"Kaltstart" Falke mit Herz: Kommissar zeigt im Hamburger "Tatort" eine neue Seite
Ein futuristisch beleuchteter Großhafen bei Nacht, schleichende Polizisten, ein umstellter Schuppen. Dann plötzlich: Ein greller Blitz und eine ohrenbetäubende Explosion. Der Hamburger "Tatort" begann mit einem furiosen Auftakt, der den Zuschauer nach dem Motto einstimmte: "Heute geht es zur Sache!" Leider konnte dieses Versprechen zumindest in der ersten Hälfte des Krimis spannungstechnisch nicht gehalten werden. Wer aber durchhielt, erlebte Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) von einer ganz neuen Seite.
Als Wotan Wilke Möhring 2012 zum neuen Kommissar des Hamburger "Tatort" berufen wurde, sagte er in einer ersten Stellungnahme im NDR-Hörfunk: "Wie geht man mit solchen Situationen um, wie begegnet man solchen Elementen in unserer Gesellschaft? Das finde ich viel wichtiger als das Privatgedöns der Kommissare". Punkt. In der "Tatort"-Episode "Kaltstart", die Möhring als Kommissar Thorsten Falke in den Containerhafen von Wilhelmshaven verschlug, brach der Schauspieler mit dieser von ihm selbst gestellten Vorgabe zum Rollenprofil seines Kommissars. "Privatgedöns" durfte sein. Und das war gut.
Zu viele Baustellen
Aber der Reihe nach: Ein Knall zu Beginn - und dann Stille. Gasexplosion im Containerhafen von Wilhelmshaven. Schweigsame Hafenarbeiter, von Menschenhändlern verschleppte Afrikaner, ein offensichtlich geistesgestörter Spediteur und traumatisierte Kollegen machten den Kommissaren Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) und Falke das Ermitteln schwer. Hier wurden zu viele Fäden gesponnen, die in ihrer Überzahl ein sauberes Entwirren des Knäuels unmöglich machten.
Dienststellenleiter bei der Bundespolizei
Im Wirrwarr dieser ersten Minuten ging dabei eine wesentliche Neuerung beinahe unter: Thorsten Falke war nämlich als neuer Dienststellenleiter der Hamburger Bundespolizei (BPol) nach Wilhelmshaven gereist, Katharina Lorenz begleitete ihn. Man kehrte dem LKA Hamburg also zunächst den Rücken. Ein einmaliger Ausflug? Das blieb unklar. "Die sind aber ganz okay da", so Falke zu Lorenz, der schon einmal gemeinsam mit den Kollegen ermittelt hatte.
Wie gut Falke das Team der BPol bereits kannte, wurde im Laufe der Geschichte klar: Die bei der Explosion ums Leben gekommene Polizistin Rita Kovic war eine Zeitlang Falkes Geliebte. Ihr tragischer Tod erwischte ihn eiskalt.
Zähe erste Hälfte
Man bemühte sich nach Kräften, in der mobilen Einsatzzentrale erste Ermittlungsergebnisse vorzuweisen. Doch die Geschehnisse, die Regisseur Marvin Kren nach dem Drehbuch von Volker Krappen und Raimund Maessen in Szene setzte, zogen sich wie Sirup und stellten die Geduld aller Beteiligten auf eine harte Probe. Vor der Kamera wie vor den Fernsehgeräten. Die Ermittler schwammen. Die Rechercheergebnisse waren dünn. Der Schock über den Tod der Kollegen saß tief, Falke als neuer Chef eckte an, er selbst war von der Wucht seiner Trauer überrascht.
Schlecht gelaunt und genervt schien er neben der Spurensuche auch auf der Suche nach seiner Position zu sein. Chef, Teamplayer, Ex-Lover? Auch die Zuhilfenahme von Falkes Best Buddy Jan Katz (Sebastian Schipper), der inzwischen bei der Oldenburger Kripo arbeitet, brachte wenig Erhellendes.
Starke Solo-Szenen von Möhring
Starke Szenen hatte der "Tatort" in den wenigen Momenten, in denen Wotan Wilke Möhring ganz allein vor der Kamera agierte. Sichtlich schockiert versuchte er immer wieder, seine Trauer über Ritas Tod in den Griff zu bekommen.
Er suchte in ihrem Hotelzimmer nach Spuren, fand Fotos aus der glücklichen Zeit ihrer Beziehung, hörte sich alte Songs an und erinnerte sich wehmütig. Doch immer dann, wenn er seine Trauer endlich zulassen wollte, wurde er gestört. Ein Anruf, ein Hinweis, vorbeilaufende Kollegen.
Auf die Frage von Katz "Aber ihr wart doch gar nicht zusammen, oder?" antwortete Falke resigniert: "Mit Rita war alles so unkompliziert, wir hatten Spaß. Hätte sie doch nur gesagt, dass sie mehr gewollt hat!" Für einen kurzen Moment brach Möhring hier mit der Vorgabe, seinen "Tatort"-Kommissar frei von jedem "privaten Gedöns" zu spielen. Und dieser Bruch war erfrischend. Der coole Hund zeigte Herz.
Der unheimliche Mister X
In der zweiten Hälfte kriegte der Krimi dann auch spannungstechnisch die Kurve. Hightech vom Feinsten kam gegen die Polizei zum Einsatz: Abhörgeräte, beobachtende Kameras, die wie riesige Wespen um die Zielpersonen herumzuschwirren schienen und sich als schusstaugliche Drohnen offenbarten, ließen die Dimension der Verbrechen erahnen. Der Zuschauer wusste mehr als die Polizisten im Film. Diese ahnten aber, dass sie beobachtet wurden. Dass ihnen Mister X immer einen Schritt voraus war. "Die wissen immer, wo wir hin wollen." Warum die Beamten die in der Luft umherschwirrende Drohne nie sahen, wird hier einfach mal als "filmtechnischer Kniff" verbucht.
Waffenschiebereien, krumme Geschäfte und das ganz große Geld waren die eigentlichen Verbrechen, die im Wilhelmshavener Becken abgewickelt wurden. Menschenhandel und Gasexplosion dienten lediglich als Ablenkungsmanöver. Mister X wollte unsichtbar bleiben und machte daher auch mit dem eigenen Hilfsscheriff Hermann Jertz (André M. Hennicke) kurzen Prozess.
Die Großen lässt man laufen
Fazit: Die Redewendung "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen" galt für das Ende dieses "Tatorts". Mister X blieb unsichtbar, war aber ein so großes Tier, dass alle Untergebenen bei Kontaktaufnahme deutlich ins Schlottern gerieten - oder gleich um die Ecke gebracht wurden. Der, der über Leichen ging, wurde nicht gefasst. Das Ende blieb offen. Das mochte unbefriedigend für manchen Krimifan sein, war dafür aber realistisch. Und den "privaten Falke" wollen wir ruhig häufiger sehen.