Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kriegstüchtigkeit Rüstungsindustrie ist bereit – die Regierung ist es nicht
Die Ampelregierung will die Bundeswehr wehrfähig machen. Dafür braucht sie die Rüstungsindustrie. Doch die Unternehmer warten auf Entscheidungen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat am Mittwoch die neue Kommandostruktur der Bundeswehr vorgestellt. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten sollen damit handlungsfähiger werden. Bereits im November hatte der Minister "Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime" ausgerufen. Neben den Strukturen braucht die Bundeswehr dafür allerdings auch das entsprechende Gerät, um wehrfähig zu sein.
Unternehmerinnen und Unternehmer der Rüstungsindustrie kritisieren jedoch die langsamen Entscheidungsprozesse der Bundesregierung. So sagte Renk-Chefin Susanne Wiegand in einem Interview mit dem "Handelsblatt": "Wir müssen in die Skalierung kommen." Die Politik dürfe nicht in Einzelaufträgen denken. "Mit einer Rückkehr zur Vollausstattung der Bundeswehr hat das nichts zu tun."
Atzpodien: Regierung muss Verteidigungsbudget erhöhen
Aufträge und Genehmigungen der Regierung sind für die Industrie bedeutend, denn in Deutschland gibt es feste Regelungen für die Produktion von Kriegswaffen. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 26 (2) vor: Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Die Unternehmen müssen also eine Erlaubnis der Regierung bekommen.
Darauf wies auch Thomas Gottschild, Chef des Taurus-Herstellers MBDA, hin: "Hier können wir in Deutschland wesentlich besser und schneller werden." Allerdings dürften sie keine Taurus-Marschflugkörper auf Vorrat und ohne Aufträge produzieren.
Die Rüstungsindustrie wurde mit dem Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine bereits von der Regierung aufgefordert, die Wehrfähigkeit der Bundeswehr zu garantieren. Sprich: die Produktion hochzufahren. Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) konnte aufgrund der Haushaltslage aber kaum etwas von der produzierten Ausstattung bestellt werden. Die Unternehmen hätten die Produktion auf eigenes Risiko hochgefahren.
"Seit dem Amtsantritt von Minister Pistorius hat sich das grundlegend verbessert", sagt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV, t-online. "Umso bedauerlicher ist es, dass die Bundesregierung seinem Ruf nach einer Erhöhung des regulären Verteidigungsbudgets nicht gefolgt ist."
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro werde womöglich bis 2027 aufgebraucht sein, "ohne dass es heute eine belastbare Perspektive gibt, wie danach unsere Nato-Zusage eingelöst werden kann, in jedem Jahr wieder zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben", sagt Atzpodien. Allein 2028 könnten das rund 97 Milliarden Euro sein.
"Drückt auf Bereitschaft der Unternehmen"
"Dies drückt naturgemäß auch auf die Bereitschaft der Unternehmen, ohne feste Auftragsperspektive mit weiterem Kapazitätsaufbau ins eigene Risiko zu gehen", sagt der Geschäftsführer. Auch wenn klar sei, dass die Bundeswehr über 2026 hinaus deutlich höhere Bedarfe habe, als aus dem Sondervermögen finanzierbar seien.
Mit einer Zusicherung der Regierung werde die Industrie aber in der Lage sein, entsprechend zu produzieren. "Das oberste Ziel muss es sein, der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie eine ausreichende, durch den Bundeshaushalt abgesicherte Planbarkeit zu vermitteln." In der kommenden Haushaltsrunde müsste dafür allerdings der Etat der Bundeswehr erhöht werden. "Nur dann haben die Unternehmen belastbare 'Business Cases' für weitere Kapazitätserhöhungen."
Rheinmetall erhöht die Produktion stetig
Beim Munitionshersteller Rheinmetall läuft die Produktion auf Hochtouren. "Bereits 2025 werden wir eine jährliche Kapazität von bis zu 700.000 Schuss im Kaliber 155 mm (Artilleriegranaten) erreichen", sagt der Hersteller t-online. "Hinzu kommen noch geplante neue Produktionen in Deutschland, in der Ukraine und in Litauen." Nach derzeitigem Planungsstand werde Rheinmetall bis 2027 in der Lage sein, bis zu 1,1 Millionen Schuss 155-Munition pro Jahr zu liefern. "Das umfasst die zu schaffenden Kapazitäten in der Ukraine (Joint Venture) und perspektivisch in Litauen."
Aus der Politik brauche es Planungssicherheit, die Rheinmetall als gegeben ansieht: "Aus der Politik erhalten wir mittlerweile in diesem Sinne sehr klare Signale." Aufgrund der Zusagen der Bundesregierung in Bezug auf langfristige und großvolumige Abnahmen von Munition sei es dem Unternehmen möglich gewesen, in das neue Werk in Unterlüß zu investieren. Auch dort soll Munition produziert werden. "Die Produktion erhöht sich permanent", sagt der Rheinmetall-Sprecher.
Produktion auf eigenes Risiko sei nicht wirtschaftlich
Im Haushalt für 2025 und die Folgejahre müssten laut BDSV nun aber die entsprechenden Weichen in Richtung höherer Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung gestellt werden. Je nach Produkt brauche der Anlauf oder die Erhöhung einer Fertigung einen gewissen Vorlauf. "Es gilt: Je eher bestellt wird, umso schneller kann geliefert werden", sagt Atzpodien. Und weiter: "Die in der Politik teilweise bestehende Erwartung, die Industrie müsse quasi alles auf eigenes Risiko produzieren, trägt zum einen wirtschaftlich nicht. Zum anderen ist Rüstungsproduktion ohne konkrete Genehmigung und konkreten Auftrag in einigen Bereichen auch gar nicht erlaubt."
Nun gilt es für die Industrie also abzuwarten, ob die Regierung die Aufträge für die Rüstungsindustrie erhöht und gleichzeitig den Etat der Bundeswehr aufstockt. Und von diesen Entscheidungen hängt nicht zuletzt die Wehrfähigkeit Deutschlands ab.
- Gespräch mit dem BDSV
- handelsblatt.de: "Renk-Chefin kritisiert Rüstungspolitik – "Mit Rückkehr zur Vollausstattung hat das nichts zu tun""