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Schrifsteller Philip Roth (†85): "Was für ein großer Erzähler"


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Zum Tod von Philip Roth
Was für ein großer Erzähler, was für eine wunderbare Fantasie

Ein Nachruf von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 24.05.2018Lesedauer: 5 Min.
Philip Roth in New York. Der Schriftsteller starb im Alter von 85 Jahren.Vergrößern des Bildes
Philip Roth in New York. Der Schriftsteller starb im Alter von 85 Jahren. (Quelle: Eric Thayer/reuters)
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Wer wirklich etwas über Amerika wissen will, sollte Philip Roth lesen. Er spiegelte die Gegenwart in 30 Büchern über 60 Jahre literarisch wider, er dachte sie weiter und er schenkte uns Nathan Zuckerman.

Ich war mal Korrespondent in Amerika, ich kam vier Wochen vor 9/11 an und wegen der Überbeschäftigung mit den Anschlägen und den Folgen konnte ich mich weit weniger anderen Themen widmen, als ich es erhofft hatte. Wann immer es sich anbot, interviewte ich Schriftsteller, die ich mochte: Louis Begley, Norman Mailer, Scott Turow.

Schriftsteller nehmen die Welt anders war, sie schreiben eigen darüber, was Journalisten wie mich mit Ehrfurcht erfüllt. Die Kraft ihrer Literatur erwächst aus dem Wagemut der Figuren, die sie zum Leben erwecken. Ihre Autorität entwickelt sich aus unserer Faszination für die Handlung und den Protagonisten und wozu sie uns inspirieren. Und wenn Autoren so gut sind wie Philip Roth, dann entwickeln sie auch noch eine grandiose Intuition, mit der sie historische Ereignisse auf ihre Weise vorwegnehmen. So erging es mir mit "Plot Against America" (Deutsch: Verschwörung gegen Amerika), das er im Jahr 2004 veröffentlichte.

Wenn Amerika von Antisemiten regiert würde

Die Handlung kreist um Charles Lindbergh, den amerikanischen Helden, der als erster Mensch im Jahr 1927 nonstop von New York nach Paris geflogen war. Mehr noch wurde er zum tragischen Helden, als sein kleines Kind entführt und ermordet wurde.

Das amerikanische Militär schickte Lindbergh im Jahr 1938 nach Deutschland, er sollte sich die Aufrüstung der Luftwaffe anschauen. Er begegnete Hermann Göring, der ihm den "Deutschen Adlerorden" ansteckte. Danach trat Lindbergh dafür ein, dass sich Amerika aus dem Krieg in Europa heraushalten sollte, weil, erstens, die Juden wirklich eine Gefahr für den Weltfrieden bedeuten und, zweitens, die weiße Rasse so am besten überleben und herrschen kann. Die Organisation, deren Sprecher er war, hieß "America First". Ja, wirklich.

Das Buch ist ein Gedankenexperiment und spielt im Jahr 1940. Charles Lindbergh, der Fliegerheld, wird zum Präsidenten gewählt und verändert Amerika. Der Antisemitismus führt zu Pogromen, Attentaten und Anschlägen. Juden werden aus den Zentren an der Ostküste ins Hinterland deportiert. Amerika ist in den Händen von Faschisten, die sich mit Nazi-Deutschland verbünden. Eines Tages, 1941, verschwindet Lindbergh jedoch mit seinem Flugzeug auf Nimmerwiedersehen. Wieder Unruhen, wieder Pogrome, dann aber Neuwahlen und Franklin D. Roosevelt kehrt rechtzeitig vor Pearl Harbour in das Weiße Haus zurück. Die reale Geschichte übernimmt.

Trump ist eine Schrumpfform von Roths Protagonisten

Als dieses Buch erschien, hatte Amerika in Afghanistan und im Irak mit den bekannten Folgen interveniert. Es gab totalitäre Inseln in seiner Demokratie, angefangen bei Guantanamo, den Foltergefängnissen im Ausland und den Bürgerrechtsverletzungen im Inland. Es war die hohe Zeit der Neokons, das waren rechte Ideologen, für die die militärische Projektion der USA ein Naturrecht war. Donald Trump ist die gedankliche Schrumpfform und aggressive Steigerung dieser Machtarroganz. Sein Slogan nimmt nicht zufällig Lindberghs "America First" auf.

Vier Jahre später erschien "Indignation" (Deutsch "Empörung"). Das ist ein Buch über den Koreakrieg, in den Philip Roth seinen 19 Jahre alten Helden Marcus Messner schickt. Der Junge rebelliert gegen seine Eltern, die der Autor wie so oft in Newark ansiedelt, wo er selber aufgewachsen war. Marcus stirbt am "Massacre Mountain", eine Metapher für einen sinnlosen Krieg, der in Vietnam, Panama, Afghanistan und im Irak Fortsetzungen findet.

Roth ließ die Geschichte Amerikas nicht los

Philip Roth war kein politischer Schriftsteller, aber einer, den die Geschichte seines Landes und seiner Generation nicht los ließ, wie auch. In seinen Büchern spiegelt sich die Nachkriegsgeschichte wider: Was es bedeutete, ein Jude zu sein, die sexuelle Befreiung, die Unruhen der Sechziger genauso wie Watergate oder George W. Bush. Die beste Literatur wird von der Gegenwart angeregt und geht nicht in ihr auf.

Meine Lieblingsfigur ist Nathan Zuckerman, der mal die Hauptfigur, mal der Erzähler eines Romans ist, den Philip Roth im Laufe der Zeit zum Schriftsteller werden lässt. Wir folgen ihm durch neun Bücher, zuletzt durch "Exit Ghost", in dem Zuckerman ein älterer Mann ist, wie sein Autor, der nach elf Jahren aus den Bergen nach New York zurückkehrt, geplagt von Inkontinenz und Impotenz nach einer Prostata-Operation. Eine junge Frau weckt seine sexuelle Begierde, die er nicht mehr erfüllen kann und sie auch nicht erfüllen will.

Ich habe nicht alle Bücher gelesen, die Philip Roth geschrieben hat. Soweit ich es beurteilen kann, hat er mit dem Alter härter, unbarmherziger und direkter geschrieben. Nicht mehr so ausschweifend und panoramahaft wie "Portnoy’s Complaint", sein viertes Buch, in dem er Sex und Schuld und Rebellion eines Sohnes aus jüdischer Familie so drastisch beschreibt, dass die Fiktion mit seinem wirklichen Leben verwechselt wurde.

Letzte Krönung bleibt Roth versagt

Amerika ist der Stoff, den er Mal um Mal in Literatur verwandelt. Wer über die amerikanische Mittelklasse, ihre Moral und Amoral, ihren Aufstieg und Abstieg, etwas erfahren will, kann natürlich Soziologen und Politologen oder Philosophen lesen. Tieferes erfährt er aber aus den 30 Büchern, die Philip Roth in 60 Jahren schrieb. Jedes von ihnen ist das Produkt einer großartigen Einbildungskraft und Kreativität. Absurderweise blieb ihr die letzte Krönung versagt, der Nobelpreis, während ihn Bob Dylan bekam.

Was mir besonders an Philip Roth imponierte, ist dies: Er hörte vor sechs Jahren mit dem Schreiben auf. Dafür lieferte er im Nachhinein eine bewegende Begründung: "Ich besaß nicht mehr die geistige Vitalität oder körperliche Fitness, die ich für eine große, dauerhafte schöpferische Anstrengung brauche." Welch ein Anspruch, welch eine Einsicht, welch eine Entsagung. Ich muss daran denken, wenn ich die schmalen Büchlein aus der Feder des uralten Martin Walser lese, diesen leisen Nachhall einer großen schöpferischen Kraft.

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Nach dem Ende als Schriftsteller wird Roth Romanfigur

Als er nicht mehr schrieb, besuchte Philip Roth Konzerte, traf sich mit Freunden und las natürlich, zuletzt einen Roman, in dem er leibhaftig vorkommt. Geschrieben hat ihn Lisa Halliday, eine Lektorin und Übersetzerin, die in Mailand lebt, es ist ihr Erstling. Sie beschreibt die Affäre einer 25 Jahre alten Frau mit einem siebzigjährigen Schriftsteller. Die Handlung spielt während der Irak-Invasion und beruht auf der Wirklichkeit, der Affäre der jungen Lisa Halliday mit dem nicht mehr jungen Philip Roth. Es geht um Macht und Machtgefälle, es geht um MeToo, es geht um ihre Gegenwart.

Philip Roth, der literarische Exzyklopädist Amerikas, wurde am Ende seiner Tage zur Figur einer Autorin, die erst anfängt, eine wunderbare Pointe, die ihm hätte einfallen können. Er hatte Spaß daran, na klar.

Roth-Leseempfehlungen aus der t-online.de-Redaktion

"Mein Leben als Sohn" Empfehlung von Florian Harms: Mein allerliebstes Lieblingsbuch unter meinen vielen Lieblingsbüchern von Philip Roth ist der vergleichsweise dünne Roman "Mein Leben als Sohn". Darin reflektiert Roth die Beziehung zu seinem sterbenden Vater: die Liebe und den Hass, die Nähe und das Unverständnis zwischen den Generationen, das Altern und das Abschiednehmen. Meisterhaft und sehr berührend.
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"Jedermann" Empfehlung von Rüdiger Schmitz-Normann: Roths schmaler Band "Jedermann" umreißt auf gerade einmal 160 Seiten das Leben eines Werbers in New York. Die Erzählung entfaltet gerade in ihrer Schmucklosigkeit ihre Wucht. Es geht um die ganz großen (Roth'schen) Themen: die ewige Erotik, Einsamkeit, Vergänglichkeit, Krankheiten – und das, was bleibt. Roth beschreibt lakonisch und genau das Aufflackern, Brennen und unausweichliche Verlöschen eines Menschenlebens, Shakespeares "König Lear" lässt grüßen. "Das Alter ist ein Massaker", hat der Autor dazu im Interview gesagt: Das Leben ist nichts für Feiglinge.
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"Nemesis" – Empfehlung von Juliane Wellisch: Brütende Hitze, ein Weltkrieg im Hintergrund und im heimatlichen Newark ein unsichtbarer Feind: In "Nemesis" versucht der kriegsuntaugliche Sportlehrer Bucky Cantor vergeblich, seine Schüler vor einer grassierenden Polio-Epidemie zu schützen. Das gelingt ihm nicht und er gerät sogar unter Verdacht, seine Schützlinge angesteckt zu haben – was die Schuldgefühle und Verzweiflung mit dem gescheiterten Helden anstellen, schildert Roth wie immer in beeindruckender Sprache.
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"Portnoys Beschwerden" – Empfehlung von Helge Denker: Der Anwalt Alexander Portnoy lässt auf der Couch seines Psychiaters sein Leben vorüberziehen. So lustig habe ich noch nie über Sex, Neurosen und jüdische Mütter gelesen. Ein großer Roman und Lesespaß.
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"Verschwörung gegen Amerika" – Empfehlung von Franziska von Kempis: Wer auf alternative, aber irgendwie auch prophetische historische Geschichten steht, sollte bitte sofort "Verschwörung gegen Amerika" lesen. Hier gewinnt im Jahr 1940 nicht Roosevelt, sondern Charles Lindbergh, Fliegerheld und Nazi-Sympathisant, die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Amerikanische Juden fürchten sich – auch die Familie Roth in Newark. Erzählt aus der Perspektive des 8-jährigen Philip ist das Buch eines meiner liebsten "Was wäre wenn"- Dramen, das das 20. Jahrhundert noch einmal neu durchdenkt. Gruselig, aufregend, immer mit dem Schaudergedanken im Hinterkopf: Was wäre gewesen, wenn eigentlich alles anders gewesen wäre?
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