Kinder in Hartz IV "Oft fehlt das Geld für neue Kleidung"
Die Eltern hangeln sich von Mini-Job zu Mini-Job, das Geld reicht kaum zum Leben. Immer mehr Kinder in Deutschland sind dauerhaft auf Hilfe vom Staat angewiesen. Experten sprechen von einem Teufelskreis.
Immer mehr Kinder leben quasi dauerhaft von Hartz IV. Zur Jahresmitte bezogen 526.126 Kinder unter 15 Jahren seit mindestens vier Jahren entsprechende Sozialleistungen – 14.109 oder 2,8 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt 2015. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, die t-online.de vorlagen, und über die die "Bild"-Zeitung zuerst berichtet hatte.
Familien immer stärker betroffen
Dabei ist die Gesamtzahl der Dauer-Hartz-Bezieher um 4,2 Prozent gesunken: von 2,624 Millionen auf 2,519 Millionen. Die Gründe, dass es ausgerechnet Familien mit Kindern trifft, hat unterschiedliche Ursachen. "Viele Langzeitarbeitslose oder langjährige Sozialleistungsbezieher haben keine abgeschlossene Berufsausbildung", erklärt der Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Manche haben zwar eine Ausbildung, die aber im Laufe der Zeit obsolet geworden ist." Fehlten da mal fünf Jahre in der Erwerbsbiografie, dann schlage sich das in der Qualität der Fähigkeiten nieder.
Wenn Langzeitarbeitslose eine Beschäftigung fänden, dann nur im Niedriglohnsegment, sagt Igor Wolansky, der bei der Landesarmutskonferenz Berlin für Kinderarmut und Famile zuständig ist. "Sie beziehen kein auskömmliches Einkommen, müssen mit Hilfe vom Amt aufstocken, um überhaupt über die Runden zu kommen. Ihre Lebenssituation bleibt trotz Job prekär."
Hartz-IV-Satz steigt zum 1. Januar leicht
Aktuell beträgt der Hartz-IV-Regelsatz für Einpersonenhaushalte 409 Euro. Zum 1. Januar steigt er auf 416 Euro, für Partner auf 374 Euro. Kinder unter 6 Jahren erhalten dann 240 Euro, 6- bis 14-Jährige 296 Euro, Kinder zwischen 14 und 18 Jahren 316 Euro.
Heißt unterm Strich: monatlich 6 bis 7 Euro mehr für Erwachsene, 3 bis 5 Euro mehr für Kinder. Die schwierige Lage armer Familien dürfte das nur unwesentlich ändern. Wolansky mahnt: "Die Eltern haben kein Geld, um ihren Kindern neue Kleidung zu kaufen, um mit ihnen in den Zoo oder ins Kino zu gehen, in den Urlaub zu fahren. Sie sind weitgehend ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben, und haben es dann ganz schwer, da wieder herauszufinden."
Die Situation stelle für alle Beteiligten ein großes Problem dar, erläutert Wolansky. "Die Erwachsenen resignieren, sie fühlen sich stigmatisiert, oft wertlos, weil sie lange keine Arbeit hatten. Denn Arbeit besitzt einen sehr hohen Wert in unserer Gesellschaft. Viele finden gar nicht mehr die Kraft, sich aus dieser Situation zu ziehen, sie richten sich ein in diesem Zustand. Und nicht wenige werden daran krank."
Kindern fehlen Vorbilder in Familien
Kinder aus Familien von Transferleistungsbeziehern hätten es deshalb besonders schwer, sagt Schäfer. Ihnen fehle ein Vorbild das zeigt, dass man sein Leben selbstverantwortlich in die Hand nehmen kann, um es später einmal besser zu haben.
Der Aktivierungsgedanke ist für den Arbeitsmarktexperten deshalb von zentraler Bedeutung. "Die Betroffenen müssen ständig mit Angeboten konfrontiert werden, mit Jobs aber auch mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Bewerbungstrainings, Sprachtrainings oder Möglichkeiten, einen Führerschein zu machen. Zugleich muss Eigenverantwortung eingefordert werden, um zu verhindern, dass sich die Betroffenen an diesen Zustand gewöhnen und sich darin einrichten."
Dazu brauche es ein engmaschiges Betreuungsangebot, von dem Deutschland jedoch meilenweit entfernt sei. "Es muss mehr Geld in die Jobcenter und in Fallmanager fließen, mehr Geld für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, für berufliche Weiterbildung."
Wolansky fordert eine bundesweite Strategie zur Bekämpfung der Kinder- und Familienarmut. "Das Unterstützungssystem für arme Familien muss ausgebaut werden. Die Kindertagesbetreuung und die Schulbetreuung müssten stärker die Familien in den Blick nehmen. Zugleich müssen die Verfahren entbürokratisiert werden."