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Christian Lindners Revolution: Das verändert sich durch die Aktienrente


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Pläne von Finanzminister Lindner
Jetzt kommt seine Renten-Revolution


Aktualisiert am 14.01.2023Lesedauer: 5 Min.
Christian Lindner: Ein altes Projekt der Liberalen wird jetzt Wirklichkeit.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner: Ein altes Projekt der Liberalen wird jetzt Wirklichkeit. (Quelle: IMAGO/Arnulf Hettrich)
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Das deutsche Rentensystem steht vor dem Kollaps. In diesem Jahr will die FDP deshalb die Aktienrente einführen. Eine wichtige Personalie steht nun fest.

Christian Lindner sieht zufrieden aus. Es ist kurz nach 10.30 Uhr an diesem Freitagmorgen und der Finanzminister kann eine gute Nachricht verkünden. Es geht um eine Idee aus seiner Partei, die man dort schon lange vorbereitet hat. Und jetzt, im Jahr 2023, wird sie Realität.

Lindner rutscht auf seinem Stuhl leicht nach vorne, lächelt und sagt dann: "Wir wollen jetzt beginnen, Generationenkapital zu bilden." Generationenkapital, das ist das entscheidende Wort. Vorher sprach er noch von Aktienrente, aber das klang dem FDP-Minister wohl zu abschreckend. Kapital für Generationen, das hört sich an wie eine Investition in die Zukunft. Und soll zeigen, dass man nicht nur in Legislaturperioden denkt.

Eingeladen hatte das Finanzministerium zu einer Diskussion mit dem Minister, geklärt werden sollten die grundsätzlichen Fragen: Wie funktioniert das genau? Woher kommt das Geld? Wie kann es darüber hinaus weitergehen? Lindner sprach also an diesem Vormittag ausführlich über Beitragszahler und Staatsbeteiligungen, über Fonds und Finanzierungen. Es ist der Plan der FDP für die Versorgung der Deutschen im Alter. Die Agenda für eine finanzielle Absicherung.

Schon lange zeichnet sich ab, wie die Finanzierung der Renten an Grenzen kommen wird. Passiert ist bisher trotzdem wenig – trotz aller Mahnungen. "Die Finanzierung unseres Rentensystems steht vor dem Zusammenbruch", warnte jüngst wieder Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Und Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärte jetzt in der "Augsburger Allgemeinen", das Rentensystem stehe "absehbar vor dem Kollaps".

Der Beginn einer großen Reform

Die Aussagen sind nicht übertrieben. Spätestens 2030, wenn das Gros der Babyboomer den Ruhestand angetreten hat, kippt das Verhältnis zwischen Einzahlern und Empfängern. Auf einen Rentner könnten dann nur noch 1,5 Beitragszahler kommen, statt wie derzeit knapp zwei. Schon jetzt überlebt das System nur, weil der Bund die Löcher mit reichlich Steuergeld stopft: Über 100 Milliarden Euro fließen bereits jetzt pro Jahr an die Deutsche Rentenversicherung, die davon knapp ein Drittel ihrer Ausgaben deckt. Tendenz steigend. Eine Reform ist dringend nötig – weg von der reinen Umlagefinanzierung, hin zu mehr Unabhängigkeit von der Demografie.

Die Aktienrente ist der wohl wichtigste Baustein auf dem Weg dahin. Mit ihr könnten künftig nicht nur Beiträge und Steuern die Finanzierung tragen, sondern auch die Erträge eines Kapitalstocks. Dahinter steht die Idee: Der Staat legt Geld am Kapitalmarkt an, kauft also Aktien und Anleihen – und der Gewinn wird den Bürgern als Zuschuss zur Rentenfinanzierung zur Verfügung gestellt. Jeder Steuerzahler wird damit automatisch zum Aktionär. Eine kleine Revolution für die Sparbuch-Nation Deutschland.

Diese Frau soll das Geld vermehren

Unklar war bisher, wer diese Renten-Revolution anführen soll. Wem man die zehn Milliarden Euro, die der Bund zum Start der Aktienrente aufnimmt, in die Hand gibt. Schließlich lauert am Kapitalmarkt auch das Risiko für Verluste. Sollten die Aktien zu wenig Rendite abwerfen oder gar ins Minus rutschen, könnte der Rentenversicherung später viel Geld fehlen – und der Steuerzahler doch wieder stärker herhalten müssen. Sozialverbände und Gewerkschaften warnen bereits davor.

Noch im vergangenen Jahr galt die Bundesbank als Favoritin für den Geldvermehrer-Job, doch an diesem Freitag sitzt Anja Mikus neben Christian Lindner. Mikus, 67 Jahre alt, wacher Blick, ist Chefin des deutschen Atomfonds, umgangssprachlich Kenfo genannt. Mit dem Fonds zur kerntechnischen Sanierung hat der Bund 2017 die größte öffentlich-rechtliche Stiftung Deutschlands gegründet, um den Atomausstieg zu finanzieren. Er ist mit rund 24 Milliarden Euro gestartet, die die Kraftwerksbetreiber gezahlt haben, und soll in den kommenden 80 Jahren durchschnittlich 3,7 Prozent Rendite im Jahr erwirtschaften. Für langfristig und breit gestreute Aktienanlagen ist das ein konservatives Ziel.

Mikus, die in ihrer Karriere Chef- und Aufsichtsratsposten bei Allianz, Union Investment und Commerzbank bekleidet hat, hat auch schon gezeigt, dass sie zu mehr in der Lage ist: Seit seiner Gründung hat der Atomfonds den Wert seiner Anlagen jedes Jahr im Schnitt um 8,6 Prozent gesteigert, 2021 lag die Rendite sogar bei 10,4 Prozent. Wie der Fonds durch das schwierige Börsenjahr 2022 gekommen ist, ist allerdings noch nicht öffentlich. Gelängen Mikus die durchschnittlichen 3,7 Prozent Rendite beim Rentenfonds, stünden nach einem Jahr 370 Millionen Euro extra bereit – ein winziger Wert im Vergleich zum 100-Milliarden-Steuerzuschuss.

10 Milliarden sollen ein Anfang sein

Damit die Aktienrücklage die Rente tatsächlich absichert, müsste sie daher deutlich aufgestockt werden. "Einen dreistelligen Milliardenbetrag" wolle man ab Ende der 2030er Jahre investieren, sagt Lindner. Woher die kommen soll, ist allerdings noch ungewiss. Die 10 Milliarden seien ein Anfang, so sieht man das bei den freien Demokraten. Auch, um in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für diese Art der Altersvorsorge zu schaffen. Die Gefahr, so Lindner, sei es nicht, auf Aktien zu setzen: "Die Gefahr ist, es nicht zu tun."

Wäre es komplett nach der FDP gegangen, hätte die Aktienrente das Umlagesystem nicht nur stabilisieren, sondern sogar höhere Altersrenten bringen sollen. Dafür hätte man sie aber nicht nur aus Haushaltsmitteln finanzieren, sondern auch einen Teil der Rentenbeiträge in den Aktienfonds stecken müssen. Ganz nach schwedischem Vorbild, wo Arbeitnehmer verpflichtend 2,5 Prozent ihres Bruttogehalts in einen Aktienfonds einzahlen. Das schwedische Standardprodukt, der "Pensionsfonds AP7 Såfa", erzielte in den vergangenen zehn Jahren ein Plus von 285 Prozent. Eine Entwicklung, die Deutschland verpasst hat.

Die Folge? Ein Aufstand in der Rentnerrepublik

Ob allein aus Haushaltsmitteln finanziert oder auch aus Rentenbeiträgen – bis der Fonds für die Aktienrente ausreichend Erträge liefert, wird es dauern. Erst ab Mitte der 2030er Jahre dürfte er eine echte Stütze werden. Bis dahin muss die Bundesregierung mit anderen Maßnahmen überbrücken – und sich auf den Zorn vieler Rentner gefasst machen.

In der Ampelkoalition wird bereits seit Wochen diskutiert, wie man die drohende Katastrophe noch abwenden kann. Aber die meisten Ideen, die die Rente sonst noch sichern könnten, sind äußerst unpopulär. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer erlebte erst vor wenigen Tagen, wie aufgeladen die Debatte ist. Sie hatte gefordert, das Renteneintrittsalter bis auf 70 Jahre anzuheben, hohe Renten zu kürzen und die Beiträge zu steigern. Die Folge war ein Aufstand in der Rentnerrepublik.

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„Das würde eine Rentenkürzung bedeuten“

Insbesondere das Eintrittsalter könnte innerhalb der Bundesregierung noch zu Streit führen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der in den kommenden Wochen sein Rentenpaket II auf den Weg bringen will, hält eine Erhöhung über das 67. Lebensjahr hinaus für lebensfremd. Das würde "für viele Menschen, die in diesem Alter nicht mehr arbeiten können, de facto eine Rentenkürzung bedeuten", so Heil.

Auch Kanzler Olaf Scholz hält nichts von einer weiteren Anhebung. Er hat sich aber dafür ausgesprochen, dass künftig mehr Menschen als bisher bis zur geltenden Regelaltersgrenze arbeiten sollten. Um das zu erreichen, wirbt FDP-Parteivize Johannes Vogel, einer der maßgeblichen Erfinder der Aktienrente, in diesen Tagen für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters. Vorbild dafür wieder: Schweden. "Dort arbeiten die Menschen so im Schnitt am längsten", sagt Vogel.

Fest steht: Die Aktienrente allein kann es kurzfristig nicht richten. Es werden diverse Stellschrauben gedreht werden müssen, "damit auch die Generation der Enkel ihren Lebensstandard sichern kann", wie es Lindner als Ziel vorgibt. "Intergenerative Solidarität" nennt er das. Der erste Schritt dafür wird mit der Aktienrente in diesem Jahr getan. Alle weiteren dürften weniger bequem werden – für Rentner und Beitragszahler, aber auch für die Politiker, die sie erklären müssen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Persönliche Beobachtungen beim Termin
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