Abwärtsspirale Sorgen um Deflation nehmen zu - was macht die EZB?
Auf den ersten Blick ist es paradox: Die Inflation ist in der Eurozone auf dem Rückzug - für die Verbraucher eigentlich eine gute Nachricht. Doch den Notenbankern im EZB-Tower in Frankfurt und Ökonomen bereitet die niedrigste Inflationsrate seit vier Jahren massive Kopfschmerzen. Das Deflationsgespenst geht wieder um in Europa. Eine Zinssenkung am kommenden Donnerstag, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) das nächste Mal über ihren geldpolitischen Kurs entscheidet, ist plötzlich so wahrscheinlich wie lange nicht mehr. Auch andere Maßnahmen sind denkbar. Doch warum ist die Deflation eigentlich so gefährlich?
Angst vor Deflation wie in Japan
Als abschreckendes Beispiel in Sachen Deflation gilt Japan. Dort sind die Verbraucherpreise zwei Jahrzehnte lang auf der Stelle getreten oder gesunken, was die Wirtschaft extrem belastet hat. Gehen Verbraucher und Unternehmen von fallenden Preisen aus, schieben sie Konsum und Investitionen auf und bremsen so das Wachstum aus.
Welches Unternehmen möchte schon investieren, wenn die Preiskalkulation von vorn herein auf wackeligen Beinen steht, ganz zu schweigen von den Aussichten, die Produkte abzusetzen. Denn die Verbraucher treten bei einer Deflation regelrecht in einen Käuferstreik.
Die Folgen für die Firmen: In einem einbrechenden Markt fallen Arbeitsplätze weg. Das aber drückt den Konsum, denn in Zeiten, in denen der Jobverlust droht, halten die Menschen ihr Geld zusammen.
Bei einer Deflation droht eine Kreditklemme
Auch für die Banken hat eine Deflation schwerwiegende Folgen: Angesichts der wirtschaftlichen Schwäche, steigt die Zahl der Insolvenzen und die Banken müssen verstärkt faule Kredite abschreiben. Die aber belasten die Bilanzen, wodurch die Institute kaum noch Kredite vergeben.
Und aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Aussichten, sind die Banken ohnehin schon wenig geneigt, Geld zu vergeben. Es kann zu einer Kreditklemme kommen, die Investitionen und damit auch mögliches Wachstum abwürgt. Und so droht ein regelrechter Teufelskreis aus sinkenden Preisen und rückläufigen Investitionen, der eine Deflation zu einem langwierigen Ereignis macht, wie das Beispiel Japan zeigt.
USA sehen Risiken durch deutsche Wirtschaftspolitik
Die meisten Ökonomen halten indes diesen Vergleich mit der Lage im Euroraum für übertrieben, dennoch nehmen die Sorgen zu. Sogar die US-Regierung hat sich zuletzt überraschend und mit deutlichen Worten in die Debatte eingeschaltet.
Dabei schiebt Washington Deutschland den Schwarzen Peter zu: Die größte Euro-Volkswirtschaft würde mit ihrer exportlastigen Wirtschaftspolitik deflationäre Tendenzen sowohl im Währungsraum als auch in der Welt auslösen, so die Kritik. Die US-Attacke auf das deutsche Geschäftsmodell wurde in Berlin umgehend zurückgewiesen.
Lage in Europa angespannt
Fest steht: Trotz Entspannung in der Schuldenkrise bleibt die Situation im Euroraum angespannt. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie, das drückt die Einkommen der Haushalte und veranlasst die Unternehmen im Gegenzug zu Preissenkungen. Auch konjunkturell ist die Lage weiter kritisch, zudem bleibt der Bankensektor eine Großbaustelle. Die EZB steht also mal wieder unter hohem Handlungsdruck.
Die Währungshüter haben sich die geringe Teuerung bislang recht gelassen angeschaut und stets betont, dass die Inflationserwartungen "fest verankert" seien. Doch damit könnte bald Schluss sein. Ökonom Greg Fuzesi von JPMorgan erwartet eine Leitzinssenkung auf ein neues Rekordtief von 0,25 Prozent im Dezember. Notenbankchef Draghi werde die Weichen dafür nach der Ratssitzung stellen.
Gute Argumente für weitere Zinssenkung
"Geht es der EZB um die Abwehr von Deflationsgefahr, braucht sie keine weiteren Argumente, um den Leitzins noch einmal zu senken", kommentiert auch Europa-Chefvolkswirt Holger Sandte von der skandinavischen Bank Nordea. Die Berenberg-Bank sieht ebenfalls die Möglichkeit einer geldpolitischen Reaktion. Wegen der wackligen Konjunkturerholung steht die Tür für eine zusätzliche Zinssenkung ohnehin seit Monaten offen. EZB-Präsident Draghi wird nicht müde zu betonen, dass alle Optionen zur Verfügung stehen.
Eine Alternative zum Dreh an der Zinsschraube könnte eine Neuauflage der von Notenbankchef Draghi als "Dicke Bertha" bezeichneten Finanzspritzen für den Bankensektor sein. In zwei Kreditrunden hatte die EZB den Geldinstituten in der Eurozone Ende 2011 und Anfang 2012 die enorme Summe von etwa einer Billion Euro gepumpt.
EZB könnte "Dicke Bertha" reaktivieren
Die Währungshüter prüfen derzeit intensiv, ob sie die Billiggeld-Bazooka - im Notenbankjargon "Long Term Refinancing Operation" (LTRO) genannt - noch einmal aus dem Schrank holen. Soviel hat der österreichische EZB-Rat Ewald Nowotny schon verraten.
Ein neuer LTRO-Einsatz hätte derzeit einen besonderen Charme: Die EZB übernimmt 2014 die Aufsicht über die Banken im Währungsraum. Vorher sollen deren Bücher mit einem Stresstest durchleuchtet werden. Diesmal sind tatsächlich intensive Belastungsproben zu erwarten, da die EZB ihren neuen Verantwortungsbereich ohne marode Bilanzen übernehmen will. Um den Finanzmärkten die Angst vor neuen Finanzlücken zu nehmen, käme eine neue Runde ultrabilliger Bankkredite gelegen.