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32 Stunden: Expertin schlägt wegen Corona neue Arbeitszeit in Deutschland vor


Interview
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Expertin erklärt
Was es statt des Ehegattensplittings bräuchte

  • Christine Holthoff
InterviewVon Christine Holthoff

Aktualisiert am 06.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Mutter und Kind (Symbolbild): In der Corona-Pandemie kümmerten sich Frauen wieder deutlich mehr um Familie und Haushalt als Männer.Vergrößern des Bildes
Mutter und Kind (Symbolbild): In der Corona-Pandemie kümmerten sich Frauen wieder deutlich mehr um Familie und Haushalt als Männer. (Quelle: Imago)
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Die Pandemie hat gezeigt, dass sich Job und Familie nur schwer bis kaum vereinbaren lassen. Eine Soziologin hat eine Lösung parat – und stellt Forderungen an die Politik.

Die Krise hat gezeigt: Kommt es hart auf hart, sind es vor allem Mütter, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um die Familie zu versorgen. Daran ändert auch der gute Wille nichts, sich die Sorgearbeit gleichberechtigt aufzuteilen. Woher kommt dieser Rückfall in alte Rollenbilder? Und wie lässt sich das wieder ändern?

t-online hat mit der Soziologin Jutta Allmendinger über die Vorbildfunktion von Politikern, mögliche Fehlanreize im Steuersystem und die Hilfe gesprochen, wenn künftig jede und jeder 32 Stunden pro Wochen arbeitete.

t-online: Frau Allmendinger, in der Pandemie haben vor allem Mütter viel zurückgesteckt, Paare sind in alte Rollenbilder zurückgefallen. Wie sehr hat die Pandemie die Geschlechtergerechtigkeit zurückgeworfen?

Jutta Allmendinger: Wir erleben hier eine Retraditionalisierung. Selbst Paare, bei denen die Männer sehr egalitär eingestellt waren, fielen zurück in alte Geschlechterrollen. Zudem reduzierten Frauen ihre Arbeitszeit deutlicher als Männer und übernahmen noch mehr Sorgearbeit als vor der Pandemie. Das ist nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine große mentale Belastung.

Sie meinen den sogenannten Mental Load, also den Stress, der durch die tägliche Verantwortung für Haushalt und Familie entsteht.

Genau. Diese Belastung ist in der Pandemie exponentiell gestiegen. Frauen sind viel stärker gestresst als Männer, was sich nicht so schnell wieder abbauen lassen wird. Zumal wir erneut vor einem Herbst stehen, der von maximaler Ungewissheit geprägt ist.

Wie erklären Sie sich diesen Rückfall in alte Stereotype?

Während der Krise haben wir vorgelebt bekommen, dass das familiäre Geschäft noch immer unter die Rubrik "Gedöns" fällt. Anders als in den meisten anderen Ländern stellt sich kein Politiker öffentlich hin und setzt das Thema Familie an die Spitze seiner Agenda. So entsteht der Eindruck, dass es nicht viel wert sei.

Die Gesellschaftsforscherin
Jutta Allmendinger, geboren 1956, ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt. 2012 wurde sie für ihr Engagement zur Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft ausgezeichnet. Außerdem erhielt sie 2013 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. 2021 erschien ihr Buch "Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen". Allmendinger ist Mitglied der SPD.

Was muss geschehen, damit Frauen und Männer unbezahlte Arbeit zu Hause gleichberechtigter aufteilen?

Wenn wir beim Thema Partnerschaftlichkeit vorankommen wollen, führt an einer Sache kein Weg vorbei: Wir müssen die Betreuungsangebote für unter Dreijährige endlich so ausbauen, dass alle die reale Chance auf einen Platz haben. Gleiches gilt für Ganztagsschulen. Noch immer gibt es kein Recht auf Ganztag. Das steht zwar im Koalitionsprogramm, hängt aber noch immer im Vermittlungsausschuss.

Welche weiteren Anreize sind nötig?

Wichtig ist anzuerkennen, dass Männer zunehmend die Partnerschaftsmonate in der Elternzeit nehmen. Dieses Instrument fruchtet also. Allerdings bleibt es im Schnitt bei drei Monaten und fast alle Väter nehmen sie zeitgleich mit ihren Frauen. Sie sind also nie allein für die Kinder zuständig. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die nächste Regierung die Partnermonate von zwei auf mindestens vier erhöht.

Während die Elternzeit zumindest grundsätzlich funktioniert, möchten Sie das Ehegattensplitting abschaffen. Was ist falsch daran?

Das Ehegattensplitting bei der Steuer sorgt dafür, dass es sich für viele Frauen finanziell überhaupt nicht lohnt, länger zu arbeiten. Denn die zusätzlichen Stunden schlagen sich nicht auf ihrem Konto nieder. Mehr zum Ehegattensplitting lesen Sie hier.

Was bräuchte es statt des Ehegattensplittings?

Eine Alternative wäre eine Individualbesteuerung oder ein Familiensplitting. Die damit einhergehenden Steuermehreinnahmen müssen dann dringend für eine Kindergrundsicherung eingesetzt werden. Damit wäre Alleinerziehenden und Familien mit Kindern sehr geholfen.

Wie realistisch ist es, dass das in der nächsten Legislaturperiode kommt?

Die Chancen für eine Reform des Ehegattensplittings stehen gar nicht so schlecht. Die SPD, Grüne, FDP und die Linke haben es in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Wie man das dann genau ausgestaltet, wird die Debatte zeigen.

Eine Maßnahme, die bereits verabschiedet wurde, ist die Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen. Vergangenes Jahr sind Sie dafür erstmals aktivistisch aufgetreten. Aber wie viel kann eine Quote, die nur für ein paar Großunternehmen gilt, wirklich ändern?

Die Quote für Frauen in Führungspositionen hilft als flankierende Maßnahme. Sie zeigt Frauen, dass sie tatsächlich eine Option auf Führung haben. Letztlich liegt es aber vor allem an den Personalverantwortlichen in den Unternehmen. Oft sehen sich vor allem Frauen noch vor die Entscheidung gestellt: Familie oder Karriere? Dabei sollte man ihnen Mut machen, dass Führung auch in Teilzeit zu schaffen ist. Hier haben viele Unternehmen noch Luft nach oben.

Die Politik muss sich bewegen, die Unternehmen ebenso – gibt es nicht auch etwas, das Frauen selbst tun können?

Natürlich. Frauen stellen sich zwar überwiegend gleichberechtigte Modelle mit ihrem Partner vor, geraten dann aber leicht in die Teilzeitfalle. Rein vom Geld her mag das zwar kurzfristig sinnvoll sein, sie sollten sich aber stärker überlegen, was aus diesen Entscheidungen in zehn oder zwanzig Jahren folgt. Ich habe den Eindruck, dass diese Konsequenzen oft nicht überlegt und besprochen werden.

Wohin das führen kann, sieht man an den niedrigen Renten vieler Frauen. Scheitert die Ehe, droht oft Altersarmut. Sollten Frauen vorbeugen, indem sie einen finanziellen Ausgleich vom Partner fordern, wenn sie für die Familie im Job zurückstecken?

Mein Problem mit solchen Modellen ist: Wie viel zahlt man dann? Denn der Marktwert von Sorgearbeit ist nicht sehr hoch, die langfristigen Einbußen sind viel größer. Ich befürchte, dass selbst bei einem finanziellen Ausgleich die Einbußen über den gesamten Lebensverlauf und insbesondere in der Rente trotzdem hoch bleiben. Wir alle müssen uns daher die Fragen stellen, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen.

Wie meinen Sie das?

Wir sagen immer: Frauen sollen dies, Frauen sollen das. Jahrzehntelang haben sich Frauen an die Erwerbsverläufe der Männer angepasst, während sich die Männer fast überhaupt nicht bewegt haben. So landen wir am Ende bei einem Modell, das es etwa in der DDR gab: Alle sollen Vollzeit arbeiten. Das würde aber bedeuten, unsere Infrastruktur für Haushalts- und Sorgearbeit komplett umzustellen.

Was schlagen Sie vor?

Sinnvoller wäre es, wenn die Norm für Vollzeit nach unten gesetzt werden würde. Der Wirtschaft würde nicht einmal Arbeitsvolumen entgehen, wenn wir alle auf 32 Stunden pro Woche gingen. Und wir hätten Zeit, drängende Probleme anzugehen: Klimawandel, die Gesellschaft beisammenhalten, sich ehrenamtlich engagieren – das alles kostet Zeit. Woher die kommen soll, diese Frage beantwortet keine der Parteien.

Frau Allmendinger, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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