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Medienforscher über ARD und ZDF: "Ragen als Leuchttürme aus der Krise"


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ARD und ZDF in der Corona-Krise
"Es ist völlig legitim, dass dafür Rundfunkbeitrag gezahlt wird"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 12.04.2020Lesedauer: 9 Min.
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Noch sind es jeden Monat 17,50 Euro: Was mit dem umstrittenen Rundfunkbeitrag passiert. (Quelle: t-online)
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Das Coronavirus beherrscht die Medien. Auch ARD und ZDF berichten nahezu monothematisch über Covid-19 – und ernten dafür teils scharfe Kritik. Ein Medienforscher erklärt im Interview mit t-online.de die Hintergründe.

Vergangene Woche wurde erstmals scharfe Kritik an der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Corona-Krise laut. Im Fachjournal "epd Medien" erklärte der deutsche Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren, es würden immer die gleichen Experten und Politiker auftreten und als Krisenmanager präsentiert werden. Vorwürfe wie "Systemjournalismus" und "Hofberichterstattung" fielen.

Doch was ist dran an den Anschuldigungen? Fakt ist: ARD, ZDF und die dazugehörigen Drittprogramme erfreuen sich in der gegenwärtigen Corona-Lage hoher TV-Quoten. Bis zu 17 Millionen Zuschauer schalten derzeit täglich die "Tagesschau" ein.

Dennoch ist die Diskussion um die Rolle der Medien in Krisenzeiten berechtigt. Vor allem mit Blick auf die einschneidenden Maßnahmen im Zuge der Kontaktsperre ist es auch Aufgabe des Journalismus, kritisch zu bleiben. Im Gespräch mit dem Medienforscher Prof. Dr. Joachim Trebbe vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin beleuchtet t-online.de dieses Spannungsverhältnis ausführlich.

t-online.de: Lieber Herr Trebbe. Sie sind Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin. Dennoch sei erst einmal eine persönliche Frage erlaubt: Wie informieren Sie sich gegenwärtig, um den Überblick zu behalten?

Prof. Dr. Joachim Trebbe: Ich bin natürlich professionell ein bisschen verbogen, weil ich mich stundenlang mit Medieninhalten beschäftige und versuche, so viele Informationsquellen wie möglich zu nutzen. Das geht meiner Frau und meinem Sohn schon ziemlich auf die Nerven, weil ich mir beispielsweise im Fernsehen die gesamte Nachrichtenschiene anschaue. Zusätzlich gibt es noch den Bereich der sozialen Medien, Nachrichteninhalte, die ich von Freunden geschickt bekomme zum Beispiel. Das ist schon ein ganz schönes Gewitter, was da auf einen einströmt.

Wie beurteilen Sie die derzeitige mediale Berichterstattung?

Einfache Beurteilungen sind immer schwer. Wir Kommunikationswissenschaftler wissen aus der Krisenkommunikation, die hinter uns liegt, also mit Blick auf Naturkatastrophen oder Terroranschläge, dass es immer verschiedene Phasen in der Krisenberichterstattung gibt. Bei den Massenmedien gibt es am Anfang eine Konzentrationsphase, in der alle zusammenrücken, sich auf die Experten konzentrieren und dann das, was man System- oder Verlautbarungsjournalismus nennt, praktizieren. Es geht darum, Informationen darüber zu bekommen, was passiert ist und darum, wie reagiert die Administration, die Regierung, die Exekutive darauf.

Welche Besonderheiten beobachten Sie speziell in der gegenwärtigen Corona-Krise?

Im Hinblick auf diese Phasen der Krisenkommunikation verläuft die derzeitige Krise genauso wie die Finanzkrise 2008 oder die Berichterstattung zur Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011.
Die Wiederholungsrate der Nachrichten ist extrem hoch, der Aktualisierungsgrad ist extrem hoch, die Expertenrate ist extrem hoch und die Einschränkung der Themen- und Meinungsvielfalt ist extrem hoch. Es gibt überall nur eines zu lesen, zu sehen und zu hören: Corona. Gestern habe ich bei der "Tagesschau" die Zeit gestoppt: Es ging in der Nachrichtensendung 13 Minuten lang ausschließlich um das Coronavirus. Ein einziger Beitrag, abgesehen vom Wetter und den Lottozahlen, hat sich nicht mit Corona beschäftigt. Das ist natürlich eine erhebliche Einschränkung der Themenvielfalt und der gesellschaftlichen Diskussionen.

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Auch in der Krise obliegt den Medien eine regulative Aufgabe. Sie gelten als Kontrollinstanz im Land. Oder gibt es in Zeiten des Ausnahmezustands Sonderregeln? Welche Aufgaben haben die Medien denn aktuell und speziell auch die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenagebote?

In einer freien Medienordnung wie wir sie haben, ist das nicht so leicht zu sagen. Es gibt ja keine Regeln der Berichterstattung, die gesetzlich festgelegt wären. Das sind Mechanismen. Medien reagieren in bestimmten Mechanismen darauf, was um sie herum passiert.
Im Prinzip greifen die gleichen Mechanismen, wie sie auch in der Alltagsberichterstattung greifen. Nur: Sie führen zu einem komplett anderen Ergebnis. Weil sich alle darauf stürzen, was gerade die größte Betroffenheit, den größten Schaden und das größte Risiko bedeutet. Auf der anderen Seite garantiert es die größte Reichweite, denn die Leute interessieren sich dafür. Das führt dazu, dass momentan fast ausschließlich Corona-Themen aufbereitet werden.

Was sehen Sie dabei kritisch?

Ein normativer Satz wie "Medien müssen die Situation kritischer beleuchten" lässt sich als Medienkritiker schnell sagen, aber einen moralischen Appell zu äußern, wird die Sache nicht verändern. Das System funktioniert einfach so.
Man kann wie der Virologe Prof. Christian Drosten sagen, dass es nicht okay ist, wie die Medien berichten.

Oder Ihr Kollege Otfried Jarren von der Universität Zürich, der sagt, ihm sei die Berichterstattung mit Blick auf die Regierungskommunikation zu einseitig.

Das kann man machen, aber man wird die klassischen Mechanismen dadurch nicht außer Kraft setzen. Es besteht nur die Chance, dass durch die Kritik an den Medien ein Reflektionsprozess im Journalismus einsetzt. Den gibt es fast immer in Krisensituationen: Spätestens nach zwei, drei Wochen fragen sich Journalisten immer, ob sie nicht auch andere Dinge beleuchten müssen. Diese Phase fängt jetzt gerade an.

Können Sie uns das genauer erklären? In welcher Phase befinden wir uns nun?

Die erste Phase des reinen Verlautbarungsjournalismus ist zu Ende. Das ist recht praktisch, denn nach Ostern wird eine neue Diskussion in Gang gesetzt werden.
Wir sind jetzt in einer Phase, die sich aufsplittet. Einmal gibt es die Meta-Diskussionen darüber, wie gehen Medien mit der Lage um. Interessanterweise war es der Virologe Christian Drosten, der den Anfang gemacht hat und als Fachfremder infrage stellte, ob die Medien in ihrer Berichterstattung kritisch genug sind.
Außerdem geht es um den Inhalt, also darum, wie einschränkend sind die ordnungspolitischen Maßnahmen für die Freiheitsrechte der Bürger. Die kritische Diskussion darum flackert nun mehr und mehr auf. Erstens weil sich die Infektionszahlen bessern, aber eben auch, weil es keine klaren Kriterien dafür gibt, wann wir aus diesem Szenario der Kontaktsperren austreten werden. Es geht zwar darum, dass die Infektionsrate zurückgehen soll, aber niemand sagt, um wieviel Prozent. Oder: Die Verdopplungsraten sollen vergrößert werden, aber niemand sagt, was passiert, wenn wir eine Verdopplung der Corona-Infektionen in einem Zeitraum von 14 Tagen haben.

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Was bedeutet das für die öffentliche Diskussion und welche Gefahren bestehen nun aus kritischer Medienperspektive?

Dieser Prozess wird so sehr in die Länge gezogen, dass gebetsmühlenartig wiederholt wird, die Eindämmung des Virus schreite zu langsam voran. Es entsteht das Gefühl, wir würden immer in dieser Anfangsphase feststecken. Das ist die Gefahr, die ich sehe: Dass diese kritische Phase, in der wir jetzt sind, nicht durchgehalten und konsequent umgesetzt wird. Wenn die nächste Welle an Maßnahmen oder Lockerungen kommt, fallen die Medien womöglich wieder zurück in diese Berichterstattung der Alternativlosigkeiten. Möglicherweise wird dann wieder medial verbreitet, was gemacht werden muss, aber niemand fragt eigentlich, ob das richtig oder falsch ist. Es ist wichtig, dass die Medien nun auch die objektiven Kriterien, die als Entscheidungsgrundlage dienen, nutzen, um die politischen Entscheidungen über Einschränkungen oder Lockerungen des öffentlichen Lebens zu hinterfragen.

Wir sprachen bereits über Ihren Kollegen Otfried Jarren. Er äußerte scharfe Kritik an der Berichterstattung von ARD und ZDF. Wie zutreffend ist das, was er sagt?

Im Prinzip hat Herr Jarren genau diese Phase beschrieben: Dass eine hohe Unsicherheit besteht und dass die Exekutive in einer Art Verordnungspolitik handelt. Da sind wir in Deutschland natürlich sehr empfindlich, weil wir damit schlechte Erfahrungen gemacht haben, dass über administrative Verordnungen sehr stark eine die Menschenrechte einschränkende Politik gemacht wird. Das sehen wir jetzt auch, wie beispielsweise die Bewegungsfreiheit der Bürger eingeschränkt wird.
Da kann man schon sagen, dass es ein bisschen übertrieben ist, wie in der ersten Phase der Krisenkommunikation nur das zu hören ist, was die gerade herrschende Politik für richtig hält und durchsetzen will. Kritische Fragen sind am Anfang überhaupt nicht vorhanden. Es geht nur darum, wiederzugeben, was die Regierenden für die richtige Maßnahme halten. Was Otfried Jarren kritisiert, ist, dass jede Maßnahme der Regierung in der Berichterstattung mit Alternativlosigkeit verbunden wird. Eine vielfältige Diskussion, eine moralisch-ethische Debatte findet überhaupt nicht statt – vor allem zu Beginn dieser Krisen. Natürlich kann man das kritisieren, denn für einen solchen Krisenfall sind unsere Politiker gar nicht legitimiert. Niemand konnte im Wahlkampf aufzeigen, wie er sich in einem solchen Krisenfall verhalten würde. Die Corona-Krise war ja nicht vorhersehbar. Dann ist es schon kritikwürdig, die Maßnahmen der Regierung relativ unreflektiert durchlaufen zu lassen.

Womit wir wieder bei der Rolle der Medien sind, der sie nun gerecht werden müssen…

Auf der einen Seite ist es die Pflicht und die Aufgabe, sachlich zu informieren. Auf der anderen Seite müssen Medien auch Krisen kritisch und reflektiert begleiten. Die Verfassungsrechtler sprechen davon, dass die Medien immer Medium und Faktor sein müssen. Sie müssen einerseits medial transportieren und sagen, was ist. Auf der anderen Seite haben sie die Aufgabe, zu kommentieren und zu kritisieren. Und diese Aufgabe ist komplett weggefallen in den zwei Wochen, in denen diese extremen Maßnahmen der sogenannten Kontaktsperren durchgeführt wurden. Das ist aus Sicht der Krisenkommunikation allerdings nichts Neues.

Der beitragsfinanzierte Rundfunk der ARD und des ZDF steht häufig stark in der Kritik. Nun erleben die Sender durch die Ausbreitung des Coronavirus einen Aufwind der TV-Quoten. Ist dies ein Vertrauensbeweis?

Ich glaube, es gelingt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Krise Vertrauen zurück zu gewinnen. Das Chaos, was in den sozialen Medien und in den digitalen Online-Medien stattfindet, ist eine riesengroße Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Qualitätsjournalismus in der Presse. Für die Öffentlich-Rechtlichen gilt das ganz besonders, weil er stark, fair und unabhängig ist und sich nun in der Krise als sachkundiger Leuchtturm profiliert. Diese Chance nehmen ARD und ZDF und die weiteren Angebote der Sender im Moment wahr.
Normalerweise ist jeder in seiner kleinen Medienumgebung unterwegs und informiert sich in seinen Filterblasen. Aber in dem Moment, wo Informationen von zentraler Stelle gefragt sind und verbreitet werden müssen, ist so ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem sehr viel wert. Die Quoten zeigen, dass die Arbeit der Öffentlich-Rechtlichen von den Menschen goutiert wird.

Also würden Sie sagen, dass ARD, ZDF und Co. die Chance der Krise für sich nutzen können?

Es gibt keine bessere Phase, als diese, um zu sagen: Es ist völlig legitim, dass dafür ein Rundfunkbeitrag gezahlt wird. Denn der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk hat die Sachkompetenz, um Informationen angemessen aufzubereiten und zu verteilen. In diesem Gewimmel an Fake-News und Verschwörungstheorien ragen Sender wie ARD und ZDF als Leuchttürme aus der Krise.

Doch auch die Arbeit von Journalisten ist durch Covid-19 stark eingeschränkt: Besteht die Gefahr, dass Redaktionen nicht mehr sorgfältig genug recherchieren und arbeiten können, weil bestimmte Zugänge erschwert werden?

Da hält sich mein Mitleid in Grenzen, weil wir alle damit zu kämpfen haben. Man kann im Grunde froh sein, dass man auf die digitalen Kommunikationstechniken umsteigen kann. Dass der Journalismus nun gezwungen ist, neue Wege zu gehen, würde ich eher als Chance begreifen. Durch die heutigen multimedialen Umwelten lassen sich Informationen leicht beschaffen und da muss man Journalismus nicht als Systemopfer sondern als Systembetreiber begreifen. Man muss versuchen, diese neuen Formen zu etablieren.

Dennoch: Das persönliche Gespräch geht verloren, die Recherche vor Ort ist erschwert. Gibt es keine besorgniserregenden Tendenzen, die Sie beobachten?

Doch, die gibt es auch. Beispielsweise sollen die Pressekonferenzen von Markus Söder jetzt ohne die Präsenz der Presse veranstaltet werden. Er würde nur noch Fragen beantworten, die vorab per Email eingereicht werden. So etwas dürfen sich Journalisten nicht gefallen lassen. Da darf man nicht sagen, dies ist eine Einschränkung, die auf das Coronavirus zurückzuführen ist, sondern das ist eine Einschränkung, die von den Veranstaltern der Pressekonferenzen in der Krise ausgenutzt wird. Da gibt es andere Wege, um kritischen Journalismus, bei dem auch Nachfragen gestattet sein müssen, zu realisieren.

Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern da? Ist eine ausgewogene Berichterstattung in dieser Krisenzeit hierzulande besser möglich, als beispielsweise in den USA unter Donald Trump?

Deutschland ist zusammen mit Österreich bei der Berichterstattung in der Krise sehr gut aufgestellt. Auch in unserem Nachbarland gibt es eine ausführliche Diskussion darüber, wie Kommunikation in der Krise laufen sollte und es wird sehr kritisch begleitet, was der Bundeskanzler dort macht. Als Beispiel sei dort die Diskussion um eine Maskenpflicht zu nennen, bei der Sebastian Kurz einen anderen Weg eingeschlagen hat, als Deutschland.
Die autoritär geführten Länder und ihre Arten der Kommunikation spiegeln sich nun auch in der aktuellen Situation: Länder wie Ungarn oder eben die von Donald Trump geführte USA führen eine sehr selektive Zulassungspolitik durch. Auch vor der Krise hat Donald Trump in seinem Presseraum fast nur Leute zugelassen, von denen er erwarten konnte, dass sie keine kritischen Fragen stellen würden. Das hat sich in der aktuellen Krise sozusagen mit digitalisiert. Das ist aus meiner Sicht keine neue Entwicklung, sondern eher ein kurzer technologischer Vorsprung.

Was meinen Sie damit genau? Durch die Krise schaffen es Autokraten noch besser, die Medien zu kontrollieren und ihre Arbeit durch Einschränkungen zu erschweren?

Im Moment sitzen die Veranstalter der Pressekonferenzen am Schalter und bestimmen die Regeln. Irgendwann müssen die Journalisten diese Rolle übernehmen. Bei der Bundespressekonferenz sieht man das zum Beispiel: Die Rolle des Moderators ist bei virtuellen Konferenzen wichtiger und mächtiger und sollte deshalb auf der Seite der Journalisten positioniert sein. Dann ändern sich die Rollen: Wer ist Handelnder und wer ist derjenige, der Auskunft geben muss? Soweit sind wir im Moment noch nicht, aber wenn es so weitergeht, dass Präsenz und persönliche Intervention durch Zwischenfragen und Nachhaken nur sehr selektiv möglich ist, dann wird der Journalismus in den liberalen, freiheitlich-demokratisch organisierten Staaten einen Weg finden müssen, um andere Formen für Pressekonferenzen zu finden, bei denen die eigenen, journalistischen Maßstäbe umgesetzt werden können.

Verwendete Quellen
  • Deutschlandfunk: "Scharfe Kritik an ARD und ZDF wegen Berichterstattung zum Coronavirus"
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