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Manipulationen in Wikipedia: Dauerbeschuss von PR-Agenturen


Verdeckte PR
Wikipedia-Manipulation ist "ein Problem für die Demokratie"

t-online, Melanie Ulrich

31.01.2014Lesedauer: 3 Min.
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Wikipedia wird systematisch von PR-Agenturen manipuliert. (Quelle: Jakob Hoff/imago-images-bilder)
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Wikipedia

Rund 30 Millionen Artikel in über 280 Sprachen sind mittlerweile in der Wikipedia enthalten. Geschrieben werden diese Artikel von freiwilligen Autoren, die dafür kein Geld bekommen. Das Prinzip des Online-Lexikons: Jeder kann sich einbringen, Artikel schreiben, sie verändern, aktualisieren, kritisieren. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Das soll gewährleisten, dass sich möglichst viele Nutzer beteiligen und die Intelligenz der Masse für die Richtigkeit von Artikeln sorgt.

Das allgemeine Mitmach-Prinzip macht die Wikipedia aber auch sehr anfällig für Manipulationen. Oft ist es sehr schwer, ihnen auf die Schliche zu kommen. Das ARD-Magazin Monitor zeigte in einem Beitrag am Donnerstagabend, welchen Umfang die Manipulation offenbar schon erreicht hat und wie gezielt PR-Berater dabei vorgehen.

Wie viele Artikel manipuliert werden, ist unklar. Monitor zählt ein paar Einzelfälle auf, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind:

- Im Artikel zum Unternehmen MAN wurde die Information gelöscht, dass der Fahrzeugbauer im Zweiten Weltkrieg Panzer für das Nazi-Regime gebaut hat. Die Löschung kam von einer Internetadresse bei MAN.

- Im Beitrag zum Luftverkehr wurde ein Absatz über die Gesundheitsgefahren durch Fluglärm entfernt – von einem Computer bei der Lufthansa.

- Auf der Seite zur Daimler AG wurde ein ganzer Absatz gelöscht, in dem die Lobbyaktivitäten des Konzerns thematisiert wurden. Auch hier von einem Rechner innerhalb des Unternehmens.

Wikipedia steht unter Dauerbeschuss

Diese Manipulationen wurden von Nutzern aufgedeckt und korrigiert. Die Unternehmen bestreiten, sie veranlasst zu haben. Doch die Wikipedia steht täglich unter Dauerfeuer von Konzernen, PR-Agenturen und Lobbyverbänden.

Malte Landwehr, ein auf das Manipulieren von Wikipedia-Artikeln spezialisierter PR-Berater, erzählte Monitor, wie dabei vorgegangen wird: "Es gibt viele professionelle Anbieter, die arbeiten auf einem solchen Niveau, mit so viel Aufwand, dass die Wikipedia da eigentlich keine Chance hat, das aufzudecken."

Einerseits würden gewünschte Informationen gezielt in Artikeln ergänzt, andererseits unliebsame Informationen entfernt. Landwehr habe an mehreren Projekten mitgearbeitet, wo so vorgegangen wurde, sagte er im Interview. Diese Manipulationen wären nicht aufgeflogen und hätten dauerhaft Bestand.

Die Unternehmen würden mit vielen verschiedenen Benutzerkonten an einem Artikel arbeiten und ihn nach ihrem Willen ändern. Würden sich weitere Nutzer einmischen und Änderungen rückgängig machen, so würde eine Diskussion darüber eröffnet. Und bei der sei das Unternehmen allein schon aufgrund der Anzahl ihrer Benutzerkonten in zahlenmäßiger Überlegenheit, so Landwehr.

Ein Katz-und-Maus-Spiel

Auch Wikipedia-Autoren bestätigen, dass die Angriffe der PR-Agenturen immer geschickter werden. Dirk Franke, ehrenamtlicher Autor, PR-Jäger und einer von 250 Administratoren bei Wikipedia, erzählt von sehr fortgeschrittener Manipulation bei Wikipedia. Da werde bei einzelnen Absätzen trickreich die Gewichtung und der Tonfall geändert und zum Beispiel im Kritik-Absatz auch noch eine Kritik an der Kritik ergänzt. "Das ist ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel, das sich seit Jahren hinzieht", sagte er.

Das große Problem des Online-Lexikons: Bei der Wikipedia gibt es immer weniger ehrenamtlich aktive Autoren wie Dirk Franke und immer mehr bezahlte Schreiber wie Malte Landwehr, die für PR-Agenturen arbeiten und es sogar zu Administratoren-Rechten bei der Wikipedia geschafft haben. "Mir sind mehrere PR-Agenturen in Deutschland bekannt, die mindestens einen Nutzer mit Administratoren-Rechten haben", sagt er. Als Administrator hat man deutlich mehr Befugnisse als normale Nutzer und kann so deutlich mehr Einfluss nehmen.

PR-Angriffe ein Problem für die Demokratie

Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger, der seit Jahren zu Wikipedia forscht, sieht in den Manipulationen ein Problem für die Demokratie. "Es ist ein ganz gravierendes Problem für die Gesellschaft, wenn ein solcher Wissensspeicher, der so viel Vertrauen hat, der so stark genutzt wird, unterwandert wird von politischen und wirtschaftlichen Interessen, es aber dort keine Gatekeeper gibt, die wirklich überprüfen ... ob manipuliert wird oder nicht", sagte Neuberger der ARD.

Studien zeigen, dass vor allem junge User Wikipedia mittlerweile als genau so vertrauenswürdig erachten wie die traditionellen, gedruckten Lexika, die seit Jahren eingestellt sind und allmählich vom Markt verschwinden.

Wikipedia ist als demokratisches Projekt gestartet, offen und unabhängig. Das Online-Lexikon hat Monopolstatus und besitzt entsprechend eine riesige Deutungshoheit. Jetzt droht daraus ein Informationsmonopol zu werden, gezielt und trickreich unterwandert von Wirtschaftsinteressen. Längst geht es also nicht mehr nur um ein paar Manipulationsversuche, sondern um die Frage der Informationshoheit.

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