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Wirbel um "Berlin Tag & Nacht": "Das war ein Schock, ich war fassungslos"


Wirbel um TV-Produktion
"Das war ein Schock, ich war fassungslos"


Aktualisiert am 07.10.2024 - 16:56 UhrLesedauer: 7 Min.
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Filmpool: Die Produktionsfirma ist für das Format "Berlin Tag & Nacht" verantwortlich, welches bei RTLzwei ausgestrahlt wird.Vergrößern des Bildes
Filmpool: Die Produktionsfirma ist für das Format "Berlin – Tag & Nacht" verantwortlich, welches bei RTLzwei ausgestrahlt wird. (Quelle: Getty Images/Михаил Руденко)

Eine "Atmosphäre der Angst", schlechte Arbeitsbedingungen, Mobbing: Die Vorwürfe, die Mitarbeiter gegen die Produktionsfirma Filmpool erheben, wiegen schwer. Es soll sogar einen Fall von Missbrauch gegeben haben.

Sie ist eine der großen deutschen TV-Produktionsfirmen, hat Sendungen wie "Barbara Salesch", "Goodbye Deutschland" und "Auf Streife" herausgebracht. Filmpool Entertainment rühmt sich, Geschichten zu erzählen, wie es keiner tut: "authentisch, anders, packend". Doch ausgerechnet im 50. Jahr des Bestehens werden schwerwiegende Vorwürfe gegen die Firma laut: Mitarbeiter klagen über eine "Atmosphäre der Angst", schlechte Arbeitsbedingungen, Mobbing, sogar Machtmissbrauch soll es gegeben haben. Ein Format steht dabei im Fokus: "Berlin – Tag & Nacht".

Die Daily-Soap startet am 12. September 2011. Als die erste Folge "Berlin – Tag & Nacht" über die Bildschirme flimmert, läuft sie zunächst unter dem Radar. Doch schnell macht die Serie mit ihren schrillen Figuren und ihrer besonderen Art der Improvisation Schlagzeilen. Das Konzept, mit Laiendarstellern den Alltag der Hauptstadt zu erzählen, gilt als aufsehenerregend.

Junge Zuschauer goutieren das: Vor allem in den Jahren 2012 und 2013 werden bei den 14- bis 49-Jährigen starke Marktwerte von bis zu 16 Prozent erzielt. Namen wie Joe, Krätze oder "Ole ohne Kohle" erlangen Bekanntheit. Auch wenn das Feuilleton das Format wahlweise als "unterirdisch" oder "geschmacklos" abstempelt: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Billige Produktionen in Kombination mit guten Reichweiten zahlen sich in diesen Jahren aus, vor allem Privatsender füllen damit gerne ihr Programm-Portfolio.

RTLzwei hält an "Berlin – Tag & Nacht" fest

Irgendwann folgt der Bruch. "Berlin – Tag & Nacht", so der Eindruck heute, ist ein Format von gestern. Eine Erzählform, die von neuen TikTok-Videos oder besser inszenierten YouTube-Formaten abgelöst wird. Ein Auslaufmodell.

Inzwischen wurden weit über 3.200 Folgen der Impro-Soap ausgestrahlt. Doch das Ablegerformat "Köln 50667" wird nur noch beim Streamingdienst RTL+ angeboten. Es "entsprach im linearen TV nicht mehr den Erwartungen", sagt RTLzwei auf Anfrage von t-online. Wie lange die Macher noch mit der Muttersendung "Berlin – Tag & Nacht" planen, sagt der Sender nicht. Auf Anfrage heißt es, das Format erfreue sich "seit über 13 Jahren [...] großer Beliebtheit, sowohl im linearen TV, im Streaming bei RTL+ als auch auf unseren Social-Media-Kanälen".

Anzeige wegen sexueller Belästigung und Nötigung

Negative Schilderungen über Arbeitsbedingungen, den Umgang miteinander und sogar sexuelle Belästigung erwecken allerdings den Eindruck, dass "Berlin – Tag & Nacht" mehr als nur Reichweitenprobleme hat. t-online hat mit verschiedenen Beteiligten gesprochen. Die Kritik, die unter anderem auf Jobportalen öffentlich einsehbar ist, scheint sich zu bestätigen: Bei Filmpool Entertainment kommt es immer wieder zu Vorfällen, zu unangemessenem Verhalten.

Ein ehemaliger Angestellter schreibt im April 2024 auf dem Jobportal Kununu von einem "toxischen Arbeitsklima, das mich in die Depression getrieben hat", und fügt an, es herrschten dort "Druck, Mobbing und Angst". Die Person gibt an, bis 2017 "im Bereich Produktion bei Filmpool Entertainment GmbH in Hürth gearbeitet" zu haben. Eine andere Ex-Angestellte spricht von "Wutausbrüchen und Respektlosigkeit". Auch dort fällt der Begriff "Angst".


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Ich habe den Job wirklich gern gemacht und würde ihn auch jederzeit wieder machen, aber nicht mehr bei der Firma.


Martin wernicke


Martin Wernicke, der 13 Jahre lang als Basti eine der Hauptrollen spielte, sagte jüngst im Interview mit t-online, "die Rahmenbedingungen" hätten ihn "unglücklich und teilweise sogar krank" gemacht. "Druck" und "Stress" erwähnt auch er und formuliert mit Blick auf Filmpool: "Ich habe den Job wirklich gern gemacht und würde ihn auch jederzeit wieder machen, aber nicht mehr bei der Firma."

Ein Eindruck, den auch Marius Müller* bestätigt. Von einer "Atmosphäre der Angst" spricht er während eines zweistündigen Gesprächs mit t-online immer wieder. Er heißt eigentlich anders, traut sich aber nicht, mit seinen Klarnamen gegen seinen früheren Arbeitgeber auszusagen. Er wirft einem anderen "Berlin – Tag & Nacht"-Darsteller vor, ihn sexuell belästigt und genötigt zu haben. Bei der Berliner Polizei hat er ihn deshalb angezeigt. Die gibt auf Anfrage dazu keine Auskunft und verweist auf die "Wahrung von Persönlichkeitsrechten". Doch t-online liegt das Aktenzeichen vor.

Der Fall soll sich so zugetragen haben: Ende vergangenen Jahres übernimmt Müller eine vermeintlich auf mehrere Jahre angelegte Rolle bei "Berlin – Tag & Nacht". Er spielt in dem Format einen Mann, der sich in einen anderen verliebt. Dieser soll hier Kevin Schmidt* genannt werden. Schmidt sei ein Mann, der laut Schilderungen von Müller "zum Monster werden kann", der "ausrastet am Set", in "wilden Wutausbrüchen" Beleidigungen ausspricht, ihn während der Dreharbeiten als "Bastard" bezeichnet und am Set dauerhaft eine toxische Stimmung verbreitet.

Marius Müller, so beschreibt er es, will diesen Job unbedingt behalten und bemüht sich um Harmonie. "Ich habe immer wieder versucht, auf die Missstände aufmerksam zu machen", sagt er. Er will das Fehlverhalten des Kollegen aus der Welt räumen und sucht deshalb das Gespräch mit der Produktionsfirma, die Schmidt in die Aufarbeitung einbezieht.

Kevin Schmidt, der langjährige "Berlin – Tag & Nacht"-Star, geht zunächst darauf ein, die beiden treffen sich im Beisein der Produktionsfirma für ein klärendes Gespräch und chatten anschließend miteinander – bis schließlich die Stimmung kippt. Kevin will Sex mit Marius. Er schickt ihm explizite Nachrichten und Pornovideos von Männern, die sexuelle Handlungen aneinander vollziehen. Schmidt habe "Bock", so ist es in den Chats zu lesen und will intime Bilder von Marius Müller. Im Minutentakt folgen Nachrichten, mitten in der Nacht. Erst um 4 Uhr morgens endet das Drängen, das Marius Müller im Gespräch als sexuelle Belästigung beschreibt.

Filmpool verliert sich in Ausflüchte

Er habe das nicht gewollt, sagt er. Chats, die t-online einsehen konnte, belegen, dass er Kevin Schmidts Aufforderungen nicht nachkommt, dass er zurückhaltend bis ablehnend auf die Avancen reagiert. Schmidt fordert ihn auf, niemandem etwas zu verraten. Der Satz "Bleibt ja alles unter uns" fällt. Marius Müller hat Angst um seine Rolle: "Ich stand mit dem Rücken zur Wand. Ich wusste, dass er in der Produktion eine wichtige Rolle spielt, dass er die Macht hat, die Dinge so zu verdrehen, dass die Verantwortlichen ihm Glauben schenken."

Doch er erinnert sich an die zahllosen Gespräche zuvor, an die immer gleichen Ausflüchte der Produktionsfirma Filmpool. Dieses Mal, so denkt er, hat er etwas gegen den "Tyrannen vom Set" in der Hand. Also wendet er sich an die Verantwortlichen, schildert am 22. März dieses Jahres das Geschehene. Zwei "hohe Tiere" aus der Führungsebene von Filmpool seien bei dem Gespräch dabei gewesen, erzählt Müller. Man werde eine passende Lösung finden, sagen sie ihm, sein Job sei keinesfalls gefährdet.

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Etwaige Verstöße gegen unseren Code of Conduct nehmen wir sehr ernst, gehen konsequent dagegen vor und haben das auch in diesem Fall getan.


produktionsfirma filmpool


Vier Tage später muss Marius Müller wieder mit Schmidt drehen. Man habe eine neue Storyline erfunden, damit die beiden nicht in zu engen Kontakt miteinander geraten. Ohne Erfolg. Es kommt zu Drehabbrüchen infolge der Spannungen am Set. Auf Nachfrage von Marius Müller, welche Konsequenzen Kevin Schmidt drohen, heißt es, man habe mit ihm das Gespräch gesucht. Verändert habe sich dadurch nichts, sagt Müller. Nach einem weiteren Gespräch mit Filmpool Ende April wird ihm einen Monat später mitgeteilt, dass er nicht mehr Teil von "Berlin – Tag & Nacht" sei. Seine Rolle sei auserzählt, er werde nicht mehr gebraucht. "Das war ein Schock, ich war fassungslos", sagt Marius Müller.

Hat Filmpool wider besseres Wissen gehandelt und das Fehlverhalten eines Darstellers geduldet? Die Produktionsfirma sagt auf Anfrage: "Etwaige Verstöße gegen unseren Code of Conduct nehmen wir sehr ernst, gehen konsequent dagegen vor und haben das auch in diesem Fall getan."

Doch warum steht Müller nun ohne Job da und der Mann, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird, ist weiterhin bei Filmpool tätig? "Es gab gegenseitige Vorwürfe", gibt Filmpool auf Anfrage von t-online zu und erklärt dann: "Der Austausch hat via WhatsApp außerhalb der Arbeitszeiten im Privaten stattgefunden. Selbstverständlich haben wir dennoch umgehend nach sehr spätem Kenntniserhalt auf diesen Vorfall reagiert, indem wir mit beiden Parteien Mediationsgespräche geführt haben."

Laiendarsteller lassen sich schnell auftreiben

Eine plausible Erklärung für den Rauswurf des einen Darstellers und das gleichzeitige Festhalten an dem anderen wird nicht geliefert. Die Erzählweise bei "Berlin – Tag & Nacht" kommt einer hohen Fluktuation im Cast entgegen: Es werden Alltagsgeschichten präsentiert, nur lose wird auf ein Skript gesetzt. Improvisation und Spontanität sind üblich – und ebenso immer wieder wechselnde Darsteller. Die Darsteller benötigen keine Schauspielausbildung, die meisten sind sogenannte Laiendarsteller und können schnell angeheuert werden.

Fördert das ein Klima, in dem Missgunst und toxisches Verhalten gedeihen können – und was genau unternimmt Filmpool dagegen? Man habe "grundsätzliche Angebote wie Termine bei Therapeuten, Schauspiel-Coaches am Set" und diese seien auch bei dem Konflikt zwischen Müller und Schmidt aktiv geworden. Es gebe außerdem einen "klar definierten und allen bekannten Sicherheitsrahmen für alle Drehszenen", zudem verweist Filmpool auf "verpflichtende Schulungsmaßnahmen für sämtliche Mitarbeiter vor und hinter der Kamera (Diversity-Seminare)".

Bei Kevin Schmidt und Marius Müller, der eine ein langjähriger Star der Serie, der andere ein Neuling, bleibt die Frage: Hat sich hier eine Produktionsfirma einer Person entledigt, die zu unbequem wurde und für die Serie zugleich verzichtbar war? "Filmpool legt großen Wert auf Respekt, Fairness, Toleranz und ein friedvolles Miteinander", sagt das TV-Unternehmen auf Anfrage. Aber was genau heißt das?

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Marius Müller kann infolge der Vorfälle nicht mehr schlafen. Er wird krankgeschrieben, Diagnose: Depression und hierdurch verursachte Panikattacken und Insomnie. Die Ereignisse verfolgen ihn, er fühlt sich elend, versteht die Welt nicht mehr. Immer wieder gehen ihm Sätze durch den Kopf, die auch andere Beteiligte über den beschuldigten Darsteller geäußert haben. "Dem muss das Handwerk gelegt werden", soll ihm ein Mitarbeiter der Produktionsfirma gesagt haben. Doch Kevin Schmidt ist weiterhin bei "Berlin – Tag & Nacht". Seine Taten haben bis heute keine sichtbaren Konsequenzen nach sich gezogen.

Marius Müller geht jetzt gerichtlich gegen die "Berlin – Tag & Nacht"-Firma vor. Filmpool habe ihn unrechtmäßig aus der Storyline gestrichen, nachdem er seine Vorwürfe der sexuellen Belästigung vor den Produzenten angezeigt hatte. Von einer "böswillig herbeigeführten" Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Rede.

Anwalt spricht von Verstoß gegen Maßregelverbot

Für Moritz Lange, den Anwalt des Betroffenen aus der Berliner Medienrechtskanzlei Irle Moser, handelt es sich um einen klaren Verstoß gegen das sogenannte Maßregelverbot, welches dem Arbeitgeber untersagt, Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme ihrer Rechte zu benachteiligen: "Dass hier der Betroffene als Folge seiner Anzeige von Missständen und potenzieller Straftaten nach Ansicht von Filmpool das Feld zu räumen hat, ist offenkundig unzulässig."

Für den Anwalt ist das Verhalten von Filmpool zudem Zeugnis dafür, dass die nunmehr über Jahre geführte Debatte zum allgemeinen Umgang mit Machtmissbrauch – insbesondere in der Medienbranche – zu keinerlei spürbaren Veränderungen geführt hat.

Nun wird die Sache vor Gericht verhandelt. Am 8. Oktober stehen sich die Parteien in Berlin gegenüber. Für Marius geht es um Gerechtigkeit. Für Filmpool geht es darum, den eigenen Ruf zu verteidigen.

*t-online hat sich entschieden, die Namen von Marius Müller und Kevin Schmidt nicht öffentlich zu machen. Sie sind der Redaktion bekannt und auch die Produktionsfirma Filmpool weiß um die Identität der betreffenden Personen. In einer Stellungnahme hat Filmpool die Namen kenntlich gemacht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an Filmpool und RTLzwei
  • Anfrage an die Polizei Berlin
  • Gespräche mit Darstellern von "Berlin – Tag & Nacht"
  • Einsicht von Chatverläufen
  • kununu.com: "Filmpool"
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