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Rente: Wirtschaftsweise Martin Werding ist vom Rentenpaket enttäuscht


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Wirtschaftsweise über Rentenreform
"Da werden wir nicht drumherum kommen"

  • Christine Holthoff
InterviewVon Christine Holthoff

Aktualisiert am 05.03.2024Lesedauer: 5 Min.
Immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler: Die Finanzierung des Rentensystems kommt absehbar an ihre Grenzen.Vergrößern des Bildes
Immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler: Die Finanzierung des Rentensystems kommt absehbar an ihre Grenzen. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)
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Die Rentenreform der Ampel geht dem Ökonomen Martin Werding nicht weit genug. Damit wecke die Koalition nur Erwartungen, die nicht zu halten seien.

Das Rentenniveau stabil halten und den Anstieg der Beiträge bremsen – das soll das sogenannte Generationenkapital schaffen, der wohl wichtigste Baustein im Reformpaket der Bundesregierung für die gesetzliche Rente. Zwölf Milliarden Euro will die Ampel dafür zunächst an Schulden aufnehmen und am Aktienmarkt investieren. Kann das gutgehen? Und ist das Rentensystem damit gerettet?

Darüber hat t-online mit Martin Werding gesprochen, Rentenexperte und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz: Rat der Wirtschaftsweisen. Er hält das Generationenkapital grundsätzlich für einen guten Weg, dem demografischen Wandel zu begegnen, mahnt aber weitere Reformen an.

t-online: Herr Werding, fast zwei Jahre hat die Bundesregierung am Rentenpaket II gearbeitet. Hat sich das Warten gelohnt?

Martin Werding: Nein, nicht wirklich. Das Rentenpaket wurde genauso umgesetzt, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, und schon da war es eine Enttäuschung. Die Ampel versucht, alles so zu lassen, wie es ist. Das Rentenalter soll nicht angetastet werden, die Beiträge sollen in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen. Und mit einer Rechtsänderung hält man auch noch das Rentenniveau konstant. Die Koalition verschließt die Augen vor den Problemen.

Nämlich?

Werding: Sie tut so, als sei der demografische Wandel verschwunden. Die Lage mag gerade günstig sein, weil sich der Arbeitsmarkt gut entwickelt hat. Aber nur, weil der nächste Sprung beim Beitragssatz in die nächste Legislaturperiode gerutscht ist, heißt das nicht, dass man jetzt nichts mehr tun muss. Da weckt die Ampel Erwartungen, die nicht zu halten sind.

Ich nehme an, Sie meinen das Renteneintrittsalter. Die Erwartung, dass es nicht weiter steigt, wird also enttäuscht werden?

Werding: Wir haben uns die Ursachen für die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rente im Sachverständigenrat gründlich angeschaut. Ein sich verschärfendes Problem, das nicht mehr verschwinden wird, ist die steigende Lebenserwartung. Und da ist es das Mittel der Wahl, die Altersgrenze an die Lebenserwartung zu knüpfen. Viele Länder machen das längst. Und da werden wir auch in Deutschland nicht drumherum kommen.

Muss die Politik hier ehrlicher sein?

Werding: Ja. Sie muss den Leuten klarmachen, dass es um eine Last geht, die wir zu lange ignoriert haben. Ende der 80er Jahre und Anfang der Nullerjahre haben wir es schon mal geschafft, weitreichende Reformen anzustoßen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, das wieder zu tun. Das muss auch gar nicht so schlimm werden. Hubertus Heil redet immer von der Rente mit 70. Die würden wir nach unseren Berechnungen aber erst 2090 erreichen.

Kommen wir zurück zu dem, was jetzt geplant ist. Das Generationenkapital soll den Anstieg des Beitragssatzes abschwächen, das Rentenalter und das Rentenniveau stabil halten. Hat die Ampel die eierlegende Wollmilchsau gefunden?

Werding: Danach klingt es, aber sie hat alles falsch herum aufgezäumt. Ein stabiles Rentenniveau sollte nicht vorgegeben sein, sondern sich aus einer vorausschauenden Rentenpolitik ergeben. Jetzt tragen die jüngeren Arbeitnehmer die Kosten, weil ihre Nettoeinkommen durch höhere Rentenbeiträge sinken werden. Die zehn Milliarden Euro Entnahme, mit der die Bundesregierung pro Jahr aus dem Generationenkapital rechnet, sind – mit Verlaub: nichts. Das reicht nicht, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu kompensieren.

Einen größeren Effekt hätte die ursprüngliche FDP-Idee zur Aktienrente gehabt, bei der auch zwei Prozent des Einkommens angelegt worden wären. Wie stehen die Chancen, dass die echte Aktienrente noch kommt?

Werding: Die nächste Chance könnte es schon dieses Jahr geben. Denn die Ampel plant auch Reformen bei der privaten Altersvorsorge. Aus Sicht des Sachverständigenrats wäre es am naheliegendsten, das Modell Riester abzuwickeln und durch ein Standardprodukt zu ersetzen, bei dem auch ein staatlich verwalteter Fonds eine Rolle spielt. Dann hätte man die Kapitaldeckung eben in dieser Säule der Altersvorsorge, das geht auch. In der gesetzlichen Rente wäre aber tatsächlich das FDP-Modell besser gewesen. Dann hätten zwar die Versicherten zahlen müssen, aber eben auch selbst über das Vermögen verfügen können.

Schon für die abgeschwächten Pläne gibt es teils heftige Kritik. Sahra Wagenknecht zum Beispiel spricht von "Casino-Rente". Auch Sozialverbände sind skeptisch. Ist das Generationenkapital wirklich Zockerei?

Werding: Nein. Mit Zockerei hat das nichts zu tun. Es kommt immer darauf an, wie investiert wird. Wenn ich mich beispielsweise für weltweit gestreute Indexfonds entscheide, gehe ich weniger Risiko ein als mit Einzelaktien. Was bleibt, ist das Auf und Ab von Aktienkursen. Aber sobald man langfristig anlegt, kann man auch dieses Risiko aussitzen. Da haben wir leuchtende Vorbilder, etwa die schwedische Prämienrente.

Das Generationenkapital soll Mitte der 2030er Jahre Entlastung bringen. Ist das nicht zu früh?

Werding: Dass schon nach elf, zwölf Jahren Geld entnommen werden soll, ist tatsächlich grenzwertig. Es könnte ja sein, dass genau dann die Aktienmärkte nicht gut laufen. Dann wären möglicherweise wieder Steuermittel nötig.

Die Bundesregierung rechnet mit einer Rendite von 3 Prozent pro Jahr, die künftig aus den Erträgen in die Rentenkasse fließen sollen. Ist das nicht sehr konservativ für eine Anlage am Aktienmarkt?

Werding: Die 3 Prozent sind das, was nach Zinsen übrig bleibt. Das Geld für das Generationenkapital wird ja über Schulden finanziert. Da sind die 3 Prozent ein realistischer Wert.

Bis Mitte der 2030er Jahre soll der Kapitalstock auf 200 Milliarden Euro wachsen. Werden dafür jetzt jedes Jahr neue Schulden aufgenommen?

Werding: Da bleibt die Ampel bisher schwammig. Was sich der Staat leisten kann, sind solche kreditfinanzierten Einlagen, wie sie jetzt geplant sind. Denn die fallen nicht unter die Schuldenbremse.

Christian Lindner sprach auch davon, den Kapitalstock mit Geld aus Bundesbeteiligungen zu bestücken, die nicht im öffentlichen Interesse stehen. Was meint er damit?

Werding: Damit meint er Unternehmensbeteiligungen des Staates. Zum Beispiel hält die Bundesrepublik Anteile an der Commerzbank, der Deutschen Post und der Telekom. Insgesamt geht es da um Werte von 57 Milliarden Euro. Das klingt gut, doch die Beteiligungen performen vergleichsweise schwach. Erlaubt man dem Generationenkapital nicht, diese zu verkaufen, stehen auch nur diese geringen Erträge zur Verfügung.

Laut der Bundesregierung werden die Mittel für das Generationenkapital "renditeorientiert und global diversifiziert am Kapitalmarkt angelegt". Geht es da nur um Aktien oder sind auch andere Wertpapiere denkbar?

Werding: Aktien sind historisch die ertragreichste Anlageform. Immobilien kommen da je nach Marktlage annähernd heran. Ansonsten haben im längerfristigen Durchschnitt weder Unternehmensanleihen noch Staatsschuldentitel ähnliche Renditen. Vernünftig wäre wahrscheinlich eine Mischung. Und ein unabhängiges Team, das den Fonds ohne allzu strenge Vorgaben managen kann.

Den Fonds zur Aktienrente soll der Kenfo verwalten, die Stiftung, die den Fonds zur Finanzierung der Atommüllentsorgung verwaltet. Eine gute Wahl?

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Werding: Das scheint mir zumindest nicht falsch zu sein. Die Deutsche Rentenversicherung hat bereits gesagt, dass sie für so etwas nicht ausreichend qualifiziertes Personal hat. Beim Kenfo hingegen gibt es schon ein Kapitalmarktteam, das milliardenschwere Mittel im Auftrag des Bundes anlegt. Und das durchaus mit Erfolg.

Herr Werding, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Martin Werding
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