Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zum Saisonstart Diese Überraschung tippt Biathlon-Legende Uschi Disl
Heute beginnt die neue Biathlonsaison. Die Erwartungen im deutschen Team sind überschaubar. Biathlon-Legende Uschi Disl glaubt trotzdem an eine Überraschung. Weniger begeistert blickt sie gen Peking.
Im schwedischen Östersund beginnt am Samstag die neue Biathlonsaison (ab 11:45 im Liveticker von t-online). Das deutsche Team geht mit gemischten Erwartungen ins neue Jahr – während die Damen um Franziska Preuß und Denise Herrmann auf Siege hoffen, befindet sich das Herrenteam nach den Rücktritten von Arnd Peiffer und Simon Schempp im Umbruch.
Für schwedische Verhältnisse fast um die Ecke lebt eine Legende des deutschen Biathlons – Uschi Disl. Die gebürtige Bayerin wohnt mit ihrer Familie in Mora, etwa 300 Kilometer südlich von Östersund.
t-online: Frau Disl, am Samstag startet die neue Biathlonsaison. Wie im Vorjahr befinden sich Athleten und Betreuer coronabedingt in einer Blase, abgeschirmt von der Außenwelt. Wie wirkt sich die Pandemie noch aus?
Uschi Disl: Es werden teilweise weniger oder gar keine Zuschauer dabei sein – wie zum Beispiel beim Weltcup in Oberhof im Januar. Für die Fans tut es mir sehr leid, dass sie die Sportler nicht mehr hautnah vor Ort erleben können. Aber letztendlich ist das in der aktuellen Lage mehr als verständlich. Denn wenn die Fans die Athleten überhaupt in Wettkämpfen sehen wollen, müssen diese gesund bleiben.
Im Februar stehen die Olympischen Spiele in Peking an. Sie haben neun Olympiamedaillen gewonnen. Was ist entscheidend, um in einem Olympiawinter Erfolg zu haben?
In einer Olympiasaison muss man sein Leben ganz danach ausrichten und hart trainieren. Ganz entscheidend ist darüber hinaus, dass man gesund bleibt. Das ist in Zeiten der Corona-Pandemie noch mal wichtiger.
Wie steht es mit der Belastungssteuerung? Das schwedische Team war im Vorjahr zu Beginn sehr stark – und fiel dann ab. In dieser Saison mit den Olympischen Spielen im Februar sollte es idealerweise andersherum sein. Wie bekommt man das hin?
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das deutsche Trainingssystem eines der besten überhaupt ist. Es unterscheidet sich stark von dem der Schweden und Norweger und ist darauf ausgelegt, eine hohe Belastungsschwelle zu erreichen, auf der man dann aufbauen kann. Anders gesagt: Man baut die Saison so auf, dass man anfangs halbwegs fit ist und sehen kann, wo man steht. Dann kommt eine Trainingsphase mit Wettkämpfen dazwischen und darüber baut man im Dezember und Januar die Form Richtung Peking auf.
Uschi Disl wurde zwischen 1990 und 2006 zu einer Institution im Biathlon-Weltcup. Mit zwei Gold-, vier Silber- und drei Bronzemedaillen gehört sie zu den erfolgreichsten deutschen Winterolympioniken. Heute wohnt sie mit ihrer Familie im schwedischen Mora, betreibt die dortige Vertretung des Skiwachs-Herstellers HWK und ist Botschafterin der Firma Viessmann.
Apropos Peking. Die Stadt hat nahezu keine Wintersporttradition und Wettkampfstätten wurden teilweise komplett aus dem Boden gestampft. Wie stehen Sie dazu?
Die Frage ist immer: Müssen Olympische Spiele an immer neue Standorte vergeben werden? Kann man sie nicht dahin vergeben, wo es schon entsprechende Wettkampfstätten gibt? Wenn Neubauten nach den Spielen sinnvoll anderweitig genutzt werden, ist das ja oftmals eine gute Investition – beispielsweise wenn aus dem Olympischen Dorf eine Wohnanlage wird. Bei einer Rodelbahn wird es da schon schwieriger. Ich persönlich würde Olympische Spiele dahin vergeben, wo zumindest ein Teil der Infrastruktur schon vorhanden ist. Das wäre unter Umweltgesichtspunkten und im Sinne der Nachhaltigkeit das Beste.
Die Veranstaltung steht auch aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in China in der Kritik. Es gibt Stimmen, die Athleten auffordern, die Spiele deshalb zu boykottieren. Können Sie das nachvollziehen?
Das ist die persönliche Entscheidung jedes einzelnen Athleten. Ich frage mich schon, warum das IOC die Olympischen Spielen überhaupt dorthin vergeben hat. Denn die Menschenrechtsverletzungen in China sind ja nicht erst seit gestern bekannt. Ich persönlich kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. Aber noch mal zurück zu den Athleten: Sie trainieren vier Jahre auf dieses Ereignis hin und richten ihr ganzes Leben darauf aus. Deshalb muss das jeder für sich selbst entscheiden.
Bei den Spielen 2018 in Pyeongchang war Deutschland im Biathlon die erfolgreichste Nation. Ist das diesmal auch drin?
Im Biathlon ist alles möglich (lacht). Aber das zu wiederholen, wird schon sehr, sehr schwer. 2018 war Laura Dahlmeier noch dabei, die allein drei von sieben Medaillen geholt hat. Zwei weitere gingen auf das Konto von Arnd Peiffer, der seine Karriere in diesem Jahr beendet hat.
Wie sehr wirkt sich Peiffers Abschied auf das deutsche Herrenteam aus?
Er hinterlässt eine riesige Lücke. Das Team befindet sich momentan in einem Neuanfang. Mit Benni Doll und Erik Lesser sind zwei alte Hasen dabei, die zahlreiche Olympia- und WM-Medaillen gewonnen haben. Roman Rees, Philipp Nawrath, Philipp Horn und Johannes Kühn haben im Weltcup zwar auch schon bewiesen, dass sie gut sind, aber sie müssen jetzt einfach noch einen Schritt in die richtige Richtung machen. Dann kommen auch die Erfolge.
In der Vorsaison gab es allerdings nur einen Einzelsieg – durch den zurückgetretenen Peiffer. War es das jetzt erst mal mit deutschen Einzelsiegen im Weltcup?
Nein, ich traue den deutschen Herren schon einen Weltcupsieg in den Einzelwettbewerben zu. Wichtig ist, dass sie im Schießen ein bisschen stabiler werden. Das war in der Vorsaison generell ein Problem – besonders bei Benni Doll. Wenn Benni trifft, dann kann er gewinnen. Er muss sich einfach am Schießstand zusammenreißen. Denn läuferisch ist er ganz, ganz vorne dabei.
Mit Engelbert Sklorz hat das Team seit vergangenem Jahr einen sehr guten Bekannten von mir als Schießtrainer. Den kenne ich, seit ich 17 bin. Er war selbst ein guter Schütze und ist ein hervorragender Trainer. Er sieht, wo der Fehler liegt und kann das auch vermitteln. Aber so was geht nicht von heute auf morgen.
Das kann ich aus eigener Erfahrung berichten, denn er hat ja auch mit mir gearbeitet. Aus einer schlechten Schützin macht man nicht von heute auf morgen eine gute. Das ist auch eine Talentfrage. Dennoch kann man vieles trainieren. Das war in meinen Fall so (lacht). Ich musste mir wirklich alles antrainieren, hatte nicht übermäßiges Talent. Und da ist Engelbert der richtige Mann. Ich hoffe, dass er richtig Schwung ins Team bringt.
Deutlich besser getroffen als die Deutschen haben im Vorjahr die Norweger Johannes Thingnes Bö und Sturla Holm Lägreid. Erst im letzten Saisonrennen entschied Bö den Gesamtweltcup für sich. Wird es wieder so knapp?
Das glaube ich allerdings. Lägreid ist ein junger Kerl, er hat noch einiges zu lernen. Und in der Vorsaison war er im entscheidenden Rennen einfach etwas nervös. Das war schon sehr, sehr spannend.
Und wer gewinnt in dieser Saison?
Bö und Lägreid sind wieder die großen Favoriten auf den Gesamtweltcup. Darüber hinaus muss man Quentin Fillon Maillet aus Frankreich auf dem Zettel haben. Aber ich glaube trotzdem, dass es ein Norweger wird – und tippe auf Lägreid. Er holt den Gesamtweltcup.
Kommen wir zu den Damen. Franziska Preuß ist in der Vorsaison etwas überraschend Dritte im Gesamtweltcup geworden. Gelingt ihr nun der ganz große Wurf, also Platz eins?
Das ist schon ein schwieriges Unterfangen. Ich würde es Franziska natürlich gönnen und glaube auch, dass sie es draufhat, aber die Titelverteidigerin Tiril Eckhoff ist schon sehr, sehr stark. Auch Hanna Öberg aus Schweden hat sich einiges vorgenommen. Dazu kommt ihre Schwester Elvira, die gehörig aufgeholt hat und Hanna bei der schwedischen Meisterschaft gewaltig auf die Zehen getreten ist.
Und wen muss man für den Gesamtweltcupsieg unbedingt auf dem Zettel haben?
An erster Stelle Tiril Eckhoff, danach Dorothea Wierer aus Italien, dann Franziska, Marte Olsbu Röiseland und Hanna Öberg.
Nicht Teil dieser Aufzählung ist Denise Herrmann. Nach dem dritten Platz vor zwei Jahren reichte es in der letzten Saison für sie nur für Platz zehn. Was ist ihr zuzutrauen?
Läuferisch war Denise schon immer sehr gut dabei, aber in der letzten Saison hat sie bei ein paar Weltcups schon etwas müde ausgeschaut. Dann wird auch das Treffen schwierig – und das ist nun mal die Grundvoraussetzung im Biathlon. Ich hoffe aber, dass Denise heuer mal wieder ein paar Weltcupsiege einfahren kann – und traue es ihr auch zu. Und Franziska natürlich auch.
Nicht zu vergessen ist im deutschen Team auch Janina Hettich, die sich sehr gut entwickelt hat. Ihr traue ich im deutschen Team den größten Leistungssprung zu. Die Zeichen für ein paar Weltcupsiege der deutschen Damen stehen also gut.
- Gespräch mit Uschi Disl in Mora