Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Schon gehört? Der Soundtrack der Woche (25. September 2020)
In der Flut von neuen Alben und Neuauflagen alter Klassiker kann man schon mal den Überblick über die Musiklandschaft verlieren. t-online hat dafür offene Ohren und gibt Ihnen Lauschtipps.
Bei Spotify, Apple Music und Co. wird man mit Neuerscheinungen schier überfordert. Playlists aktualisieren sich ständig, nicht alles darin gefällt und überhaupt ist das Album doch das viel schönere Format. Wenn Sie mal wieder richtig Lust auf neue Sounds haben, Ihnen aber die Zeit fehlt, sich durch die Veröffentlichungen der Woche zu hören, stimmt t-online Sie mit der wöchentlichen Rubrik "Schon gehört" (jeden Freitag) ein. Hier gibt es die besten, wichtigsten und skurrilsten Alben für die nächsten sieben Tage.
Lou Reed – New York
In dieser Woche rücken die alten Glam Rocker in den Fokus. Lou Reed, der durch The Velvet Underground bekannt wurde, ist leider schon ein paar Jahre tot. Eines seiner stärksten Soloalben, "New York" von 1989, wird nun endlich wieder auf den Markt gebracht. Und das mit vielen spannenden Extras.
Weil diese Platte so bockstark ist, hat mir das bloße Abspielen bei Apple Music nicht gereicht. Nein, da musste Vinyl her. Neuauflagen gab es zumindest auf LP nicht, also steht jetzt im heimischen Regal ein Original von damals. Es ist vielleicht kein Ohrwurm der Marke "Satellite of Love" (mit eindrucksvollen Backgroundgesängen von David Bowie) oder "Perfect Day" auf diesem Album zu hören. Dafür ist das durchgängige Niveau der Nummern ganz oben im Reedschen Kanon anzusiedeln.
Neben einem aufgepeppten Sound gibt es noch viel Bonuskram auf die Ohren und für die Augen. So liegt auch eine anderthalbstündige Live-DVD bei: Frisurentechnisch ist Reed hier zwar nicht so cool unterwegs wie in den 70ern. (Vokuhila in Ehren, aber wieso trägt man die Haare oben kurz und bindet das hintere Haar zum Zopf?!) Die Performances sind durch den gelassenen Lou Reed dennoch eindrucksvoll. Reed erzählt ein bisschen, wirkt aber nie so sympathisch wie andere Rock-Ikonen. Aber das machte ihn wohl auch aus. Eine zusätzliche CD liefert eine Live-Version des kompletten Albums und eine zweite sogar noch viele Demos, Rough Mixes oder Single-Versionen.
Und vielleicht wird jetzt "New York" endlich ähnlich positiv aufgenommen, wie "Transformer" und "Berlin". Der Ruf von "The Blue Mask" könnte übrigens auch besser sein!
Kontra K – Vollmond
Der Berliner Kontra K zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten Rappern des Landes. Der große Tierfreund veröffentlicht mit "Vollmond" nicht nur sein neuntes Album, sondern auch direkt ein Doppelalbum. 20 Songs, über 60 Minuten Spielzeit – und das in Zeiten, wo die Teenies meist einzelne Songs statt einem kompletten Album hören. Wird zumindest immer so gesagt.
Sollte sich der junge geneigte Musikfreund jedoch auf die volle Distanz von "Vollmond" einlassen, wird er ein zum Großteil stimmiges Album hören können. Wenig Proll-Rap, gut wie klug produzierte Beats, die angenehme Stimme von Kontra K und teilweise melodischere Parts, wie die Refrains von "Puste sie weg" oder "Gangster & Gentleman" (bei dem Titel hätten andere Kollegen wohl eine ganz andere Nummer hingelegt). Dass Kontra K lyrisch hier ganz andere Wege geht als viele Kollegen, macht das Album noch besser. Keine Bling-Bling-Texte, kein Sexismus, dafür introspektive Motivations-Hymen. Top!
Die Gästeliste auf "Vollmond" liest sich wie das Who's who des Deutschraps: Samra, Capital Bra, Uf0361 oder auch AK Ausserkontrolle sind nur einige der Features. Und das beweist auch, dass Kontra K big im Game ist. Völlig zu Recht wie "Vollmond" beweist. Besseres wird man im Deutschrap 2020 wohl nicht mehr hören.
Deftones – Ohms
Um die 2000 rum waren die Deftones DAS Ding! "Around the Fur" und "White Pony" (samt der Single/EP "Back to School") waren der Soundtrack, der nachmittags neben Korn, Slipknot, Linkin Park oder System of a Down auf MTV lief. Doch die Deftones waren immer mehr als die übliche Nu-Metal-Band. Schon immer etwas dramatischer und deutlich künstlerischer unterwegs als die Kollegen, mauserten sich Sänger Chino Moreno und Co. zu Fan- und Kritiker-Lieblingen. Mit "Ohms" erscheint endlich das neue Album der Alternative-Metal-Größe.
Mit "Gore" wurde nicht jeder Fan warm. Mir hat die Härte, vertrackte Rhythmik samt Heulbojen-Gesang super gefallen. Mit "Ohms" fabriziert die Band schon wieder ein Album, welches keine bloße Kopie des Vorgängers ist. Die Deftones schaffen es noch immer, frische Ideen zu haben und sich stets ein bisschen weiterzuentwickeln. "Radiant City" und "This Link Is Dead" krachen brutal aus den Boxen. Andere Songs sind melodischer, zeigen Einflüsse wie The Cure, My Bloody Valentine oder Morrissey (zumindest was den Gesang angeht). "Pompeji" etwa. Das tendiert schon eher in die ruhigere Richtung, ist dennoch ein Höhepunkt von "Ohms". Selten hat Moreno so den Crooner (neudeutsch für irgendwo zwischen schnulzig und dramatisch) raushängen lassen wie hier. Mega! Da wäre selbst Morrissey in den 90ern neidisch gewesen.
Keine Ahnung, was aktuell bei den Spät-90er-Bands los ist, aber bei den starken Outputs von Bands wie Korn, Slipknot, Tool, Marilyn Manson oder eben den Deftones mit "Ohms", fühlt man sich immer wieder an die Teenie-Tage bei Mutti erinnert, als MTV noch Musik gespielt hat.
Slade – Cum On Feel The Hitz: The Best of Slade
Glam Rock Part II: eine neue Best-of von Slade. Die britischen Rocker konnten besonders in England in den frühen 70er-Jahren große Erfolge feiern. Gaga-Glam-Nummern wie "Cum On Feel The Noize", "Mama Weer All Crazee Now" oder "Gudbuy T'Jane" zeugen nicht nur von einer stark aufgeprägten Phobie vor Rechtschreibung, sondern waren auch große Erfolge.
43 Songs finden sich auf den beiden CDs dieser Compilation. Und ehrlich gesagt: Viele der Nummern kennen wohl nur eingefleischte Fans der Briten. Doch es ist erstaunlich, dass sich die Vorzeige-Blödie-Rockgruppe in ihrer Karriere so entwickelt hat. Die alten Songs waren zu Recht große Hits, aber im Laufe ihrer Karriere haben Slade versucht, ihr Image zu wandeln und machten zeitgemäßeren Hard Rock in den 80er-Jahren.
Doch da war ihre kommerzielle Hochphase schon vorbei und sie wurden von Bands wie Quiet Riot (die sogar "Cum On Feel The Noize" und "Mama Weer All Crazee Now" gecovert haben), Twisted Sister, Mötley Crüe oder anderen Glam-Metal-Granaten abgelöst.
Machine Gun Kelly – Tickets to My Downfall
Also eigentlich macht der neue Freund von Hollywood-Star Meghan Fox Rap. Sozusagen Eminem für die Instagram-Teenies von heute. Doch auf "Tickets to My Downfall" spielt Machine Gun Kelly auf einmal Pop Punk. Und das klingt so sehr nach MTV von 2001, dass dagegen selbst die Deftones-Platte völlig modern klingt.
Der Blondschopf hat in seiner Jugend scheinbar viel Blink-182, New Found Glory, SUM41, "American Idiot"-Green Day oder Good Charlotte gehört – denn "Tickets to My Downfall" klingt wie ein etwas frischerer Soundcocktail aus diesen Bands. Schön simple Punk-Rock-Riffs, eingängige Melodien wie in "Kiss Kiss" oder "My Bloody Valentine" und doch eine moderne Produktion, die auch nicht vor Keyboards zurückschreckt, machen diese Platte aus. Find ich besser als seine Rap-Songs, kann der Machine Gun Kelly gerne öfters so machen.
The Neighbourhood – Chip Chrome & the Mono-Tones
Die Jungs von The Neighbourhood hätten mal ganz groß werden können. Doch dann kamen The 1975 mit einem ähnlichen, aber noch besseren Sound daher. Gitarren-Pop mit viel Pop, Elektronik und netten Melodien. Trotzdem war besonders das Debüt "I Love You." ein großer Hit, der in den USA sogar mit Platin ausgezeichnet wurde. Album zwei war auch noch gut, die dritte Platte habe ich dann gar nicht mehr mitbekommen und war erstaunt, dass hier schon vom vierten Werk die Rede ist. Naja, man kann nicht immer alles wissen. 2018 habe ich lieber Black Metal gehört.
Also mal "Chip Chrome & the Mono-Tones" angemacht. Jup, das klingt noch immer so, wie ich die Amis im Kopf habe. Nette Melodien, R'n'B-Einflüsse, mal tanzbar, mal mehr zum Kuscheln mit der Bettdecke. Neu erscheinen mir die Hawaii-Einlagen. Ach, das ist doch eigentlich alles ganz nett. Bei dem wilden Stilmix besticht jetzt aber kein Song so wirklich. Aber meine Freundin findet's anscheinend richtig gut, so wie sie beim Hören mit dem Kopf nickt.
Ayreon – Transitus
Seit Jahren überraschen Ayreon immer wieder mit ausladenden Metal-Opern. Sehr progressiv, meist wenig eingänig. Spannend sind die LPs des Niederländers Arjen Lucassen dennoch zum Großteil. Auf "Transitus" (das leider ein nicht so schönes Artwork besitzt, das ging schon mal hübscher) tummeln sich wieder viele illustre Gäste wie Dee Snider von Twisted Sister, Kamelot-Stimme Tommy Karevik oder Simone Simons von Epica.
Hier ist natürlich vieles auf Musical und Oper gemünzt. Das ist oft ein bisschen dick, manchmal auch zu dick aufgetragen. Die stärksten Momente der Platte sind definitiv die lauten, wo die Oper an Fahrt aufnimmt. Aber auch instrumentale Passagen, die etwas ruhiger ausfallen, punkten. Dazwischen wird zumindest ein gewisses Niveau gehalten. Dennoch: Das hier muss man mögen. "Transitus" ist kein opulentes Hit-Feuerwerk wie die Rock-Oper "Bat Out of Hell II" von Meat Loaf oder ein tiefverstörendes Konzeptalbum wie "The Wall" von Pink Floyd.
Alle Alben sind am 25. September in digitaler sowie physischer Form erschienen. Haben Sie "Schon gehört", wer nächste Woche dabei sein wird? Nächste Woche geben sich die ganz Großen die Ehre: Neues Album von Bon Jovi, Queen legen ein Livealbum mit Adam Lambert vor, Robert Plant von Led Zeppelin hat auch 'ne Neue und New Order bringen ein dickes Paket zu ihrem Kultalbum "Power Lies Corruption" auf den Markt. Wir hören uns wieder!