bearbeiten, ohne die Preise für die Endprodukte deutlich anzuheben.


Alternative Unkrautbekämpfung mit Heißdampf, Heißwasser, Hitze, Hochdruckwasser und maschineller mechanischer Bearbeitung verursachen einen deutlich höheren Energieaufwand, stören das Bodenleben oder führen am Hang zu stärkerer Abschwemmung. Wenn uns die Natur am Herzen liegt, dann müssen wir uns von der gefühlten Wahrheit wieder hin zu der wissenschaftlichen Wahrheit bewegen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

Verwendete Quellen
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