Wovor haben Sie Angst, Katja Eichinger? ”Da geht sofort das Kopfkino los"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Katja Eichinger kam schon früh mit dem Tod in Berührung, als sie ihren Mann Bernd Eichinger 2011 verlor. Jetzt spricht sie darüber, wovor sie sich fürchtet.
Es herrscht Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, der Klimawandel sitzt uns im Nacken und im Internet lesen wir Nachrichten voller Hass, Häme und Diskriminierung. Das alles schürt Angst. Prominente Persönlichkeiten beantworten in der Serie "Wovor haben Sie Angst, …?" die Frage nach dem furchtbarsten aller Gefühle, suchen Ursachen und Wege, mit ihm umzugehen.
Katja Eichinger, Autorin und Produzentin
„Ich habe Angst, in offenen Gewässern zu schwimmen. Besonders im Meer, wenn ich nicht sehen kann, was unter mir ist. Da geht sofort das Kopfkino los, was unter mir alles lauern könnte, und nach kurzer Zeit muss ich zurück ans Ufer. Wenn ich nicht allein, sondern mit anderen schwimme, geht es einigermaßen. Oder wenn ich eine Taucherbrille trage und sehen kann, was unter mir ist. Gelegentlich habe ich Höhenangst. Manchmal habe ich sie im Griff, an anderen Tagen wird mir schwindelig, mir schlägt das Herz bis zum Hals und die Knie werden weich. Gerade beim Schwimmen im Meer ärgert mich diese Angst, denn ich liebe die See.
Bis vor ein paar Jahren hatte ich bei öffentlichen Auftritten großes Lampenfieber und war nervös. Als ich einmal bei einer Veranstaltung hinter der Kulisse stand und mit weichen Knien auf meinen Auftritt wartete, fiel mir ein, dass ich die Situation von früher kannte. Ich habe zum ersten Mal mit fünf Jahren mit dem Kinderballett auf der Bühne gestanden. Damals war ich die Kleinste der Kompanie, weshalb ich bei meinem ersten Auftritt ganz vorn stand. Ich kann mich noch gut an das helle, weiße Scheinwerferlicht erinnern, das Knarzen der Bühnenbretter, den staubigen Geruch und die schwarze, wabernde Masse des Publikums vor mir. Das war aufregend und ich habe einfach getanzt. Ohne Angst. Es ging darum, mein Bestes zu geben und Spaß zu haben. An dieses Gefühl erinnere ich mich heute, wenn ich auf die Bühne oder vor die Kamera muss. Damit kann ich mich beruhigen.
Zur Person
Katja Eichinger, geboren 1971 in Volksmarsen, ist Autorin, Journalistin und Produzentin. Sie schrieb unter anderem für die "Financial Times", die "Vogue" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Von 2006 bis 2011 war sie mit dem Filmproduzenten Bernd Eichinger verheiratet, dessen Biografie sie nach seinem Tod veröffentlichte.
2023 schrieb sie das Drehbuch zur ARD-Serie "Asbest" und 2024 erschien ihr neues Buch über Luxus und Glamour an der Côte d'Azur im Aufbau Verlag mit dem Titel "Das große Blau".
Angst kann schrecklich lähmend sein. Es ist das Kopfkino all der Eventualitäten, die passieren könnten. Ich kann Leute verstehen, die sich so sehr in ihre Gedanken hineinsteigern, dass sie das Haus nicht mehr verlassen können. Wer keine Angst hat, hat auch keine Fantasie. Wenn ich mich nicht von ihr kleinmachen lasse, kann sie mich aber auch anspornen, über mich selbst hinauszuwachsen und Dinge zu tun, zu denen ich mich nicht fähig geglaubt hatte. Die Angst zu spüren, und es trotzdem zu tun, an diese Devise versuche ich mich immer wieder zu erinnern. Im Gedicht "Doktrin" von Heinrich Heine heißt es: "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht." Damit mache ich mir manchmal Mut, wenn die paranoiden Fantasien drohen, überhandzunehmen. Einfach los, raus, ausprobieren, machen.
Bei allen Sorgen darüber, was alles Negatives passieren könnte, darf man nicht vergessen, dass immer auch sehr viel Gutes geschehen kann. Mit dem Älterwerden verändert sich mein Verhältnis zur Angst. Einerseits ist mir vieles egaler als früher, etwa die Meinungen von Menschen, die ich nicht kenne. Andererseits häufen sich mit dem Alter Negativerfahrungen. Ich bin verletzlicher und neue Ängste können sich aufbauen. Ich versuche, da bewusst gegenzusteuern, weil Ängste mich einschränken und einengen können. Ich will frei sein. Wenn ich sterbe, will ich alles Leben, was ich in mir hatte, losgeworden sein. Darum geht es doch.
"Ich will frei sein"
Leider füttern die sozialen Medien die Angst. Sie funktionieren über Angst. Angst, Aufregung, Verschwörungen, Drama, Empörung – das ist das Geschäftsmodell der sozialen Medien. Mit dem Resultat, dass sich ein neuer Faschismus wie ein Flächenbrand in der Welt verbreitet. Rechtspopulisten krakeelen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme heraus, sie bedienen Ängste. Demokratie bedeutet, Vertrauen in die Gemeinschaft zu haben, Vertrauen in die Wissenschaft, in die Justiz. Demokratie ist immer ein Wagnis, aber dieses Wagnis ist alternativlos und zwingend. Wir brauchen eine Politik, die uns die Zuversicht vermittelt, jeden Tag aufs Neue dieses Wagnis einzugehen.
Dass ich es immer wieder geschafft habe, meine Ängste zu überwinden, habe ich sicherlich auch meinen Eltern zu verdanken. Ich hatte schon früh viel Eigenverantwortung. Mit acht Jahren bin ich zum ersten Mal allein im Zug zu meiner Tante nach Bremen gereist, mit einem Schild um den Hals mit der Telefonnummer meiner Eltern.
Natürlich gab es auch Schreckensmomente. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, sollte ich meine Mutter nach dem Ballett von einer Telefonzelle aus anrufen, dass sie mich abholt. Dafür gab sie mir 20 Pfennig. Ich sollte ihr Bescheid geben, dass ich mich in die Straßenbahn setze und sie mich dann an der Station abholen würde. Eigentlich kein Problem. Ich wusste aber nicht, dass man zuerst den Hörer abnehmen muss, bevor man das Geld einwirft. Immer wieder fiel das Geld durch. Ich habe es nicht hinbekommen, sie anzurufen und habe fürchterlich geweint. Eine Frau sah mich und zeigte mir, wie ich das Telefon benutzen konnte. Klar, das war im ersten Moment unangenehm, aber ich habe dabei gelernt, dass Menschen mir helfen.
Dem Bösen nicht zu viel Platz einräumen
Vor kurzem habe ich mit meinem Vater darüber geredet. Das Erziehungskonzept meiner Eltern ist heute, im Zeitalter der "Helikopter-Eltern", kaum mehr vorstellbar. Die Kinder meiner Freundinnen sind alle sehr behütet und fast nie unbeaufsichtigt. Meine Freundinnen haben immer Angst vor dem Schlimmsten. Ich kann sie auch verstehen, vielleicht wäre ich genauso, wenn ich Kinder hätte. Aber mein Vater sagte mir in dem Gespräch: "Du warst unser Kind, wir haben dir vertraut, dass du die Dinge irgendwie hinkriegst und keine Dummheiten machst. Eine Beziehung kann nur funktionieren, wenn man sich vertraut." Meine Eltern haben mir ein Grundvertrauen in die Welt mitgegeben: Das Leben ist bei aller Grauenhaftigkeit auch sehr schön. Es ist wichtig, dass im Kopfkino nicht nur Horrorfilme spielen.“
- Interview mit Katja Eichinger