Unfassbare Preisnachlässe Schluss mit dem Rabattwahn im Einzelhandel
Deutschland im Rabattrausch: Die Verbraucher hierzulande werden in diesem Jahr so stark wie schon lange nicht mehr mit riesigen Preisnachlässen umworben. Das gilt nicht nur für Mode, die in einem Sommerschlussverkauf (SSV) der Superlative mit hohen Reduzierungen abverkauft wurde. Die Preisnachlässe bei Autos bewegen sich inzwischen auf dem höchsten Niveau seit mehr als zehn Jahren. Der Weg aus der Rabattspirale ist schwierig, lohnt sich für die Händler aber. Denn allein über den Preis können sie die Schlacht um mehr Kunden nicht gewinnen.
Abkehr von "Rabattitis" lohnt sich
Als ein abschreckendes Beispiel für eine gescheiterte Rabattstrategie gilt die Baumarktkette Praktiker, die vor wenigen Wochen Insolvenz anmelden musste. "Wir merken, die Abkehr von der 'Rabattitis' ist aktuell eines der zentralen Themen im Handel und für alle Markenhersteller. Alle sind im Preisvergleich bis auf ein paar wenige Luxusmarken", schildert der Werbe- und Markenexperte Frank Dopheide.
Das Internet bringe als Vertriebsplattform massiven Druck. "Jeder beschäftigt sich mit der Frage, wie sieht unser 'Methadon'-Programm gegen die 'Rabattdroge' aus." Die Gefahr, dass Unternehmen bei Absatzproblemen reflexartig wieder zum Mittel Preissenkungen greifen, sei groß. Manche Händler lernten dazu, andere verfolgten von vornherein ein anderes Konzept.
Nicht allein der Preis zählt
Stephan Grünewald vom Rheingold Institut in Köln sagt: "Grundsätzlich kann man eine Verkaufsschlacht nicht allein mit dem Preis gewinnen." Alle, die im Konsumentenbereich erfolgreich seien, böten neben einem günstigen Preis einen Mehrwert.
Der Konsumpsychologe verweist auf eine Baumarktkette, die in der Werbung das Heimwerken als Projekt inszeniert und den Discounter, der mit seinem straffen Sortiment einen schnellen Einkauf ermöglicht. Im Drogeriemarkt gehe es nicht nur um Toilettenpapier und Scheuerpulver, sondern auch um das Einkaufserlebnis.
Firmen müssen weg von "Aktionitis"
Das Zurückdrehen von Rabatten geht nach Ansicht der Preisberatung Simon-Kucher nicht von heute auf morgen: "Es ist ein langer Weg, es ist ein schwieriger Weg. Aber ein Weg, der schon beim ersten Schritt Geld bringt", sagt Firmenchef Georg Tacke.
Jeder kleine Schritt weg von der "Aktionitis" - 17 statt 20 Prozent Rabatt zum Beispiel, vielleicht überraschende oder gezielte Rabatte - stellten einen ersten Erfolg dar. Praktiker sei ein abschreckendes Beispiel für stumpf wiederkehrende Rabatte. "Es ist schon schlimm, wenn ich von einem Unternehmen nur noch weiß, dass es 20 Prozent auf alles gibt", so Tacke.
Preiskampf funktioniert nur kurzfristig
Wie stark springen die Kunden auf Rabatte an? Reiner Preiskampf führt nach Ansicht von Grünewald nur kurzfristig zu einer Belebung des Geschäfts. "Meist tritt bei den Konsumenten nach kurzer Zeit der Effekt ein, dass man sich nicht mehr belohnt, sondern rückblickend bestraft fühlt, weil man sich die Frage stellt, warum habe ich früher so viel bezahlt."
Sonderangebote funktionierten nur zeitlich begrenzt und mit nachvollziehbarem Anlass wie einer Treueaktion. Auch der SSV sei nachvollziehbar, weil Platz für die Herbstmode gebraucht werde. Ständige Rabatte entwerteten aber die Ware und den Händler selbst.
"Geiz ist geil" war gestern
"Das 'Geiz ist geil'-Zeitalter ist vorbei", stellt Marktforscher Wolfgang Adlwarth von der GfK für einige Bereiche fest. Mehr Kunden kauften qualitätsorientiert ein. Weil sich Sparen in den Augen vieler Verbraucher nicht mehr so richtig auszahle, lägen werthaltige Anschaffungen im Trend. So bauten Hausbesitzer ihre "Burg" aus.
Grünewald spricht von einem Zusatzeffekt Wertekonsum in der Finanzkrise: "Die Leute haben das Gefühl, irgendwann lösen sich die Werte, die auf den Konten und Depots schlummern, in Luft auf. Sie wollen das Geld materialisieren, indem sie Ware konsumieren, die einen beständigen Wert verspricht."
Trend geht zu werthaltigen Käufen
Die Kunden schöpfen aber nicht aus dem Vollen. "Der Preisvergleich ist vielen Konsumenten nach wie vor ganz wichtig", meint Adlwarth. Der Trend zu werthaltigen Käufen betreffe auch nicht alle Bereiche. Bei Mode geht nach GfK-Daten fast jedes zweite Stück nur mit einem Abschlag über die Ladentische.
Die Autorabatte sind auf ein langjähriges Rekordniveau geklettert. Fast jeder dritte Neuwagen sei im ersten Halbjahr 2013 mit Hilfe einer Tageszulassung oder als Vorführwagen günstiger verkauft worden, sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer. Üblich wäre etwa jedes zehnte Auto. "In wirtschaftlich schwierigen Zeiten werden Autos länger gefahren", unterstreicht er.