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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Döpfners Werk und Reichelts Beitrag Warum dieses Buch für Springer heikel werden könnte
Stuckrad-Barres neuestes Werk "Noch wach?" dreht sich um Machtmissbrauch in der Medienbranche. Viele vermuten ein Schlüsselwerk über den Springer-Verlag.
Um "Noch wach?" von Autor Benjamin von Stuckrad-Barre macht der Verlag Kiepenheuer und Witsch ein großes Geheimnis. Journalistinnen und Journalisten bekommen den Roman nicht vorab, wie es sonst – versehen mit einer Sperrfrist – üblich ist. Am Mittwochvormittag, den 19. April 2023, gibt es das Buch als PDF-Datei, erst danach können detaillierte Berichte folgen.
Nur so viel ist bekannt: Der neue Roman von Stuckrad-Barre soll unter anderem in der Medienbranche spielen und die #MeToo-Debatte behandeln. Er erzähle "von Machtstrukturen und Machtmissbrauch, Mut und menschlichen Abgründen". Es gehe etwa um eine junge Frau in Berlin und ihren neuen Job bei einem großen Fernsehsender. Ein weiterer Schauplatz: Los Angeles. "Noch wach?" sei ein Sittengemälde unserer Zeit – und "kompromisslos erzählt", so Kiepenheuer und Witsch in der Romanankündigung.
Warum der Roman dem Springer-Verlag gefährlich werden könnte
Als die "New York Times" im Herbst 2021 eine Recherche über den ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt und dessen Art des Machtmissbrauchs veröffentlichte, tauchte in dem Bericht auch der Name Benjamin von Stuckrad-Barre auf. Dieser hatte sich in privaten Kurznachrichten mit Springer-Chef Mathias Döpfner über Reichelt unterhalten. Darin, so zitiert es der Bericht, bezeichnete Döpfner seinen Chefredakteur als "letzten und einzigen Journalisten in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat" aufbegehre. Fast alle anderen seien zu "Propaganda Assistenten" geworden. Wie Springer später auf Anfrage mitteilen ließ, seien dies ironische Äußerungen Döpfners gewesen.
Döpfner und Stuckrad-Barre waren laut "Medieninsider" eng befreundet. So eng, dass der Autor der Taufpate von einem Kind des Springer-Chefs ist. Zum 100. Geburtstag von Axel Springer schrieb Stuckrad-Barre an einem Theaterstück mit, mit dem Döpfner Friede Springer beschenkte. Doch eines belastete das Verhältnis der beiden Männer offenbar, sorgte für einen Bruch: Stuckrad-Barres Kritik an Reichelt. Das "Manager Magazin" schrieb im März über "Noch wach?" sogar: "Es heißt, der Autor werde eine Figur des Romans nach dem Vorbild Döpfners gestalten."
Der Romantitel "Noch wach?" könnte dabei als Zitat verstanden werden. Wie der "Spiegel" im Oktober 2021 berichtete, habe Julian Reichelt ebendiese Frage einer jungen Journalistin getextet. Zumeist habe er ihr nachts geschrieben. Axel Springer SE beendete am 18. Oktober 2021 die Zusammenarbeit mit Reichelt. Zuvor hatte es ein Compliance-Verfahren gegen den Ex-"Bild"-Chefredakteur gegeben.
Promifreund und selbst Promi
Benjamin von Stuckrad-Barre ist 48 Jahre alt. Autor, Journalist, Moderator. Er ist mit Promis befreundet und selbst Promi. Zu seinem Freundeskreis zählt Schauspieler Christian Ulmen, der dem "Playboy" 2013 sagte, die beiden seien "wie Kissinger und Schmidt, ums mal bescheiden zu halten". Mit "Tatort"-Kommissarin Jasna Fritzi Bauer hatte er 2019 kurzzeitig einen Podcast: "Ja Ja, Nee Nee" – wohl eine Anspielung auf das fast gleichnamige Werk des Aktionskünstlers Joseph Beuys von 1969.
Auf Instagram posiert Stuckrad-Barre mit Musiker Clueso, Schauspielerin Emilia Schüle – um nur einige zu nennen. 2012 sagte er dem Magazin "Grazia" noch über das Thema Facebook: "Ich bin sowieso permanent überfordert von den Zumutungen der Gegenwart, für mich ist das nichts." Heute scheint er klarzukommen mit den sozialen Netzwerken, nutzt Instagram, um "Noch wach?" zu promoten. Die prominenten Freundinnen und Freunde helfen mit. Lena Meyer-Landrut, Kurt Krömer, Klaas Heufer-Umlauf, Oliver Masucci und andere sprechen in zig Videos die Kapitelnamen des Buches in die Kamera, sonst nichts.
Der Autor ist Vater eines 2012 geborenen Sohnes, John, den er gemeinsam mit der Journalistin Inga Grömminger hat. Stuckrad-Barre und Grömminger, "B.Z. am SONNTAG"-Chefredakteurin, haben 2012 – nur in Anwesenheit zweier Freunde – in Florenz geheiratet. Inzwischen sind sie geschieden, wie er im gemeinsamen Podcast mit Bauer erzählte. In dem Podcast verriet Stuckrad-Barre Ende 2019, dass er neu verliebt sei.
"Noch wach?" erscheint genau 25 Jahre nach Stuckrad-Barres Debütroman "Soloalbum", der 2003 mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle verfilmt wurde. Schon damit hatte er 1998 für Aufsehen geregt. Stuckrad-Barre verfasste weitere Werke, war Autor für Harald Schmidt, bekam eine Sendung bei MTV, schließlich "Stuckrad Late Night" bei ZDFneo und ein Talk auf Tele5, für den er 2013 für einen Grimme-Preis nominiert war. Im selben Jahr gewann er gemeinsam mit Hajo Schumacher den Deutschen Reporterpreis. 2014 lief im RBB "Stuckrads Homestory", in der er Prominente zu Hause besuchte.
Er schrieb für die "taz", "Frankfurter Allgemeine", "Spiegel", "Stern". Ab 2008 bis 2018 war er dann nur noch für Springer-Zeitungen tätig, vor allem für "B.Z.", "Die Welt" und "Welt am Sonntag".
"Ich bin ein Schlachtenbummler"
Als Kurt Krömer im November 2021 in "Chez Krömer" von Stuckrad-Barre wissen wollte, warum er zu Springer wechselte, antwortete dieser: "Aus Image-Gründen. Ich bin ein Schlachtenbummler. Ich gucke mir gern alles von innen an." Das habe er auch aus Gründen des "Meinungsbildungsprozesses" gemacht, so Stuckrad-Barre.
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In Berichten über Benjamin von Stuckrad-Barre, in Rezensionen seiner Werke wird er gern als Enfant terrible, als Ausnahmetalent oder auch mal als selbstverliebter Autor bezeichnet. Die dpa bezeichnete seinen Roman "Panikherz" 2016 als "öffentliche Selbstfiletierung".
"Seitdem lebe ich vollkommen abstinent"
2004 machte er öffentlich, dass er kokainsüchtig und depressiv gewesen sei und Magersucht sowie Bulimie gehabt habe – ein Resultat des Drucks, unter dem er gestanden habe, sagte er damals in der Fernsehsendung "Beckmann". "Es gab eine Suchttendenz in allen Lebensbereichen", erzählte Stuckrad-Barre. "Ich konnte nicht allein sein. Hatte Angst davor, dass es um mich ruhig wird."
Dem "Spiegel" sagte er, dass er es Udo Lindenberg zu verdanken habe, dass er inzwischen clean sei. Lindenberg habe ihm "den Arzt empfohlen, der auch ihm geholfen hat, mit dem Trinken aufzuhören". "Dann haben Udo und dieser Arzt mich dazu gebracht, in eine Klinik in einem Hamburger Vorort zu gehen. Seitdem lebe ich vollkommen abstinent. Und fühle mich stark genug, das durchzuhalten." Diese Phase seines Lebens arbeitet Stuckrad-Barre in "Panikherz", erschienen 2016, in biografischem Erzählstil auf.
"Ich kann nicht Fiction schreiben", sagte er damals dem "Spiegel". Daher habe er früh angefangen, zu berichten, was mit ihm ist. Schon den namenlosen Ich-Erzähler seines Debüts "Soloalbum" stellten sich viele mit Stuckrad-Barre-Gesicht vor.
Nun also wartet insbesondere die Medienbranche gespannt auf "Noch wach?". Der Roman erscheint wenige Tage nach einem "Zeit"-Bericht über weitere Springer-interne Nachrichten, verfasst von Mathias Döpfner, die zeigen, wie der Verlagsmanager denkt. Unter anderem sorgten Einflussnahmen in Richtung der "Bild"-Spitze für Schlagzeilen, die FDP müsse im Blatt gefördert werden, auch abwertende Formulierungen über "Ossis" führten dazu, dass Döpfner sich öffentlich entschuldigte.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- medieninsider.com: "'Jetzt mal auf die harte Tour': Stuckrad-Barres besondere Rolle im Compliance-Verfahren um Bild-Chef Julian Reichelt"
- kress.de: "Stuckrad-Barre schreibt exklusiv für Springer-Blätter."
- kress.de: "Grimme-Preis-Sieger 2013: "Switch" und "Tatortreiniger" statt "Dschungelcamp""
- youtube.com: Chez Krömer - Zu Gast: Benjamin von Stuckrad-Barre (S05/E01)
- manager-magazin.de: "Der große Plan des sprunghaften Mathias Döpfner" (kostenpflichtig)
- instagram.com: Profil von benjamin_von_stuckrad_barre
- kiwi-verlag.de: Noch wach?
- zeit.de: "Mathias Döpfner: 'Aber das ist dennoch die einzige Chance, um den endgültigen Niedergang des Landes zu vermeiden'" (kostenpflichtig)
- spiegel.de: "Warum Julian Reichelt gehen musste"