In der Pandemie Pandemie belastet Studierende auch im laufenden Semester
Hannover (dpa) - Monatelang hat sich Alex' Leben hauptsächlich auf 13 Quadratmetern abgespielt. Während draußen ein Virus sein Unwesen trieb, versuchte Alex, zwischen Hochbett, Couch, Schrank und Bett Matheaufgaben zu lösen, Online-Seminare zu verfolgen und irgendwie durchs Semester zu kommen. Alex ist 24, studiert in Osnabrück und heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben.
Im Sommer 2020 kamen Probleme mit dem Mitbewohner in der WG hinzu, und Alex ging es psychisch sehr schlecht. Doch aus Angst vor einer Corona-Infektion blieb Alex zu Hause und verabredete sich nur für Spaziergänge mit Freunden ab und zu draußen.
Der psychisch belastenden Situation zu entfliehen, war kaum möglich. Vor der Pandemie verbrachte Alex viel Zeit auf dem Campus und ging zum Arbeiten in die Cafeteria oder die Bibliothek. "Teilweise saß ich auch einfach unproduktiv rum und habe mich unterhalten mit Leuten, weil es sich so ergeben hat. Also das ist völlig weggefallen."
Studieren in der Pandemie schlägt auf die Psyche
So wie Alex leiden viele Studentinnen und Studenten psychisch unter der Corona-Pandemie. Bei einer Umfrage des freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften gaben rund 60 Prozent der Befragten an, dass sie das laufende Semester bisher psychisch nicht gut absolvieren konnten.
Bundesweit nahmen über den Jahreswechsel rund 7600 Studierende an derOnline-Befragungteil. Nach Angaben einer Psychologin des Studentenwerks Osnabrück führten mangelnde soziale Kontakte und fehlender Ausgleich zu Einsamkeit, mehr Grübeln und Sorgen, Reizbarkeit und steigendem Stress.
Wie hoch der Leidensdruck ist, erlebt der Psychologe Wilfried Schumann täglich in seinen Therapie-Gesprächen. Er leitet den Psychologischen Beratungsservice der Universität und des Studentenwerks Oldenburg. "Wir haben wirklich unendlich viel Leid gesehen", sagt er mit Blick auf das vergangene Jahr.
Beratungsstellen verzeichnen größeren Zulauf
Er habe die Hypothese, dass viele der Studierenden nie zu ihm gekommen wären, hätte es Corona nicht gegeben. Viele seien mürbe und schafften es nicht, sich aus eigener Kraft über Wasser zu halten. "Dieses Alleinsein, Abgeschnittensein, die sozialen Kontakte sehr eingeschränkt - das war das, worunter die meisten intensiv gelitten haben."
Die Anfragen von Hilfesuchenden sind an mehreren psychologischen Beratungsstellen der Universitäten und Studierendenwerke gestiegen. In Braunschweig etwa gab es im Jahr 2021 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 rund 31 Prozent mehr Anfragen, wie eine Psychologin des Studentenwerks Ostniedersachsen mitteilte. Die Beratungsstelle der Universität Hannover verzeichnete im selben Zeitraum einen Anstieg um 14 Prozent.
Auch Alex sprach mit einer Universitätspsychologin. "Meine Eltern haben von mir erwartet, dass ich genau so gut weiter studiere wie vorher auch. Und auch von Seiten der Dozierenden wird das erwartet." Doch mit schlechter Internetverbindung, einem kleinen Arbeitsplatz und zahlreichen Ablenkungsmöglichkeiten ging das einfach nicht. Den Mathe-Kurs bestand Alex nicht.
Trennung von Arbeit und Freizeit fällt schwerer
Durch das Studieren aus dem Homeoffice fiel es vielen Studierenden schwer, Arbeitszeit und Freizeit voneinander abzugrenzen, erklärt Schumann. Deswegen bot sein Team Interessierten über mehrere Monate hinweg die Möglichkeit, morgens gemeinsam in den Tag zu starten. Jeder der wollte, konnte gemeinsam mit anderen um 8.30 Uhr an einer Videokonferenz teilnehmen.
Damit sollte vermieden werden, dass die Studenten den Morgen vertrödelten oder einfach die Serie vom Vorabend weiterschauten. Sonst werde der Tag zu Brei und ende unproduktiv und auch unzufrieden, sagt Schumann.
Alex ist mittlerweile in ein Studentenwohnheim umgezogen. Dort gibt es einen Außenbereich mit Lagerfeuer, an dem man sich entspannt auch mit mehreren Menschen treffen kann. Studierende bräuchten mehr Sicherheit, was die Vorausplanung der Semester angeht - online, hybrid oder in Präsenz? - sowie ein größeres Angebot an finanzieller und psychologischer Unterstützung, sagt Alex. Bisher würden die Probleme und Sorgen von Studierenden in der Pandemie nicht genügend erhört.