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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bauernprotest in Berlin "Die Regierung muss zurücktreten"
Die Bauern sind sauer und damit sind sie bei ihren Protesten nicht allein. Die Einlenkversuche der Ampel-Regierung scheitern bislang und Finanzminister Lindner wird mit Buhrufen empfangen.
Die Hupen, Handsirenen und Vuvuzelas sind am Montagmorgen schon Kilometer vom Brandenburg Tor entfernt zu hören. Die Polizei hat die Straßenzüge rund um das Berliner Wahrzeichen weiträumig abgesperrt, überall stehen Traktoren und Lastwagen – die Kennzeichen stammen aus der ganzen Republik.
Carsten und Robert sind mit ihren Kollegen aus dem Harz zur Großdemonstration der Bauern angereist. "Die Regierung muss zurücktreten", sagt Carsten. Die Kollegen von der AG Vorharz nicken. Die FDP lasse die Bauern im Stich. Von Grünen und SPD brauche man gar nicht erst anzufangen, heißt es einstimmig aus der Gruppe. "Es sind aber auch die Vorgängerregierungen schuld", sagt Robert. "Das heißt, die CDU kann man eigentlich auch vergessen". Beide wollen ihre Nachnamen nicht in der Presse lesen.
Der Bauern- und der Logistikverband BGL haben zum Abschluss der Aktionswoche zur Großdemo in Berlin aufgerufen. 10.000 Menschen waren angemeldet, Bauernpräsident Joachim Rukwied schätzte bei seiner Rede die Anzahl vor Ort auf 30.000. Die Polizei spricht von 8.500 Teilnehmern. Auslöser für den Protest: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Haushalt sucht die Regierung nach Sparmöglichkeiten. Dafür wollte sie die Rückerstattung der Steuer auf Agrardiesel und die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge streichen. Daraufhin gab es heftigen Gegenwind aus der Branche.
Doch wie schon bei Carsten und Robert klar wird, sind viele Landwirte und auch Vertreter anderer Berufsgruppen von der Politik der Ampel-Regierung insgesamt enttäuscht. Ihre Wut erstreckt sich von der Maut über CO2-Abgaben bis hin zu den aufgewendeten Steuermitteln für Schienenausbau. Auf Schildern sind Verbotsschilder mit einer Ampel zu sehen, in Sprechchören skandieren die Teilnehmenden immer wieder "Die Ampel muss weg!" und fordern "Neuwahlen, Neuwahlen". Der Versuch von Bundesfinanzminister Christian Lindner, vor Ort zu schlichten, läuft vor dieser Kulisse ins Leere.
Nicht nur Bauern auf der Straße
Zwischen den Hupen und Sprechchören ist auch ein einzelnes Jagdhorn zu hören. Hinein bläst York. Er ist mit seinem Jägerkumpel Leon aus Südthüringen angereist. Sie sind dem Aufruf des Deutschen Jagdverbandes gefolgt.
"Es geht hier um mehr als die aktuelle Debatte, den Bauern geht es schon länger schlecht", sagt York. Leon stimmt zu, er arbeitet hauptberuflich in einem Fischereibetrieb. "Alle Preiserhöhungen spürt jeder einzelne Bürger letztlich an der Supermarktkasse", sagt er. Beide wollen ihre Nachnamen auch lieber nicht nennen.
Gastro-Verband: "Als Verbraucher sind wir alle betroffen"
Anna Roeren-Bergs sieht das ähnlich. "Spätestens als Verbraucher sind wir alle betroffen", sagt die Geschäftsführerin des Gaststättenverbandes Dehoga in Rheinland-Pfalz. Ausgerüstet mit grünen Shirts und Hunderten pinkfarbenen Luftballons wollen sie auf der Demo auch auf die Lage der Gastronomie hinweisen. Denn Bauern sind nicht nur für die Produktion von Lebensmittel verantwortlich, sie liefern damit auch einen wichtigen Rohstoff für verarbeitende Gewerbe wie Restaurants. Diese könnten also gleich doppelt vom Sparkurs der Ampel betroffen sein.
"Wir sind erzürnt", sagt Roeren-Bergs. Noch einen Tag vor dem Haushalts-Urteil hätten sie klare Signale aus der Politik bekommen, dass die während der Corona-Pandemie gesenkte Mehrwertsteuer für die Gastronomie auf dem niedrigeren Niveau bleiben könne. Doch dann kam es anders. Seit dem 1. Januar gelten wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Gerichte im Restaurant. Bundesweit seien deshalb gut 1.000 Verbandsmitglieder bei verschiedenen Demonstrationen dabei, sagt Roeren-Bergs.
Zwei solche Verbraucher sind Tanja und Dennis. Sie waren auch schon in der vergangenen Woche auf der Demo dabei und erzählten t-online von ihrer Motivation (das Video finden Sie hier). "Seitdem hat sich politisch wenig verändert, deshalb sind wir wieder hier", sagt Tanja.
Sie ärgert sich, dass nicht noch viel mehr Menschen auf die Straße gehen. "In der Bahn wurden mehrfach unsere Schilder gelobt, das fanden alle toll. Aber wo sind diese ganzen Menschen jetzt?"
Große Bandbreite an Meinungen
Die politische Gesinnung der Teilnehmenden ist an diesem Demotag immer wieder Thema. "Es wird versucht, uns in die rechte Ecke zu drängen", ruft Bauernpräsident Rukwied der Menge von der Bühne aus zu.
Doch die Bandbreite der Meinungsäußerungen vor Ort ist groß. Auf der Tasche einer jungen Frau steht: "Die Landwirtschaft ist bunt und nicht braun!" Auf vielen Traktorschaufeln sind Schilder befestigt, die die weitere Rückerstattung der Steuer beim Agrardiesel fordern.
Viele andere Plakate und Botschaften haben weniger mit der konkreten Debatte zu tun. Auf einer Großzahl steht einfach nur "Die Ampel muss weg" oder es ist eine durchgestrichene Ampel zu sehen. Doch einige Demoteilnehmer gehen noch einen Schritt weiter. Auf einem Traktor sind drei Puppen mit Fotos von Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock montiert. Darunter steht: "Die Geißel unseres Landes".
Auch in den Gesprächen, die am Rande der Demo geführt werden, sind die Absetzung der Ampel-Regierung und der Wunsch nach Neuwahlen Dauerthema. Vor allem über Bundeskanzler Olaf Scholz sind viele Menschen aufgebracht, sehen in ihm keine fähige Führungsfigur.
Unter Teilen der Demonstranten herrscht auch eine gewisse Medienskepsis, auf manchen Schildern ist von der "Lügenpresse" die Rede. Lästereien über vorbeilaufende Kamerateams sind zu hören. Vereinzelt sind wie auch bei den vorherigen Demos Reichsflaggen zu sehen.
"Lügner", "Verräter", "Geh nach Hause!"
Auch von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wollen die meisten nichts hören. Seine Rede auf der Bühne wird von minutenlangen Sprechchören überlagert. "Lügner" und "Verräter" ruft die Masse dem Politiker entgegen. Manche fordern: "Geh nach Hause!" In einer Männergruppe wird gescherzt: "Ist das nicht der Politiker, der mal gesagt hat: 'Lieber nicht regieren als falsch regieren'? Was ist daraus eigentlich geworden?"
Am Mikrofon versucht sich Lindner an einem schwierigen Spagat: Zum einen will er den Bauern Gesprächsbereitschaft signalisieren, gleichzeitig hat er keine neue Verhandlungsgrundlage mitgebracht. Die geplante Abschaffung der Kfz-Steuerprivilegien hatte die Ampel bereits wieder kassiert. Der Bauernverband sieht darin allerdings lediglich einen "faulen Kompromiss".
Lindner versucht es daher zunächst anders, lobt die "friedlichen Proteste" und erlaubt sich einen Seitenhieb auf Klimaaktivisten: "Die Klimakleber haben das Brandenburger Tor beschmiert, die Bauern haben das Brandenburger Tor geehrt und das ist ein Unterschied."
In der Sache widersprach Lindner den protestierenden Bauern jedoch. "Es soll und es darf kein Sonderopfer der Landwirtschaft geben", sagte Lindner. "Aber alle müssen ihren Beitrag leisten." Der Flugverkehr werde künftig mit einer neuen Abgabe belastet und es werde Kürzungen der Leistungen für Asylsuchende und Bürgergeldempfänger geben, führte Lindner als Beispiele an. Dass die Kfz-Steuerbefreiung bleibe, sei das Ergebnis der vorherigen Demonstrationen. "Ihr Protest war also bereits erfolgreich", sagte Lindner.
In der Menge wird eine FDP-Flagge geschwenkt. Sind unter den Bauern also doch Lindner-Unterstützer? "Nein, ich bin FDP-Mitglied und Landwirt, aber ich stehe heute klar auf der Seite der Bauern und will das zeigen", sagt Dirk Lohf. Er selbst war 40 Jahre Landwirt.
Milchbauer: "So geht es nicht mehr weiter"
Hendrik steht bei der Rede etwas abseits, isst mit seinem Kumpel Lars eine Bratwurst. "Ich rechne Lindner hoch an, dass er hier heute auftritt", sagt Hendrik. "Aber das reicht nicht aus. Ich kenne viele Landwirte, die bisher FDP gewählt haben, die machen das jetzt nicht mehr." Mit Blick auf die aktuellen Umfragen, bei denen die FDP gerade bei fünf Prozent landet, glauben die beiden nicht an einen Wiedereinzug in den Bundestag.
Hendrik ist selbst Milchbauer. Die Arbeit auf dem Hof im niedersächsischen Diepholz übernimmt an diesem Tag sein Vater, damit er an der Demo teilnehmen kann. "Ich liebe meinen Beruf, aber so geht es nicht mehr weiter", sagt er. Vor allem die viele Bürokratie mache ihm zu schaffen. Statt im Stall verbringe er viel Arbeitszeit am Schreibtisch.
Am Nachmittag sind Hendrik und Lars nur wenige Meter weiter im Bundestag verabredet. Dort werden sie die Bundestagsabgeordnete für ihren Wahlkreis, Peggy Schierenbeck, treffen – und hoffen auf ein offenes Ohr der SPD-Politikerin.
- Eigene Recherche