Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Witze über Till Lindemann Nicht lustig
Am Thema Rammstein kommt derzeit kaum jemand vorbei. Doch wie damit umgehen? Bitte nicht so, wie manche Musikerkollegen.
Eine Kolumne von Janna Halbroth.
Lachen ist gesund. Lachen ist wundervoll. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen wir lachen. Wenn jemand einen Witz erzählt, oder vielleicht auch, wenn jemand unfreiwillig komisch ist. Lachen kann auch die einzige Art sein, mit etwas nicht so Lustigem fertig zu werden. Und manchmal ist Lachen die eleganteste Art, seinem Gegner die Zähne zu zeigen. Doch es gibt auch Gelegenheiten, bei denen Lachen so gar nicht angebracht ist. Zum Beispiel, wenn jemandem etwas Schreckliches widerfährt. Darüber lacht man nicht. Auch Schadenfreude ist verpönt. Das ist allgemeiner Konsens.
Und trotzdem kam es jetzt jüngst vermehrt genau dazu. Das hängt mit Till Lindemann zusammen. Die Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontmann und den damit einhergehenden vermuteten Machtmissbrauch eines sehr einflussreichen Musikers. Man kommt nur schwer an den Skandalschlagzeilen vorbei, seit sie erhoben wurden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über den 60-Jährigen und das angeblich perfide System berichtet wird, das seine Mitarbeitenden mutmaßlich rund um ihn etabliert haben sollen, um junge Frauen auszubeuten, zu manipulieren oder schlimmer noch, sie offenbar zu missbrauchen. Was wahr ist an den Vorwürfen, das wird derzeit ermittelt. Es gilt für die angeblichen Opfer die gleiche Unschuldsvermutung wie für den angeblichen Täter.
Doch jetzt ist es nun mal ein weltweites Thema, es erregt und erhitzt die Gemüter. Rammstein-Fans, die keine mehr sein wollen, Rammstein-Fans, die es immer bleiben werden oder diejenigen, die sich mit den mutmaßlichen Opfern solidarisieren. Und dann gibt es noch jene, die offenbar aus so einer weiten Ferne auf das Geschehen blicken, dass sie jegliche Empathie für die Causa verloren haben, oder diese schlicht niemals besaßen.
Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, warum Musiker wie der Rapper Sido oder auch die Band Die Ärzte sich jetzt öffentlich über Lindemann und auch über die mutmaßlichen Opfer lustig machen. "Ich suche mir gerade eine aus, die mir gleich unter der Bühne einen bläst", sagte Sido lachend bei einem Konzert. Er spielte damit auf das an, was Lindemann vorgeworfen wird. Ist das lustig? Nein. Es ist nicht einmal besonders originell.
Etwas mehr Mühe gaben sich da schon Die Ärzte. Während eines Konzerts in Luxemburg kamen sie immer wieder auf Lindemann zu sprechen. "Es ist nicht cool", sagte Farin Urlaub da zunächst noch richtigerweise. "Wenn ihr denkt, dass das guter Sex ist, dann kauft euch 'ne Gummipuppe." Doch dann kam die Pointe: "Guter Sex ist, wenn sie sich wehren." Außerdem witzelten die Bandmitglieder über K.-o.-Tropfen.
Darüber zu lachen ist die schlechtmöglichste Art
Auf einflussreiche Männer in der Musikbranche fällt gerade ein grelles Licht. Doch es ist kein gutes. Es ist nicht das Scheinwerferlicht, das sie gewohnt sind, sondern eher ein unangenehmer, beißender Lichtstrahl, der gar nichts mehr mit dem beliebten Rampenlicht zu tun hat. Man könnte als ebenfalls einflussreicher männlicher Musiker nun dazu beitragen, sich in ein besseres Licht zu rücken, zu zeigen, dass nicht alle Akteure in diesem Umfeld schlecht sind.
Man könnte sich auch klar gegen Machtmissbrauch positionieren. Sogar sich mit Kollegen zu solidarisieren, wäre ein besserer Weg, als sich hämisch über die Situation zu erheben. Darüber zu lachen, dass möglicherweise etwas ganz und gar nicht gut läuft in der Branche, von der man selbst Teil ist, ist die schlechtmöglichste Art, mit dem Thema umzugehen.
Denn Witze über Till Lindemann in diesem Zusammenhang sind immer auch Witze über die potenziellen Opfer. Und da hört der Spaß auf. Auch wenn Die Ärzte am Ende klarstellten, dass Sex nur einvernehmlich passieren sollte, wurde bereits vorher eine Grenze überschritten.
Keine Grenze des guten Geschmacks, keine Grenze des Humors, sondern eine Grenze der Menschlichkeit. Über manche Situationen macht man einfach keine Witze. Auch wenn es vielleicht schwerfällt, mit den aktuellen Geschehnissen umzugehen: Sich über sie lustig zu machen, ist definitiv der falsche Weg. War es schon immer, wird es immer bleiben.
- Eigene Beobachtungen