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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kelly Family "Das war ein Fehler": Geschwister zogen sich aus Angst zurück
Besuch von der Kelly Family bei t-online.de. Patricia, Kathy, Angelo und John zeigen viel Interesse an unserer Arbeit in der Redaktion. Die vier sind zu Späßen aufgelegt, blicken aber auch auf Zeiten zurück, die nicht immer einfach waren: Zeiten des Mega-Erfolgs.
Es dauert eine ganze Weile bis wir mit unserem Interview beginnen können. Patricia Kelly und ihre drei Geschwister haben sich viel zu erzählen. "Ihr müsst uns einfach unterbrechen, weil wir reden, reden, reden", merkt sie an. Und das stimmt. Man hat sich länger nicht gesehen. Aber: Im weiteren Verlauf dieses Jahres haben die Kellys dafür umso mehr miteinander zu tun. Gleich zwei Touren der wiedervereinten Kelly Family stehen an. Nicht nur darum geht es in unserem ausführlichen Interview.
t-online.de: Seit zwei Jahren steht ihr wieder gemeinsam auf der Bühne. Zwischendurch war es lange ruhig um euch als Band. Warum hat es so lange gedauert, bis ihr wieder zusammengefunden habt?
Kathy: Wir mussten einfach erstmal wieder zu dem Punkt kommen, dass wir direkt miteinander sprechen. Nicht über Manager oder Sekretärin. Das hat Jahre gedauert.
Patricia: Wir haben es in den Neunzigern einfach übertrieben. Dann waren wir ausgebrannt und jeder musste erstmal seinen Weg gehen. Aber das war gut so. Alles braucht seine Zeit. Jetzt sind wir reif genug und wollen das auch wirklich. Man wird älter, man wird ruhiger.
John: Naja, das ist für jeden anders. Die beiden sprechen für sich. Ich für meinen Teil habe meine Beziehungen mit den Geschwistern immer gepflegt. Ich habe mit allen ein gutes Verhältnis.
Bist du das ausgleichende Element?
John: Ich weiß es nicht. Es gibt überall Hochs und Tiefs. Beziehungen ändern sich. Der Anfang unserer Reunion war tatsächlich nicht ganz einfach. Aber nach 50 gemeinsamen Terminen und über 70 Fernsehshows war alles viel positiver. Wir haben zusammen geweint, haben uns in den Arm genommen. Es ist alles auf der professionellen und auf der persönlichen Ebene viel besser geworden. Das ist erstaunlich. Es ist nicht perfekt, aber deswegen machen wir auch weiter.
Und euer Comeback läuft ja wirklich hervorragend.
Kathy: Wir müssen aber auch der Presse ein großes Dankeschön aussprechen. Man war dieses Mal sehr lieb mit uns. Vielleicht hat das was damit zu tun, dass eine bestimmte Generation von Frauen nun arbeitet, die noch von früher Kelly-Family-Fan sind.
Patricia: In den Neunzigerjahren gab es eine Welle in den Medien, die war komplett gegen uns. Aber das war nicht die Schuld der Presse allein. Wir haben damals den Fehler gemacht, dass wir uns zurückgezogen haben, weil wir Angst hatten. Ich glaube, dadurch sind viele Gerüchte entstanden. Das war ein Fehler von uns, aber wir haben daraus gelernt.
Aber gab es bei euch einen Zeitpunkt, an dem ihr gesagt habt, jetzt kommt die Wiederversöhnung oder war das ein Prozess, dass ihr euch wieder angenähert habt?
Patricia: Bevor das Comeback überhaupt möglich war, mussten sich die meisten von uns untereinander einigermaßen gut verstehen. Manche haben sich ja schon prima verstanden. Es musste eine Basis da sein. Das heißt, es gab eine Vorarbeit auf persönlicher Ebene. Und ich bin auch davon überzeugt, dass das Alter eine große Rolle spielt. Früher sind wir bei jeder Kleinigkeit ausgerastet, immer von null auf hundert. Heute denkt man bei vielen Dingen, dass es sich gar nicht lohnt, sich deshalb aufzuregen. Man muss einfach immer das große Ganze im Blick haben. Therapiesitzungen brauchten wir aber übrigens nicht. Wir haben das vor der Presse erledigt.
Inwiefern habt ihr früher zu sehr aufeinander gehangen? Erst das Hausboot, dann Schloss Gymnich. War es vielleicht ein großer Fehler, zusammen auf das Schloss zu ziehen? Wäre andernfalls die Kelly Family zu einem früheren Zeitpunkt wieder zurückgekommen?
Angelo: Das hatte mit dem Alter zu tun. Ich war damals mit 18 Jahren der Jüngste. Ich glaube, da war es einfach schon an der Zeit, dass jeder für sich seine eigene Familie gründet und seinen eigenen Weg geht. Egal, ob das auf Schloss Gymnich oder woanders gewesen wäre, es wäre so oder so in jener Zeit passiert.
Kathy: Wir haben 30 Jahre lang "Big Brother" erlebt. (lacht)
Angelo: Aber die Zeit auf dem Boot, das ja viel kleiner war als das Schloss, und auch in den Bussen, war toll. Ich glaube, alle von uns haben wirklich schöne Erinnerungen daran. Wir hatten eine unglaublich tolle Kindheit.
Patricia: Für mich persönlich war der Erfolg das Belastende, nicht dass wir immer aufeinander gehangen haben. Aber durch diesen Erfolg war unsere Freiheit so eingeschränkt. Das war für mich persönlich das Schlimmste.
John: Die Kelly Family existiert schon seit 1975. Wir haben schon alles Mögliche zusammen erlebt. Wir haben Höhen und Tiefen zusammen erlebt und viele Extreme. Ich glaube, nur deshalb ist dieses Comeback möglich. Es gibt etwas, das uns verbindet, auch wenn wir manchmal unterschiedlich denken. Aber wir haben gemeinsam schon vor drei Leuten gesungen oder auch vor Hunderttausenden. Dieser Zusammenhalt, ein gemeinsames Ziel, das ist etwas, das uns keiner nehmen kann. Das ist einmalig. Wir waren 25 Jahre nonstop zusammen – 24 Stunden am Tag, privat und beruflich. Welche Band kann so etwas vorweisen?
Wahrscheinlich keine...
Angelo: Das Comeback heute ist auch nicht rein musikalisch, wir haben in den letzten zwei bis drei Jahren viel über unsere Story erzählt. In den Neunzigern gab es Zeitungen und vielleicht Viva. Jetzt gab es ganze TV-Dokus über uns. Die große Masse hat unsere Story dadurch erst richtig kennengelernt. Ich glaube, die Hälfte der Faszination Kelly Family ist die Musik, die andere Hälfte macht unsere Geschichte aus.
John: Für mich ist das Wichtigste an der Kelly Family, was wir den Menschen gebracht haben. Wenn ich daran denke, dass die Leute auf unseren Konzerten mit Tränen in den Augen und Danke-Schildern vor der Bühne stehen, dann bekomme ich Gänsehaut. Diese ganze harte Arbeit hat sich für mich gelohnt.
Okay. Dann hast du jetzt schon die Konzerte angesprochen: Wie fühlt sich das an, dass einige Shows eurer Jubiläumstour schon ausverkauft sind?
Patricia: Das ist mega. Es ist ja nicht so, dass man irgendwann abgestumpft ist. Im Gegenteil: Man schätzt es jetzt viel mehr. Als wir noch jung waren, haben wir das alles für selbstverständlich genommen. Aber diese Fan-Treue ist nicht selbstverständlich. Wir sind extrem dankbar dafür und wir genießen die Konzerte mehr denn je. Der Moment ist viel präsenter. Es ist grandios.
Angelo: Mit dem Comeback hatten wir ja schon viele ausverkaufte Termine. Aber es wurde immer noch mehr, weil es sich rumgesprochen hat, dass die Konzerte gut sind. Jetzt geht es nochmal auf Tournee. Dass wir das weiterhin so erleben dürfen, ist schon krass. Es sind riesige Veranstaltungsorte und ein riesiges Publikum.
Habt ihr einen Überblick? Es sind ja wahrscheinlich viele Fans aus den Neunzigern, aber kommen auch neue Fans dazu?
Angelo: Wir haben ein gewisses Kernpublikum aus den Neunzigern. Aber natürlich auch Fans, die noch älter sind. Bei unseren ersten Hits war ich ja nicht mal geboren. Wir haben mittlerweile mehrere Generationen Fans. Jetzt kommen auch jüngere dazu.
Patricia: Ja, es gibt wirklich auch Teenies, die jetzt Fans sind. Auch welche, deren Eltern früher keine Fans waren.
Wie haltet ihr eigentlich untereinander Kontakt? Habt ihr eine WhatsApp-Gruppe mit allen Geschwistern?
Die Antwort sehen Sie hier im Video:
Eure "Over The Hump"-Tour Ende des Jahres hat über 40 Termine. Ihr habt alle noch eigene Projekte am Laufen und seht euch teilweise gar nicht so oft. Wie schwierig ist es da manchmal, gemeinsame Termine zu finden?
Angelo: Wir leben in verschiedenen Ländern, jeder hat viel zu tun, Familie, eigene Projekte. Das Comeback ist für uns erfolgreich, aber es ist auch eine Möglichkeit für uns, mehr voneinander zu sehen. Wir verbringen mehr Zeit zusammen, erleben mehr zusammen. Es schweißt uns zusammen. Nach den letzten zwei Jahren haben wir eine noch bessere Beziehung zueinander, weil wir aktiv etwas erreicht haben. Wir haben zusammen gekämpft, das war nicht einfach eine Geburtstagsfeier, das war auch Arbeit und wir haben gemeinsam etwas geschaffen.
Patricia: Es gab den Fall, dass wir eine knallharte Grippe auf Tour hatten. Mit Gliederschmerzen und allem Drum und Dran und Johnny hat seine Stimme verloren. Aber er hat trotzdem seine Solos gesungen. Ich weiß nicht, wie – die Fans haben mitgeholfen. In solchen Momenten hat man Respekt voreinander.
Angelo: Generell: Du gehst auf die Bühne, stehst vor zehn- bis zwanzigtausend Menschen. Du gehst als Mannschaft raus, willst das beste Ergebnis bringen und die Menschen von den Stühlen reißen. Wenn du das schaffst und zusammen runter kommst und jeder weiß: Ohne dich hätte ich das nicht hinbekommen. Das verbindet, das macht stark.
Patricia: Und jetzt machen Johnny und Kathy weiter. Angelo, du bist jetzt ruhig. (lacht)
John: Das ist wie bei einer Fußballmannschaft. Alle müssen in eine Richtung ziehen. Der Ball muss rein. Nur wenn alle durchziehen, kommt es so rüber, wie es soll. Das Publikum spürt, dass diese Kelly-Energie von früher wieder da ist. Dieses Gefühl. Wenn das auf der Bühne nicht dabei ist, merken die Leute das sofort. Aber sie wollen mehr, deshalb geben wir weiter Konzerte. Wir wollen das weiter erleben und die Fans auch.
Patricia: Wir wollen mehr, mehr, mehr.
Die Geschichte der Kelly Family im Schnelldurchlauf
Ende der Siebziger reiste die Kelly Family als Straßenmusiker durch Europa und die USA. 1980 schaffte es der Song "Who'll Come with Me" auf Platz 1 der belgischen und niederländischen Charts. 1994 erschien das Album "Over the Hump" – der endgültige Durchbruch für die Familie, die zeitweise in einem Hausboot oder in einem Doppeldeckerbus lebte. In den Neunzigerjahren waren sie Megastars, sangen einmal vor 250.000 Menschen. Nach dem Tod des Vaters Dan entwickelten sich die Geschwister in unterschiedliche Richtungen. 2017 feierten einige von ihnen ein gemeinsames Comeback. Maite und Michael Patrick Kelly sind heute erfolgreiche Solokünstler.
Um nochmal auf ein aktuelles Thema sprechen zu kommen: Was sind eure Gedanken zum Brexit?
Auch hier gibt es die Antwort im Video:
Seid ihr dadurch befreit davon, Vorurteile zu haben?
Angelo: Also was Vorurteile angeht: Wir haben selber genug erlebt. Man hat uns geliebt und man hat uns gehasst. Manchmal hat man uns zuviel geliebt, ohne uns wirklich zu kennen. Manchmal hat man uns gehasst, ohne jemals eine Platte gehört, ein Konzert gesehen und uns einmal gegenüber gestanden zu haben. Ich glaube, wir haben schon echt ein dickes Fell. Wenn man so etwas selbst erlebt hat, dann wünscht man das niemand anderem. Ich diskriminiere niemanden, weil ich mir das selbst nicht wünschen würde.
Patricia: Wir waren immer Außenseiter.
Kathy: Man kann versuchen, sich für alles zu öffnen. Aber man schafft es nicht, zu hundert Prozent alle Menschen, alle Kulturen zu verstehen. Man versucht es, aber man sucht auch seine eigene Heimat, wo man sich wohlfühlt. Das ist ganz natürlich. Aber man lernt nie aus und man kann immer nur versuchen, sich mehr und mehr zu öffnen. Perfekt kann man Vorurteile nicht ablegen.
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- Fotoshow: Die Kelly Family damals und heute
- Kathy Kelly: "Ich musste für meine Familie viel aufgeben"
Patricia: Aber eins muss man wirklich sagen, das hat meine Putzfrau immer zu mir gemeint: Wir sind eine Multikultifamilie. Das stimmt einfach. Wir sind nicht nur in einem Land aufgewachsen, wir sind überall gewesen. Wir sind über Jahre in vielen Ländern gewesen, haben dort gewohnt. Das prägt. Wir sind schon sehr weltoffen.
Ein schöner Abschluss. Vielen Dank für das Interview!