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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der "Tatort"-Faktencheck Wie realitätsnah arbeiten die TV-Ermittler?
Als lässiges Roadmovie beginnt dieser Wiener "Tatort". Aber schon bald ist Schluss mit lustig, zu zwei Männern kommt ein dritter, und einer ist bald tot. Wie aber können bei einer verkohlten Leiche, einem Feldweg und einer Patrone verwertbare Spuren gefunden werden? t-online.de macht den Faktencheck.
Als wäre es eine Fortsetzung von "Tschick" in der südlichen Walachei rumpelt hier das großartig ausgesuchte Personal über einen Feldweg. Der Ösi-Trumpf wird sehr deutlich ausgespielt, man raunzt sich an und wer eine E-Zigarette raucht, muss sich vorwerfen lassen, "bist Veganer oder wos?". Dabei will er es doch nur seiner Marie recht machen, seiner Frau.
Dass dieser "Tatort" "Her mit der Marie!" heißt, hat jedoch mit der nunmehr zur Witwe gewordenen Marie nichts zu tun. Schon die EAV, die Erste Allgemeine Verunsicherung, sang in "Banküberfall": "Jetzt oder nie, her mit der Marie". Mit Marie ist in Österreich Geld gemeint, ursprünglich bezog sich das wohl auf den Maria-Theresia-Thaler. Im "Tatort" selbst kommen andere österreichische Liedermacher vor, Voodoo Jürgens hat einen Auftritt und S.T.S. seufzen sehnsüchtig aus dem Off ihren Hit von 1985 "Irgendwann bleib i dann dort". Und wie aus der Zeit sehen auch alle irgendwie aus, vom Kleinganoven Inkasso Heinzi (Simon Schwarz) bis zum "Dokta" (Erwin Steinhauer).
Das sieht und klingt alles nach Hader, Regie in dem ansehnlichen Stück führte aber Barbara Eder, zum zweiten Mal beim "Tatort". Außer um den Schmäh geht es um Schwarzgeld, Untergrundgrößen und Kleinkriminelle, die meinen, es würde nicht auffallen, wenn sie den Großen etwas wegnähmen. Das geht natürlich nicht gut aus.
Da wird ermittelt zwischen Halstattoos und Leberkäsdilemma, zumeist ist alles in verranztes Kneipenbraun gehüllt. Und wie immer schaut man dem Ermittlerduo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) mit Freuden bei der Arbeit zu. Aber wie sieht diese Arbeit genau aus? Wie findet man DNA in einer Leiche, wie erkennt man, aus welcher Waffe geschossen wurde, und warum werden immer alle Fundstücke in Plastiktüten gepackt?
Der Faktencheck
Fragen an Georg Prüfling, Kriminalhauptkommissar außer Dienst, Dozent für "Kriminalistik & Tatortinspektion" an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
t-online.de: Herr Prüfling, im Wald liegt eine komplett verkohlte Leiche, davon wird DNA bestimmt – ist das realistisch?
Georg Prüfling: Die Spurensuche bei Brandleichen und explizit die Suche nach DNA-Spuren stellt an Rechtsmediziner und Molekularbiologen höchste Anforderungen. Infolge der starken Hitzewirkung auf den menschlichen Körper wird die DNA in thermodynamischen Prozessen angegriffen, die Basenpaare zerfallen und die DNA denaturiert teilweise gänzlich. Moderne Methoden erlauben es aber mittlerweile, noch kleinste DNA-Reste zu untersuchen und damit zu einem Ergebnis zu gelangen, das bei der Identifizierung hilfreich sein kann. Eine entsprechende filmische Darstellung ist also nicht unrealistisch.
Am Tatort wird eine Patronenhülse gefunden, später wird von der Polizei aus einer Kleinkaliber-Waffe ein Schuss abgefeuert, und die beiden Patronenhülsen werden verglichen. Es wird festgestellt, dass beide aus derselben Waffe abgefeuert wurden. Wie funktioniert das?
Die Untersuchung von Tatmunitionsteilen ist in der Kriminaltechnik ein seit langem bewährtes, gerichtlich umfassend anerkanntes und oft angewandtes Verfahren zum Nachweis, ob am Tatort aufgefundene Teile ursprünglich zu einer Patrone gehört haben, die aus einer ganz bestimmten Waffe verfeuert wurde. Schusswaffen erzeugen wegen gebrauchsbedingter Merkmale ihrer Wirkflächen, also beispielsweise des Schlagbolzens oder der Innenseite des Laufes, auf Geschoss und Hülse ein charakteristisches, individuelles Muster. Dieses ist so eindeutig, dass ein Vergleich mit dem menschlichen Fingerabdruck nicht übertrieben ist. Nach einem Vergleichsbeschuss einer verdächtigen Waffe kann somit sehr gut ein Verfeuerungsnachweis geführt und die Waffe zweifelsfrei identifiziert werden.
Auf einer Schotterstraße wird die Bremsspur eines Wagens analysiert. Geht das überhaupt?
Fahrzeugreifen besitzen stark variierende Profilmuster, die auf geeigneten Untergründen erkannt werden können. Generell bilden bei der Untersuchung von Fahrzeugspuren die Reifenbreite und die Spurweite messbare Größen. Die amorphe Struktur einer Schotterpiste hingegen ist ausgesprochen ungeeignet zur Wiedergabe von Profilmustern, sodass allenthalben über die Reifenbreite (sofern exakt genug stimmbar) und über die Spurweite ein Hinweis auf einen Fahrzeugtyp erlangt werden könnte. Selbst die Länge der Bremsspur verrät nur näherungsweise die Geschwindigkeit des abgebremsten Fahrzeuges.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Spusi und KTU, wie es im "Tatort" immer heißt, also Spurensicherung und Kriminaltechnische Untersuchung?
Die Sicherung von Spuren (oder Beweismitteln) ist eine allgemeine polizeiliche Aufgabe, die im Anforderungsprofil eines Polizeibeamten und einer Polizeibeamtin steht. Bei bestimmten Delikten und vor allem bei besonderen Tatbegehungsweisen sind umfangreiche Spezialkenntnisse und Erfahrungswissen erforderlich, um sachgerecht und gerichtsverwertbar Spuren zu sichern. Alle Polizeibehörden organisieren deshalb einen Spurensicherungsdienst, nicht zuletzt deshalb, weil besondere Gerätschaften nötig sind und vorgehalten werden müssen. Darüber hinaus müssen Maßnahmen zum Spurenschutz berücksichtigt werden, wie man auch an den weißen Overalls der Spurensicherer erkennen kann. Die KTU (Kriminaltechnische Untersuchungsstelle) beschäftigt sich – wie der Name schon verrät – in der Hauptsache mit der Untersuchung und Auswertung gesicherter Spuren. In manchen Fällen treten die Angehörigen der KTU in späteren Gerichtsverfahren sogar als Gutachter auf.
Im "Tatort" werden gefundene Waffen oder andere Beweisstücke immer mit spitzen Handschuhfingern angefasst und dann vorsichtig in Plastiktüten gesteckt. Macht man das wirklich so?
Gegenstände aus einem Tatort sind entweder selber eine Spur, oder sie sind Spurenverursacher oder Spurenträger für sichtbare oder latente Spuren verschiedenster Art. Bei der Handhabung dieser Spuren kann man deshalb nicht vorsichtig genug sein, mitunter ist neben der Schutzbekleidung sogar das Tragen eines Mundschutzes sehr sinnvoll. Allein das Sprechen am Tatort kann Spuren erzeugen. Spurenschutz hat daher immer oberste Priorität, weil sonst Spuren verändert, entfernt oder nicht tatrelevante Spuren hinzugefügt werden können. Das Verpacken von Spuren in Klarsichtplastiktüten ist oft zu sehen. Ich persönlich würde andere Sicherungsbehältnisse bevorzugen.
Wieso denn das?
Für alle serologischen Spuren und alle Spuren, die nass oder feucht sind, wird die Verpackung in einem luftdichten Behältnis schnell zum Problem, weil Zersetzungsprozesse zügig beginnen und damit zur Beeinträchtigung einer Spur führen können. Mit verschimmelten Spuren stößt auch das beste Labor schnell an seine Grenzen. Somit sind Spurenschutz und richtige Verpackung wichtige Elemente bei der Spurensuche. Ich als Verteidiger würde nicht zögern, die ultimative Frage zu stellen, ob bei der Methode der Spurensicherung Fremdkontamination und/oder Spurenveränderungen ausgeschlossen werden können. Nicht zuletzt deshalb bedeutet moderne Spurensicherung Präzisionsarbeit und die Darstellung, dass die Polizei auf diesem Tätigkeitsfeld mit "spitzen Fingern" arbeitet, ist an und für sich sehr begrüßenswert.
- "Tatort" vom 14. Oktober