"Internetzensurmaschine" der EU Aktivisten schlagen Alarm wegen geplanter Uploadfilter
Im Kampf gegen Online-Piraterie will die EU Plattformbetreiber dazu zwingen, verdächtige Inhalte noch vor der Veröffentlichung auszusortieren.
Am 20. Juni wird der Rechtsausschuss im EU-Parlament über eine Urheberrechtsreform abstimmen, die es in sich hat: Neben dem umstrittenen Leistungsschutzrecht, für das deutsche Verlage jahrelang gekämpft hatten, beinhaltet es auch eine Vorschrift, die Kritiker als eine digitale Form der "Vorzensur" ablehnen.
Artikel 13 des aktuellen Gesetzentwurfs verpflichtet Internetplattformen dazu, alle Inhalte vor dem Hochladen automatisch auf mögliche Urheberrechtsverstöße hin zu überprüfen und gegebenenfalls die Veröffentlichung zu unterbinden. Diese sogenannten "Uploadfilter" sind aus mehreren Gründen umstritten.
Internetpioniere schicken einen Brandbrief an die EU
Netzaktivisten und Bürgerrechtsorganisationen schlagen bereits Alarm. In zahlreichen Foren formiert sich der Widerstand. Und in einem Offenen Brief haben sich mehr als 70 Internet- und Computerexperten gegen Artikel 13 ausgesprochen, darunter der Erfinder des World Wide Web Tim Berners-Lee, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Internetpionier Vint Cerf und Mitchell Baker von Mozilla. Die EU-Novelle laufe Gefahr, das Internet von einer "offenen Plattform des Teilens und der Innovation in ein Werkzeug der automatisierten Überwachung und der Kontrolle über seine Nutzer" zu verwandeln, mahnen sie.
Hunderte Nutzer organisieren seit Dienstagabend Protest
Auch in zahlreichen Online-Foren reagieren viele Nutzer alarmiert auf das Vorhaben und planen mögliche Protestaktionen, um den Gesetzesvorschlag in letzter Minute zu stoppen. So haben sich seit Dienstag weit über 1000 Menschen auf einem Discord-Server zusammengeschlossen, um dort schnell schlagkräftigen Widerstand zu organisieren. Entstanden ist das nach einem Brandbrief auf der vor allem von jungen deutschsprachigen Nutzern bevölkerten Plattform "Pr0gramm".
Der unter dem Pseudonym "Gamb" auftretende Plattform-Verantwortliche hatte die Mitglieder mit einem Posting aufgeschreckt: "Das wird der Untergang für das Internet, wie wir es kennen und lieben." Das betreffe nicht nur "uns Kellerkinder", wie sich die Pr0gramm-Mitglieder selbstironisch nennen, "sondern genauso die Instagram-Jacqueline oder den Opa bei Facebook".
Hunderte Nutzer folgten dem Aufruf. Mit Ideen, Grafiken und Programmierkenntnissen wollen sie bei der Online-Kampagne mitwirken und andere Internetnutzer mobilisieren. "Pr0gramm" hatte seine Schlagkraft erst vor kurzem bewiesen, als bei einer Protestaktion binnen weniger Tage mehrere Hunderttausend Euro an Spenden für Krebshilfe-Organisationen zusammenkamen. Die deutsche "Save the Internet"-Initiative versteht sich aber ausdrücklich nicht als "Pr0gramm"-Projekt und hat bereits Mitstreiter von außerhalb gefunden.
Was spricht gegen Uploadfilter?
Die geplante EU-Regelung betrifft Videos, Fotos, Texte, Audiodateien ebenso wie Quellcode. Das Material soll beim Hochladen automatisch mit einer Datenbank urheberrechtlich geschützter Werke abgeglichen werden. Fallen dabei Ähnlichkeiten auf, wird der Inhalt gesperrt. Versagt das Filter- und Überwachungssystem, haftet der Betreiber für die Urheberrechtsverletzungen auf seinen Seiten.
Die zentralen Argumente gegen solche Filtersysteme lauten:
- Die Filteralgorithmen gelten als ungenau und fehleranfällig. Als Negativbeispiel dient das sogenannte Content ID-System auf YouTube. Auch Facebook macht gelegentlich Schlagzeilen, wenn der Algorithmus mal wieder einen nackten Busen in einem berühmten Gemälde zensiert.
- In dem Versuch, Urheberrechtsverletzungen unter allen Umständen zu unterbinden, werden die Betreiber sehr strenge Filteralgorithmen anwenden. Dadurch werden auch legitime, aber ähnlich aussehende Inhalte aussortiert.
- Darunter leiden auch kreative Internetformate wie sogenannte Memes, Remixes oder Parodien, die eigentlich von der Kunstfreiheit geschützt sind. Für eine Maschine ist der oftmals feine juristische Unterschied zwischen einem künstlerischen Zitat und einer Urheberrechtsverletzung nicht erkennbar.
- Während große Konzerne wie Facebook und YouTube bereits Erfahrungen mit automatisierten Filterverfahren haben, müssen kleine Webseiten diese erst einführen. Damit verbunden sind erhebliche Kosten, etwa für Software-Lizenzen.
- Die Filtersysteme können missbraucht werden. Findige Unternehmer könnten falsche Urheberrechtsansprüche erheben und abkassieren. Auf YouTube ist das bereits ein bekanntes Phänomen. So beansprucht beispielsweise eine Firma das Nutzungsrecht auf ein bestimmtes Rauschgeräusch. Wer ein Video mit einem ähnlichen Video auf YouTube hochlädt soll diese Firma an den Gewinnen beteiligen. Wir hatten über den kuriosen Fall berichtet.
Verschiedene Organisationen wie "Save your Internet" rufen deshalb zur Kampagne #DeleteArt13, also "streicht Artikel13", auf.
Aktuell gebe es laut der EU-Politikerin Julia Reda (Piratenpartei) nur eine hauchdünne Mehrheit im zuständigen Ausschuss der EU. Sie setzt die Hoffnung auf die Wählerinnen und Wähler, die die unentschlossenen Ausschussmitglieder anrufen und umstimmen könnten.
Ebenfalls umstritten: die "Linksteuer"
Neben den Uploadfiltern in Artikel 13 sorgt auch Artikel 11 des EU-Gesetzentwurfes für Diskussionen. Dieser sieht eine Art "Linksteuer" vor, von der sich vor allem große Verlage einen Ausgleich für wegbrechende Einnahmen erhoffen. Webseiten, die etwa auf Nachrichtenartikel verlinken und dazu Ausschnitte aus der Überschrift oder dem Text anzeigen, müssten demnach eine Lizenzgebühr entrichten.
Die Idee zielte ursprünglich auf Google News ab. Verlage hofften auf eine Gewinnbeteiligung und nutzten ein mögliches Verlinkungsverbot als Druckmittel. Der Suchmaschinengigant ging jedoch nicht darauf ein. Das jahrelange Ringen um das sogenannte Leistungsschutzrecht könnte jetzt mit der EU-Urheberrechtsreform sein Ende finden – nach Ansicht vieler Netzexperten aber kein gutes.
Trotz aller Kritik und gescheiterten Versuche hält der Verhandlungsführer im Rechtsausschuss Axel Voss (CDU) am Leistungsschutzrecht fest. Zuletzt hat er seine Vorschläge für die Urheberrechtsreform sogar verschärft. Dadurch könnte bald schon das Verlinken von urheberrechtlich geschützten Inhalten kostenpflichtig werden, warnen die Kritiker. Die Online-Enzyklopädie "Wikipedia" wäre davon sogar in ihrer Existenz bedroht. Der freie Austausch von Informationen und öffentliche Debatten würden unter den neuen Regeln erheblich erschwert.
Organisationen wie Save Your Internet und Change Copyright erklären, wie Bürger noch auf die Politiker einwirken können. Über Open Media kann jeder ermitteln, welcher Abgeordnete für ihn im Parlament sitzt, um ihn zu kontaktieren.
- Webseite von Julia Reda
- Electronic Frontier Foundation
- Zugang zum Discord-Server
- Diskussion im Reddit Forum