Neuauflage von "Die Passion" Dem RTL-Publikum bleibt auch nichts erspart
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Jesus als Popstar, Jünger auf dem E-Scooter, Pizzabrot für das letzte Abendmahl. Klingt nicht nach der Passionsgeschichte? Für RTL schon.
Bereits vor zwei Jahren versuchte sich RTL an einer modernen Erzählung des Leidensweges von Jesus Christus. Live aus der Essener Innenstadt wurde "Die Passion" als Musical-Variante mit deutschen Popsongs präsentiert. Wer schon damals dachte, das kann nicht gut gehen, sollte Recht behalten. Die Kritiken waren verheerend: Zu dilettantisch und trashig, lautete das Urteil. Grund genug, das Format stillschweigend zu begraben – könnte man meinen.
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Doch die Quote stimmte. Mit fast drei Millionen Zuschauern entpuppte sich die Sendung als Erfolg. Für die Verantwortlichen des Kölner Senders stand früh fest: Eine Fortsetzung sollte folgen. Am Mittwochabend war es nun so weit.
Pizzabrot für das letzte Abendmahl
Wer gehofft hatte, RTL hätte zumindest ein bisschen aus der Kritik gelernt, sollte bitter enttäuscht werden. Der Sender beging mit dem Live-Event, das dieses Mal in der Innenstadt von Kassel stattfand, die gleichen Fehler wie schon vor zwei Jahren: Die Darstellung war zu grotesk, die Musik passte nicht zum Thema und wesentliche Inhalte der Passionsgeschichte kamen zu kurz. Oberstes Ziel war offenbar auch in diesem Jahr: Hauptsache, die Quote stimmt.
Ohne Frage, die Idee hinter dem RTL-Event "Die Passion" ist aller Ehren wert: Mit einer modernen Inszenierung wollte der Sender die biblische Geschichte einem breiten Publikum näherbringen. Doch wie schon 2022 kam auch diesmal die Show viel zu überspitzt daher. Alles musste krampfhaft zeitgemäß sein. So fuhren die Jünger, die unter anderem von Joey Heindle, Stefanie Hertel und Mola Adebisi gespielt wurden, mit dem E-Scooter zum Pessachfest. Ben Blümel holte als Jesus das Brot für das letzte Abendmahl aus einer örtlichen Pizzeria. Petrus, von Timur Ülker gespielt, war gerade im Dönerladen, als er von Jesus’ Verhaftung erfuhr.
Die Darsteller spielten mit derart übertriebener Mimik und Gestik, dass die Sendung wie eine Parodie wirkte – die Ernsthaftigkeit der Ostergeschichte geriet dadurch völlig in Vergessenheit. Bereits die Vorstellung der Hauptfiguren zu Beginn der Sendung erinnerte an den Vorspann von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Ganz langsam drehten sich die Schauspieler mit ernster Miene in Richtung Kamera, auf dem Bildschirm erschien ihr Name. Der durchweg fassungslose Blick von Jimi Blue Ochsenknecht ließ vermuten, dass er erst während der Livesendung realisierte, dass er gerade Teil eines wahren Fernsehfiaskos wurde. Bei seinem Duett mit Ben Blümel zu Falcos "Out of the Dark" rannen sogar Tränen über sein Gesicht. War das wirklich Ergriffenheit oder doch Verzweiflung?
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Von den Toten Hosen bis Helene Fischer war alles dabei
Auch bei der Musikauswahl griffen die Macher der Show erneut daneben. Die Jünger sangen "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen, Jesus und Petrus "Übermorgen" von Mark Forster und Judas-Darsteller Jimi Blue Ochsenknecht "Nie genug" von Christina Stürmer – schiefe Töne und überzogenes Pathos inklusive. War das noch "Die Passion" oder schon die Mottoshow von "Deutschland sucht den Superstar"?
Nur einen Lichtblick gab es: No-Angels-Star Nadja Benaissa spielte ihre Rolle als Maria überzeugend. Dass sie singen kann, bewies sie mit ihrer Interpretation des Helene-Fischer-Hits "Phänomen" oder des Udo-Jürgen-Klassikers "Liebe ohne Leiden" – und zwar ganz nebenbei, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.
Geht Jesus' Leidensweg in Serie?
In den zwei Stunden und 15 Minuten Sendezeit keimte immer wieder ein Verdacht auf: Steckt hinter der Fremdscham-Offensive vielleicht sogar Kalkül? Denn absurder Darstellung, schauspielerischer Peinlichkeiten und musikalischer Fehltritte zum Trotz übte die Sendung eine trashige Faszination aus. Wegschauen, gar abschalten? Undenkbar!
Zumindest die opulente Inszenierung konnte sich sehen lassen. Licht, Kamera, Ausstattung – diese Produktion dürfte teuer gewesen sein. Und dann war da auch noch die clevere Besetzung, die bereits im Vorfeld Schlagzeilen brachte. Dass ausgerechnet Jimi Blue Ochsenknecht nach den öffentlichen Auseinandersetzungen mit seinem prominenten Familienclan als Judas besetzt wurde, kann als gelungener Schachzug gewertet werden. Die Neugierde auf die Neuauflage wurde so geschürt.
Beim Kölner Sender dürfte die Hoffnung auf einen erneuten Quotenerfolg entsprechend hoch gewesen sein. Es bleibt jedoch die Frage, wie oft sich das noch wiederholen lässt. In den vergangenen Jahren erlebte RTL immer wieder, dass ein einst funktionierendes Format keineswegs ein Selbstläufer ist. "Das Supertalent" oder "Der Bachelor" sind die besten Beispiele: Statt der x-ten Staffel sehnen sich die Zuschauer nach innovativen Programmideen.
Bleibt also nur der fromme Wunsch, dass "Die Passion" nicht zur Ostertradition wird. Und dass in Köln niemand auf die Idee kommt, auch noch die Weihnachtsgeschichte modern zu inszenieren. Um es mit Francis Fulton-Smith als Pontius Pilatus zu sagen: "Wer möchte hier und jetzt einen Unschuldigen gefoltert sehen?"
- RTL: "Die Passion" vom 27. März 2024
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