Zweite Studie in Vorbereitung Bewerber bekommen neue Chance aufs Grundeinkommen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drei Jahre lang jeden Monat 1.200 Euro – darüber dürfen sich derzeit 122 Menschen freuen, die für die Studie zum Grundeinkommen ausgewählt wurden. Doch eine neue Chance wartet schon.
Inhaltsverzeichnis
Am bedingungslosen Grundeinkommen scheiden sich die Geister: Die einen preisen es als Lösung für eine Arbeitswelt, in der in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Jobs wegzufallen drohen. Die anderen fürchten, dass mit ihm die Faulheit Einzug hält oder sagen, das ist schlicht nicht bezahlbar.
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Eine Langzeitstudie will es nun ganz genau wissen. Mehr als zwei Millionen Menschen haben sich für die Teilnahme am Pilotprojekt beworben, nun läuft bis Mai 2024 der Modellversuch. Lesen Sie hier, wie es zwei Teilnehmern nach dem ersten Jahr Grundeinkommen geht.
Doch auch wer es verpasst hat, sich zu bewerben, hat noch Chancen auf ein Grundeinkommen. Wir zeigen Ihnen, was Sie tun müssen, um dabei zu sein – und erklären, worum es bei dem Forschungsprojekt genau geht.
Was ist das Pilotprojekt Grundeinkommen?
Das Projekt will erstmals wissenschaftlich erforschen, wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Menschen in Deutschland auswirkt. Wie verändern sich ihr Leben und ihre Sichtweisen, wenn sie monatlich 1.200 Euro extra bekommen? Treffen sie mit der Sicherheit im Rücken mutigere Entscheidungen? Bilden sie sich stärker fort?
Leben sie gesünder und sozialer? Oder nutzen sie das geschenkte Geld, um sich auf die faule Haut zu legen, wie es Kritiker des Grundeinkommens befürchten?
Drei Jahre lang wollen Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und der Universität zu Köln 1.500 Teilnehmer begleiten.
122 von ihnen erhalten von Juni 2021 bis Mai 2024 jeden Monat 1.200 Euro, der Rest bildet die Vergleichsgruppe ohne Grundeinkommen. Wer in der Vergleichsgruppe steckt, erhält eine Aufwandsentschädigung und hat die Chance, in die Grundeinkommensgruppe nachzurücken.
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Haarproben sollen Stresslevel zeigen
Alle sechs Monate müssen die Teilnehmer Online-Fragebögen ausfüllen. Damit wollen die Forscher herausfinden, wie das Geld den Alltag der Menschen verändert. Optional führen sie mit einigen Teilnehmern Tiefeninterviews und werten Haarproben aus, die zeigen sollen, wie sich das Stresslevel der Teilnehmer entwickelt. Ein erstes Zwischenergebnis ist für Februar 2023 geplant.
In einer weiteren Studie wollen die Forscher zudem testen, wie sich ein flächendeckendes Grundeinkommen finanzieren ließe (mehr dazu unten).
Angestoßen hat die Langzeitstudie der Verein "Mein Grundeinkommen", der die Idee seit 2014 bereits in kleinerem Maßstab umgesetzt hat. Mehr als 2,6 Millionen Menschen haben bisher gespendet, sodass der Verein Grundeinkommen in monatlichen Raten von 1.000 Euro an mehr als 800 Menschen verlosen konnte. Auch das nun gestartete deutschlandweite Pilotprojekt wird über Spenden finanziert.
Bedingungsloses Grundeinkommen
Das Pilotprojekt versteht bedingungsloses Grundeinkommen als einen monatlich vom Staat gezahlten Geldbetrag, der so hoch ist, dass er die Existenz sichert, aber auch die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglicht. Der Betrag für die Studie orientiert sich an der Armutsgefährdungsgrenze, die in Deutschland 2018 bei monatlich 1.135,67 Euro lag. Das Grundeinkommen ist nicht an eine Bedürftigkeitsprüfung gekoppelt und geht mit keinerlei Verpflichtungen einher.
Gibt es weitere Wege, Grundeinkommen zu erhalten?
Ja. Der Verein "Mein Grundeinkommen" verlost regelmäßig gespendete Grundeinkommen. Die Teilnahme ist kostenlos, Sie müssen sich lediglich mit Namen und Geburtsdatum registrieren.
Im Unterschied zum Pilotprojekt wird das Grundeinkommen hier aber nur für ein Jahr gezahlt und der Betrag fällt etwas geringer aus: 1.000 Euro pro Monat. Diese Verlosungen finden auch weiter regelmäßig statt.
Neue Chance für Bewerber – zweite Studie geplant
Noch während die erste Langzeitstudie läuft, soll eine weitere Studie starten. Sie wird derzeit vorbereitet und soll 2023 beginnen. Alle Teilnehmer erhalten dabei Grundeinkommen in unterschiedlichen Höhen, die mit simulierten, unterschiedlich hohen Steuersätzen auf alle sonstigen Einkünfte verrechnet werden. Die Differenz soll den Teilnehmern ausgezahlt werden.
Fragen, die die Forscher dabei interessieren, sind unter anderem: Sinkt der Anreiz zu bezahlter Arbeit tatsächlich? Wie stark sind die Effekte aus Studie 1 noch, wenn es statt "mehr Geld" nur "mehr Sicherheit" gibt, das Grundeinkommen die Allgemeinheit dafür aber auch weniger kostet?
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Alle Bewerber, die sich für die erste Studie beworben haben und nicht ausgewählt wurden, bleiben im Pool für die Auswahl der Teilnehmer für die zweite Studie, sofern sie das möchten. Aber auch neue Bewerber haben eine Chance: Um unter den Ersten zu sein, die erfahren, wann die Bewerbungsphase beginnt, melden Sie sich am besten für den Studien-Newsletter an.
Ist das Grundeinkommen steuerpflichtig?
Nein. Beim Grundeinkommen handelt es sich um eine Zahlung ohne Gegenleistung, diese ist nicht einkommensteuerpflichtig. Auch fällt keine Schenkungssteuer an, weil die 1.200 Euro beziehungsweise 1.000 Euro pro Monat von vielen verschiedenen Schenkenden stammen, wodurch die einzelnen Beträge jeweils unter der Steuerfreigrenze liegen.
Das gilt auch für die mögliche dritte Studie zum Grundeinkommen. Dort würde das Geld aber mit fiktiven Steuern auf sonstige Einkünfte verrechnet werden.
Entfallen durch das Grundeinkommen Sozialleistungen?
Das kann passieren, wenn die zuständigen Behörden das Grundeinkommen als Einkommen oder Vermögen werten. Auch eine Minderung von Sozialleistungen ist denkbar. Das gilt für:
- Arbeitslosengeld I (ALG I)
- Arbeitslosengeld II (Hartz IV)
- Bafög
- Wohngeld
- Kinderzuschlag
- Elterngeld
- Unterhaltsvorschuss
- Leistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz.
In der Regel dürfte das Grundeinkommen aber über den eventuell wegfallenden Sozialleistungen liegen.
In welchen Ländern gibt es ähnliche Experimente?
Schon vor dem Experiment in Deutschland gab es in verschiedenen Ländern Pilotprojekte zum Grundeinkommen – etwa in Finnland und Namibia. In Südafrika erwog die Regierung im ersten Sommer der Corona-Pandemie, allen Bürgern zwischen 18 und 59 Jahren ein staatliches Grundeinkommen zu zahlen.
Die Finnen kamen in ihrem Experiment zu dem Schluss, dass ein Grundeinkommen das Wohlbefinden der Empfänger steigere, aber nicht zu mehr Beschäftigung führe. Über zwei Jahre lang – bis zum 31. Dezember 2018 – hatten dort 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose zwischen 25 und 58 Jahren 560 Euro monatlich erhalten. Das Geld mussten sie nicht versteuern.
Experiment in Finnland: Grundeinkommen macht glücklicher
"Die Empfänger des Grundeinkommens wiesen weniger Stresssymptome und Konzentrations- und Gesundheitsprobleme auf als die Vergleichsgruppe", sagte die leitende Forscherin Minna Ylikännö vom finnischen Sozialversicherungsinstitut Kela. "Sie hatten zudem ein stärkeres Vertrauen in ihre Zukunft und ihre eigenen gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten."
Auf dem Arbeitsmarkt habe es allerdings keine wesentlichen Unterschiede gegeben. Die Empfänger von Grundeinkommen arbeiteten im ersten Jahr des Experimentes im Schnitt etwa gleich viele Tage wie die Menschen aus der Kontrollgruppe. Sie fanden also weder besser noch schlechter Arbeit.
Deutsches Experiment ist weltweit einzigartig
In Namibia erhielten bereits zwischen Januar 2008 und Dezember 2009 rund 1.000 Menschen 100 namibische Dollar (umgerechnet rund acht Euro) als monatliches Grundeinkommen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Geld ein Weg sei, absoluter Armut entgegenzuwirken.
Das deutsche Experiment zeichnet sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern dadurch aus, dass Verhaltensänderungen der Probanden erstmals ausschließlich auf die Geldzahlung zurückzuführen sind. Möglich ist das dank der großen Kontrollgruppe, deren Mitglieder den Grundeinkommensempfängern in Alter, Bildungsniveau und Wohnregion gleichen.
Die weltweiten Grundeinkommen-Projekte im Überblick
| zugänglich für alle Bürger | bedingungslos und nicht kürzbar | existenzsichernde Höhe | testet Finanzierungskonzept | zivilgesellschaftlich und unabhängig |
---|---|---|---|---|---|
Finnland (2017-2018) | nein | ja | nein | ja | nein |
Dauphin, Kanada (1974-1979) | nein | ja | nein | ja | nein |
HartzPlus, Deutschland (2019-2022) | nein | ja | nein | ja | ja |
Utrecht, Niederlande (2017) | nein | ja | ja | ja | nein |
Give directly, Kenia (2016-2028) | nein | ja | ja | nein | ja |
Madhya Pradesh, Indien (2011-2012) | ja | ja | nein | nein | ja |
Otjivero-Omitara, Namibia (2008-2009) | ja | ja | nein | nein | ja |
Alaska Öldividende, USA (seit 1982) | ja | ja | nein | ja | nein |
Pilotprojekt Grundeinkommen, Deutschland (2021-2024) | ja | ja | ja | ja | ja |
Welche Ideen gibt es zur Finanzierung eines Grundeinkommens?
Das Pilotprojekt Grundeinkommen wird durch Spenden finanziert, im wahren Leben müsste das Geld aber anders aufgebracht werden. Wie ein realistisches Finanzierungsmodell aussehen könnte, wollen die Wissenschaftler im zweiten Teil der Studie erforschen. Geplanter Start dafür ist 2023.
Dabei erhalten alle Teilnehmer Grundeinkommen in unterschiedlichen Höhen. Diese werden dann mit fiktiven, unterschiedlich hohen Steuersätzen auf alle sonstigen Einkünfte verrechnet. Ausgezahlt wird nur die Differenz. Dieses Modell wäre bei tatsächlicher Umsetzung deutlich günstiger für die Allgemeinheit als die Variante aus der ersten Studie.
Gegenfinanzierung durch drastisch erhöhte Steuersätze
Die Bundeszentrale für politische Bildung rechnet eine andere Art der Finanzierung durch. Dabei kommen die Autoren zu dem Schluss, dass es zwingend Steuererhöhungen brauche, wenn das bedingungslose Grundeinkommen hoch genug sein soll, um Armut zu vermeiden und eine Alternative zur Erwerbsarbeit darzustellen.
Die Einkommensteuersätze, die dann jenseits des Grundeinkommens einsetzen würden, müssten drastisch angehoben werden. Hinzu kämen noch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. In diesem Modell werden das Grundeinkommen und die Steuerschuld nicht miteinander verrechnet, sodass erwerbstätige Bezieher sowohl das Grundeinkommen erhalten als auch Steuern zahlen – verbunden mit einem enormen bürokratischen Aufwand.
Wie groß der Kreis der Nettoempfänger und Nettozahler jeweils unterm Strich ist, hängt den Autoren zufolge von der Höhe des Grundeinkommens und des Steuersatzes ab. Bei einem Einkommensteuersatz von pauschal 50 Prozent und 1.000 Euro Leistung würde der Kreis der Nettoempfänger bis zu einem Monatseinkommen von 2.000 Euro reichen. Je stärker ein Hinzuverdienst der Steuer zum Opfer fällt, desto weniger lohne es, neben dem Grundeinkommen noch aktiv zu werden.
- Eigene Recherchen
- Verein Mein Grundeinkommen
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
- pilotprojekt-grundeinkommen.de
- Bundeszentrale für politische Bildung: "Das bedingungslose Grundeinkommen – eine verteilungs- und sozialpolitische Alternative?"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa